In der Dunkelheit hatte er bei seiner Ankunft nur sehr wenig von dem Haus gesehen. Jetzt stellte er fest, dass es sich bei dem Haus des Steuereintreibers um ein dreistöckiges Gebäude handelte, das als Nebengebäude zusätzlich einen Stall hatte. Im ersten Stock befanden sich die Küche, der Essraum und einige Lagerräume sowie das Arbeitszimmer von Lucek. Über eine Treppe kam man in das nächste Stockwerk. Hier war er selbst untergebracht und glücklicherweise am anderen Ende des Gangs und damit weit entfernt die beiden Gehilfen. Auch der Meister hatte hier seinen Schlafraum. Es gab außerdem einen Wasch- und einen Schwitzraum. Ging man die Treppe weiter hinauf, gab es unter dem Dach einige weitere kleine Kammern für die Bediensteten. Mico war hier untergebracht aber auch der Koch Zollan.
Der Koch war ein altes, kleines, verschrumpeltes Männlein. Seine munteren Augen standen nie still sondern sie waren immer auf der Suche nach etwas Lustigem, über das er lachen konnte. Und das tat er viel und oft.
„So, so.“, begrüßte er Hanrek mit einem verschmitzten Lächeln um den Mund, als dieser die Küche betrat.
„Du bist also Hanrek, der Drachentöter, der neue Lehrling, in den unser Meister so vernarrt ist. Und wie ich mitbekommen habe, hast du deine ersten beiden Drachen schon erlegt.“
Und schon lachte er los.
Ungefragt goss er Hanrek eine große Tasse Sud ein und sich selbst aus einer Kanne vom Herd ein übel riechendes Gebräu in eine ebenso große Tasse. Dann begann er genüsslich, an seiner Tasse zu schlürfen.
„Und welche Variante der Geschichte von gestern hast du gehört?“, fragte Hanrek.
„Oh.“, lachte Zollan keckernd.
„Es hat sich niemand bequemt mir eine Geschichte zu erzählen, auch wenn ich gerne Geschichten höre. Aber man schnappt so dies und das auf. Es wurde gestern Abend noch ein Heiler gerufen, der sich die beiden Tunichtgute angesehen hat. Der Abzugsschacht vom Herd führt genau an dem Raum der beiden vorbei. Nicht dass ich gelauscht hätte, aber einige Brocken des Gesprächs habe ich schon mitbekommen.“
Hanrek war sich sicher, dass Zollan gelauscht hatte, behielt das aber für sich.
Zollan fuhr fort.
„Ganz besonders gut habe ich den Meister verstanden. Er sprach ganz im Gegensatz zu sonst recht laut. Es war sozusagen klar und deutlich zu verstehen, was er sagte und ich bin mir ziemlich sicher, dass Rannold und Tonnir ihn auch verstanden haben.“
Erneut kam eine keckernde Lachsalve als Untermalung des Gesagten.
„Ich würde mich aber freuen, wenn ich die gestrige Geschichte, wie du sie genannt hast, aus erster Hand hören könnte.“, dabei grinste er Hanrek so verschmitzt und drollig an, dass Hanrek sich bereit erklärte, die gestrige Geschichte zu erzählen. Dabei achtete er darauf, dass er nicht zu nah am Abzugsschacht des Herds saß, denn was in die eine Richtung funktionierte, konnte auch in die andere Richtung funktionieren.
Kurz darauf setzte er seinen Rundgang fort und kam in den Hof des Hauses. Dort blieb er erst einmal mit offenem Mund stehen. Der Hof war rechteckig und mit Steinplatten ausgelegt. In einer Ecke war ein Geräteschuppen und in der anderen Ecke ein kleines Kräuterbeet. In der Mitte befand sich ein Brunnen. Der Hof war von einer halbhohen Mauer umgeben, die Hanrek bis zur Brust ging.
Aber es war nichts im Hof gewesen, was Hanrek so überrascht hatte, sondern was dahinter lag. Direkt an den Hof des Steuereintreibers grenzte ein weiterer Hof oder besser gesagt ein Garten. Und in der Mitte des Gartens stand ein Heronussbaum. Das Besondere an diesem Baum war jedoch, und Hanrek prüfte das mit seiner Gabe, nachdem er einen schnellen Schritt ins Kräuterbeet getan hatte, dass er tot war. In dem gegenüberliegenden Garten stand ein riesiges fast weißes Gerippe von einem Heronussbaum.
Tiefe Trauer überkam Hanrek, als er den toten Baum sah. Wie alt musste dieser Baum gewesen sein, bevor er gestorben war? Wie lange stand dieses Gerippe schon so da, wie Hanrek es jetzt sah? Ein Denkmal eines großartigen und langen Baumlebens.
Noch etwas Besonderes gab es an diesem Baum zu sehen. Und das war etwas, was Hanrek nie erwartet hätte, jemals bei einem Heronussbaum zu sehen. Er war von oben bis unten gespalten. Ein Blitzschlag? Eine andere Erklärung bot sich Hanrek nicht. Er nahm sich vor, weitere Erkundigungen über diesen Baum und seine Geschichte einzuholen.
Als er mit der Erkundungstour im Haus fertig war, beschloss er den Kreis etwas zu erweitern und die Stadt zu erkunden. Dafür hatte er noch genügend Zeit bis zum Mittagessen.
Als Hanrek an der Küche vorbei kam, rief ihn Zollan hinein. Zollan hatte vermutet, dass Hanrek in die Stadt gehen wollte, und bat ihn, einige Besorgungen auf dem Markt für ihn zu machen. Da Hanrek einwilligte, gab er ihm eine kleine Geldbörse, die Hanrek sicher in seinen Kleidern verstaute, und erklärte ihm schließlich, an welchem Marktstand er welche Dinge erstehen sollte. Die Liste war nicht sonderlich lang und sie gab Hanrek ein Ziel, das er schon von früheren Besuchen in der Stadt kannte. Früher war er ein paar Mal mit seinem Vater nach Haffkef gefahren, um auf dem Markt verschiedene Lebensmittel zu verkaufen. Daher wusste er, wie die Geschäfte auf dem Markt liefen.
Wie jedes Mal, wenn er bisher in die Stadt Haffkef gekommen war, fand er die Stadt laut und voll, aber es gab auch jede Menge zu sehen. Auf dem Weg zum Markt kam er durch ein Viertel mit vielen Läden und Handwerkern. Er wusste nicht ob es so hieß aber er taufte es für sich das Händlerviertel. Von Uhrenmachern über Schmuckgeschäfte, Stoffmachern, Schneidereien, Waffenmachern, Steinmetzen, Hufschmieden, Bäckereien, Metzgereien, Schreinereien, Barbieren, Steingutbrennereien und vielen anderen Läden mehr, war alles zu finden.
An so mancher Auslage blieb Hanrek stehen und bestaunte Dinge, die er in seinem Heimatdorf selten oder nie zu sehen bekam.
Was er immer erschreckend und doch auch faszinierend fand, war, dass so viele Menschen unterwegs waren und er niemanden kannte. Hanrek kannte in Hallkel jeden. Auch im Nachbardorf Hannkel kannte er die meisten. Er hatte dort sogar einige Verwandte.
An dem Laden eines Instrumentenbauers blieb er lange stehen, schaute sich alle Instrumente an, ließ sich das eine oder andere Instrument erklären und entdeckte schließlich eine kleine Flöte aus ganz hellem Holz. Das Holz hatte fast die gleiche Farbe wie sein Stab, als dieser noch ungefärbt war. Auch diese Flöte ließ er sich vorspielen und der Klang faszinierte ihn.
Er fragte den Verkäufer.
„Ist diese Flöte aus Heronussbaum, weil sie so hell ist?“
Der Verkäufer brach in schallendes Gelächter aus.
„Nein. Wenn ich hier eine Flöte aus Heronussbaum hätte, würde ich sie verkaufen und mir dann ein Haus in Ventef kaufen. Nichts für ungut, mein Junge. Ist nicht böse gemeint, wenn ich lache. Eine Flöte aus Heronuss. Das wäre was. Man sagt einer Flöte aus Heronuss nach, dass sie magische Kräfte hat. Ich selbst habe aber weder eine gehört noch gesehen. Wenn du mal eine hörst, kannst du mir ja dann Bescheid geben.“, und dabei lachte er noch mal ausgiebig.
Das vertrieb Hanrek aus seinem Laden.
Als er an einem Laden mit exotischen Tieren vorbei kam, sprach ihn der Ladenbesitzer an.
„He Junge. Willst du einen Affen kaufen? Er kostet nicht viel.“
Hanrek blieb stehen. In dem Laden gab es mehrere kleine Äffchen, außerdem Vögel und einige Tiere, die Hanrek noch nie gesehen hatte. Es war ein ziemlicher Lärm in dem Laden.
„Was würde denn einer kosten?“, fragte Hanrek.
„5 Kronen.“
Das war eine Menge Geld.
Wenn jemand im Königreich Kronen sagte, meinte er Silberkronen. Eine Silberkrone war so viel wert wie Hundert Kupferlinge und Hundert Silberkronen gaben eine Goldkrone. Aber eine Goldkrone hatte Hanrek noch nie gesehen. In Hallkel war keiner reich, und wenn einer eine Goldkrone besaß, dann zeigt er sie sicher nicht herum.
Zollan