Ein letztes Mal sah ich noch auf seine geschlossenen Augen bevor ich meine Oberlippe hoch zog und meine Fänge sanft in sein Handgelenk sinken ließ. Ohne Vorsicht, wie Sam gesagt hatte, und ohne groß darüber nachzudenken, ließ ich meinen Instinkten freie Hand. Jedoch nicht zu viel, denn das leer saugen eines Opfers stand leider auch auf der Liste meiner Triebe. Ich nahm nur sehr wenig von ihm und ließ zu, dass mein Speichel sich in seiner Wunde ausbreitete. Nur einen kurzen Moment wartete ich noch ab, dann betrachtete ich die Wunde genauer. Sie blutete nicht, nachdem ich mich von seiner Haut gelöst hatte. Nicht ein Tropfen verließ seinen Arm, obwohl der Weg durch die geöffneten Punkte offen stand. Ich war fasziniert, trotz der Scheu die ich immer vor diesem Augenblick hatte. In meinen Erinnerungen meldeten sich Sams Worte. Also ging ich um das Bett herum und wiederholte das Ganze an seinem anderen Arm. Wütend darüber, dass ich meine Zähne direkt neben frischen fremden Bisswunden in sein Fleisch bohrte, musste ich mich mehr konzentrieren als je zuvor. Und als ich schließlich den Blick auf seinen Hals wendete und das Pflaster löste, was auch dort bereits bestehende Wunden abdeckte, flüsterte ich leise neben seinem Ohr. „Verzeih mir!“ Dann biss ich auch dort ein letztes Mal zu. So sanft wie ich konnte. Während ich mit seinem Blut dort in Berührung kam, stellte sich mein Geist auf seinen ein. Ich konnte spüren, dass er bei mir war in seinen Gedanken. Dass er, auf was auch immer für eine Weise, wach war und entfernt wahr nahm, was ich tat. Die Erinnerungen an meine eigene Verwandlung stiegen in mir auf, aber da ich befürchtete diese Bilder in seinen Kopf zu projizieren, schob ich sie beiseite. Ich wollte wissen, was er fühlte, ob er die selben Schmerzen leiden musste. Doch was ich fand, war annehmbar. Durch das viele Morphium in seinem Blut, war die Wirkung anscheinend nur abgeschwächt. Sicher konnte es ebenso gut sein, dass sein Körper einfach viel zu beschädigt war, als dass er noch viel hätte fühlen können. Als ich spürte, wie neue Wut in mir aufstieg, ließ ich von seinem Hals ab. So etwas sollte er auf gar keinen Fall fühlen, bei dem was ihm bevor stand.
Völlig geräuschlos krabbelte ich auf sein Bett, hob seinen Oberkörper hoch und lehnte ihn gegen mich. Alles so vorsichtig es ging, denn ich war mir sicher, dass der Schlauch in seinem Hals nicht verrutschen sollte. Zumindest noch nicht. Also saß ich hinter ihm und hielt ihn zumindest halb in meinem Armen. Fragen tauchten in meinem Kopf auf. Was würde sein, wenn er wach wird. Ob er es mir verzeihen kann, was ich ihm angetan hatte? Erst brachte ich sein Leben in Gefahr und nun, um ihn nicht zu verlieren, machte ich ihn auch noch völlig egoistisch zu meines Gleichen. Verdammte ihn zu einem Leben im Schatten, wo er doch seine spanische Sonne so sehr liebte. Oder was wenn er zusätzlich noch dazu Probleme haben wird, seine eigenen Triebe unter Kontrolle zu halten? In den ersten Wochen oder gar Monaten überwältigte einen jedes Gefühl, weil man es plötzlich 100 Mal so intensiv erleben konnte. Und dazu kam noch der Durst. Frisch verwandelt würde es ihm sicher Probleme machen, das unter Kontrolle zu bringen. Seinen Job konnte er nun auch vergessen. Und für all das, wird er mir die Schuld geben. Wo selbst wenn er es nicht täte, ich mir trotzdem bewusst war, dass ich sie hatte. Die Schuld an allem was passiert war.
Mit der Zeit, wurde der Herzschlag der mir so nahe war etwas stärker, aber auch etwas langsamer. Sein Körper wurde härter und von Stunde zu Stunde sank seine Temperatur. Er würde mich nicht mehr als kalt empfinden, was vielleicht ein der wenigen Vorteile war. Vor der Tür war niemand mehr. Was ich fest stellte, als ich mir endlich wieder die Mühe machte, meine Aufmerksamkeit weiter auszudehnen, als auf dieses Zimmer. Wir waren allein. Ich war mir sicher, dass die gesamte Etage nun leer war.
Etwa eine Stunde verging noch, bis ich wieder Schritte hören konnte. An ihrem Rhythmus erkannte ich Sam. Er fragte bereits auf dem Flur um die Ecke, ob er den Raum betreten dürfte. „Natürlich.“ Sagte ich sehr leise, grade so, dass er es hören würde. Nur eine Sekunde danach schwang die Tür auf, und Sam stand mit einer Kühlkiste in der Hand neben mir. Die Kiste landete auf dem Tisch neben mir und Sam betrachte Adrian genauer. Ein Blick auf die Uhr, verriet ihm etwas, dass mir verborgen blieb. Denn als Reaktion darauf, schaltete Sam sämtliche Geräte ab und zog den Schlauch aus Adrians Hals. Auch die Infusionsnadeln entfernte er schnell und entsorgte alles in den medizinischen Abfall. „Was machst du da?“ fragte ich vorwurfsvoll, als er damit anfing. „Er braucht das jetzt nicht mehr. Er wird auch nicht begeistert sein, wenn er aufwacht und die Dinge zerbrechen, wenn wir versuchen sie aus einem Stein zu ziehen.“ Das leuchtete mir ein. „Und was ist in der Kiste?“ wollte ich weiter wissen. „Na was glaubst du denn? Blut natürlich. Auch wenn ich es nicht gern sage, schütze ich mein Personal gern, denn du weißt nicht wie stark sein Instinkt sein wird, wenn er zu sich kommt.“ Das war, so leid es mir tat, natürlich auch richtig. „Was hast du deinem Personal gesagt?“ Ich wunderte mich immer noch, dass keiner mehr kam um nach Adrians Befinden zu sehen. Sam senkte seinen Blick und befühlte Adrians linken Arm, wo inzwischen nur noch ein Schatten der bestehenden Wunden zu sehen war. „ Ich sagte ihnen, er sei gestorben und du wolltest dich verabschieden. Lediglich Janine kennt die Wahrheit.“ Dann musste ich Sam genauer betrachten und auch er sah mich aufmerksam an. „Sie macht sich große Sorgen um dich.“ Pff, na klar um mich macht sie sich Sorgen. Lachhaft. Ich verdrehte noch die Augen, sagte nichts dazu und senkte wieder meinen Blick. „Urteile nicht zu früh über deine Freundin.“ Sofort riss ich den Kopf wieder hoch. „Schnüffelst du schon wieder?“ Sam sah doch tatsächlich bedrückt und etwas schuldbewusste aus. „Verzeih. Aber ihre Sorgen sind berechtigt. Denn sie macht sich Gedanken, wie das nun alles verändern wird. Wie es dich verändern wird.“ Ich nickte Sam zu. „Von mir aus, aber halt dich aus meinem Kopf raus!“ Diese Worte kamen vielleicht etwas zu scharf raus, aber es kümmerte mich grade wenig. Adrian in meinem Arm wurde unruhiger, bewegte sich immer wieder und ich hatte tatsächlich langsam Mühe ihn zu halten. Er wurde stärker und auch die anderen Veränderungen machten sich breit. Sam hatte den Raum ohne ein weiteres Wort verlassen. Das war auch besser so, ich wollte ihn nicht da haben, wenn es vorbei war. Ich wollte niemanden da haben.
Die Stunden vergingen weiter, ohne dass ich mich auch nur rührte. Ich konnte regelrecht sehen, wie Adrian litt und versuchte nur noch so gut es ging ihn zu beruhigen. Ich war mir sicher, dass er mich inzwischen hören konnte, also redete ich auf ihn ein. Beruhigte ihn immer wieder, obwohl ich wusste was mir noch bevor stand, wenn es endete. Sein Herz hämmerte noch so gut es konnte, kämpfte den letzen Kampf um sein Leben, den es gleich verlieren würde. Nur zu gut, erinnerte ich mich daran, wie es sich anfühlte. Gleich würde es immer langsamer und leiser werden, würde nach und nach versteinern und aufgeben. Einfach auch nicht mehr in der Lage sein, diese Bewegung auszuführen und so gemein es auch klang, es wurde dann einfach nicht mehr gebraucht.
Leider zog es sich noch lange hin, bis es soweit kam. Vielleicht lag es an den vielen Verletzungen, die geheilt werden mussten oder ich habe einfach nicht genug Toxine in seinen Körper gebracht. Doch noch atmete er, wenn auch heftig und begann sich an meine Arme zu krallen. Mit viel mehr Kraft, als ich es von ihm gewohnt war. Dann schlugen auch endlich seine Augen auf und das erste was ich hörte war „Katrina“. Ich versuchte zu lächeln, aber ich wusste auch, dass er immer noch litt. „Ja ich bin da, beruhige dich, es ist bald vorbei.“ Doch er regte sich nur noch mehr auf. Worte sprudelten nur so aus ihm raus als hätte er sie lange zurück halten müssen. „Was ist vorbei? Was passiert hier überhaupt?