Ich war schon damals überzeugt, dass sich die Sprecher mit dieser Anglisierung, ‚Corporate Compliance‘ statt ‚Regeltreue‘ und so weiter, von den Inhalten distanzieren, wenn nicht gar vor der Wirklichkeit flüchten. Und dann kam die Warnung: ‚Sie sehen also, dass wir auch ethisch bestens aufgestellt sind. Sie sind bekannt für ihr gutes Gespür und eine Führungskraft kann und darf nicht immer bequem sein. Aber Sie sollten auch darauf achten, nicht als Bedenkenträger oder gar als Verhinderer abgestempelt zu werden.‘
Dabei blieb es dann auch, für mich eine deutliche, in väterlicher Pose vorgetragene Ermahnung und ansonsten Ersatzhandlungen. Einige Moralquacksalber erkannten die Gunst der Stunde, gründeten eine Firma ‚Integrity & Compliance‘, die einschlägige Kurse veranstaltete. Wer daran teilnahm, wurde mit einem Sonderbonus belohnt. Ich hätte es eher Schmerzensgeld genannt.“
„Also, du wolltest mit dem Papier deine Hände in Unschuld waschen, hast dich damit bei deinen Vorgesetzten unbeliebt gemacht und jetzt die Aufmerksamkeit der Ermittler auf dich gezogen. Wie kam es denn aus deiner Sicht zu den Untersuchungen der Strafverfolger gegen ElteX?“
„Angefangen hatte das durch eine anonyme Anzeige mit wirklich belastendem Material, Bestechung von Mitarbeitern deutscher Stadtwerke. Vermutlich ging das auf einen enttäuschten Betriebsrat aus dem Geschäftsbereich Energietechnik zurück. Diese Leute wollten die Arbeitsplätze in der Kerntechnik erhalten und mussten sich deshalb erst von den Grünen und dann auch in ihrer Gewerkschaft als Knechte beschimpfen lassen. Als absehbar wurde, dass sich neue Anlagen politisch nicht mehr durchsetzen ließen, begann man auch bei ElteX an alternativen Vorhaben zu arbeiten. Durch Verschwelung sollte Müll umweltfreundlich beseitigt und Energie gewonnen werden. Leider gab es Schwierigkeiten, das Verfahren vom Maßstab eines Versuchslabors auf den einer Fabrik zu bringen. Schließlich mussten doch eine Menge Mitarbeiter entlassen werden. Das hat wohl bei jemandem das Fass zum Überlaufen gebracht. Dann kamen andere Schmiergeldskandale im Zusammenhang mit Geschäften im Ausland ans Licht. Man tat das zunächst als Missetaten einzelner schwarzer Schafe ab, wie sie eben bei dreihunderttausend Mitarbeitern schon mal vorkommen könnten. Später stolperte dann mal ein Firmensprecher über die Wendung ‚Eine unglückliche Häufung von Einzelfällen‘. Der Vorstand behauptete jedenfalls immer, von keinen Unregelmäßigkeiten gewusst zu haben und alles getan zu haben, um sie zu unterbinden. Ich glaube, ich habe jetzt alles gesagt, was mir zu den Anschuldigungen einfällt, brauchst du sonst noch etwas?“
„Nichts, was es in einem Besprechungsraum eines Gefängnisses gibt“. Georg kannte die Vorliebe seines Freundes für Champagner. „Wir haben gleich den Termin mit der Staatsanwältin beim Haftrichter. So, wie du das schilderst, hat die Anklage ein Kartenhaus gebaut. Mit irgendwelchem Material aus dem Verfahren gegen Gumede in Südafrika will man dir Korruption in Sachen African Electric anhängen. Die Anklage wird alles versuchen, dich mit Untersuchungshaft zu schrecken. Die glauben, dass du viel mehr und viel Genaueres über die dunklen Machenschaften bei ElteX weißt, als du in dein vornehmes Memorandum hineingeschrieben hast. Und das wollen die aus dir herauspressen.
Du musst dir also gut überlegen: Was weißt du wirklich, was willst du davon preisgeben, welches Wissen kann man dir nachweisen, und würdest du dem Druck einer Haft standhalten? Wenn du hinreichend belastendes Material gegen ElteX-Führungskräfte lieferst, könnte die Anklage auf weitere Haft verzichten, dich vielleicht sogar als Kronzeugen davon kommen lassen.“
„Ich bin doch unschuldig. Natürlich glaube ich, dass bei ElteX, und natürlich auch bei anderen, so sehr am Rand gesetzlicher Rahmen gehandelt wurde, dass es Überschreitungen gegeben hat. Aber eigentlich reime ich mir nur überhörte Bruchstücke und Vermutungen zusammen. Genaue, belastungsfähige Aussagen, wer was wann gemacht hat, kann ich nicht liefern. Ich glaube auch gar nicht, dass es viel persönliche Schuld gibt, etwa in dem Sinn, dass Leute Gelder unmittelbar in die eigene Tasche gelenkt hätten. Nein, die wollten zunächst einmal etwas für den Erfolg des Hauses ElteX tun, um sich damit dem Druck der Shareholder-Value-Manager zu entziehen. Als Mitglied der über 150 Jahre alten Eltech-Familie lebt man in einer eigenen Welt: ‚Ein feste Burg ist unser Haus Eltech‘. Was außerhalb der schützenden Burgmauer geschah, nahm man nur oberflächlich wahr. Man stellte sich zwar dem verschärften globalen Wettbewerb, aber man übersah, dass sich auch dessen Spielregeln änderten. Man hat zwar gemerkt, dass es nicht mehr politisch korrekt war, von Asiaten als Kanaken und von Afrikanern als Negern zu reden. Aber es wurde übersehen, dass diese Entwicklung eine Änderung des Geschäftsstils erforderte: Die Behauptung, Korruption sei in diesen Ländern nun mal üblich, wirkte nicht mehr entschuldigend. Gesellschaft und Politik hatten sich von den überkommenen Anschauungen und Gewohnheiten des Hauses Eltech weg entwickelt, das musste zu Spannungen und schließlich zu Zusammenstößen führen. Also, da waren keine Gauner am Werk, sondern die Firmenkultur war zu starr.“
„Zeigst du selber nicht genau denselben Corpsgeist, den du an Anderen bemängelst?“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich wohl fühlen würde, wenn ich einzelne Personen belasten würde.“
„Du musst natürlich auch an deine Zukunft denken. Falls du gegen andere aussagst, insbesondere Mitglieder des Vorstands, wird dir wahrscheinlich sofort gekündigt. Solange du verhaftet bist, kannst du keine Arbeitsleistung für ElteX erbringen. Wegen der bevorstehenden Feiertage wird man das vielleicht eine Zeitlang hinnehmen, dann wirst du deinen Urlaub absitzen, und wenn der verbraucht ist, wird es bestenfalls nur noch unbezahlten Urlaub geben. Oder es wird dir eben doch gekündigt, z.B. weil sich die jetzige Konzernführung mit oder ohne deine Aussage nicht halten kann und ein neuer Vorstand das gesamte Ancien regime auf die Guillotine schickt. Wenn sich deine Unschuld herausstellt, müssen sie dir allerdings das Gehalt nachzahlen und eine etwaige Kündigung zurücknehmen.“ „Ich bin unschuldig, aber ich weiß auch: Vor Gericht und auf hoher See ist man mit Gott allein. Es sieht doch so aus, dass ich jetzt durch eine Aussage nichts gewinne. Ich sage nichts, zumindest solange niemand von ElteX etwas gegen mich unternimmt.“
„Du hast hier keine Zeitung gelesen, nehme ich an? Da steht heute nicht nur drin, dass gegen leitende ElteX-Mitarbeiter ermittelt wird und du in Untersuchungshaft genommen wurdest, sondern auch ein Interview mit Mirschberg. Seine Kernaussage: Es habe wohl bei ElteX ein Netzwerk von Kriminellen gegeben, von dem er aber nichts gewusst habe. Er konnte es dabei belassen, brauchte deinen Namen gar nicht zu nennen. So suggeriert man dem Leser, dass du als gerade Verhafteter ganz offensichtlich zu diesem Netzwerk gehörst.“
„Das ist infam! Er lügt. Vermutlich belügt er auch sich selber, was aber nichts besser macht. Ein Vorsitzender eines Vorstands muss sich auch vor seine Leute stellen, er darf sich nicht aus der Verantwortung für Fehlentwicklungen stehlen. Welche Werte gelten denn noch für einen solchen Mann, was ist das für ein Selbstverständnis, wie kann der mit sich im Reinen sein?“ „Aus meiner Erfahrung als Verteidiger: Die Täter bauen sich da oft eine eigene Welt, in der dann auch eine private Moral gilt. Du musst dich aber entscheiden, ob du weiter dabei bleiben willst, nichts Belastendes auszusagen.“
„Ich glaube schon. Wie würde denn ein Gericht mein Gespräch mit Mirschberg in der Metzgerei bewerten? Die Verkäuferinnen als Zeugen? Das wird doch Kabarett.“ „Da könntest du recht haben.“ „Wenn Mirschberg und andere Bescheid wussten, und daran zweifle ich nicht, müssten sich harte Beweise dafür finden lassen. Warum die durch eine schwache Aussage verdünnen? Ich sage erst mal nichts.“ „Durch die Untersuchungshaft wirst du gezeichnet.“
„Ich bin ja schon verhaftet, und das steht in der Zeitung. In den vergangenen