„Nun zu dem anderen Komplex: Du sollst angeregt haben, weltweit Beratungsgesellschaften zu gründen, mit der Absicht, auf diese Weise Bestechungen zu verschleiern. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dazu sogar ein von dir verfasstes Papier zu haben.“
„Ich verstand African Electric zunächst als eine rein opportunistische Gründung, als Versuch, unser Geschäft in den wilden Zeiten des politischen Umbruchs über Wasser zu halten. Dann merkte ich, dass dieses Geschäftsmodell eine allgemeinere Bedeutung haben könnte. Die Zeiten, wo es auf einer Seite Fabrikanten und auf der anderen Seite Konsumenten gab, gingen vorbei. Im ehemaligen Ostblock, in Asien und anderswo befreite man sich von den oft sogar selbst angelegten Fesseln und wollte teilhaben, am Forschen, Entwickeln, Produzieren und natürlich auch am Verdienen. Wer da nicht mitspielte, würde untergehen. Dabei zogen auch zu Hause Wolken auf: Die Privatisierung von Post, Telefon und Bahn sowie die Öffnung des Marktes für die europäische Konkurrenz gefährdeten Eltechs Rolle als Staatslieferant Deutschlands, die immer so bequem gewesen war. Und es gab Geschäftsfelder, die in Deutschland unerwünscht waren, wie die Kernenergie. Die könnte man besser vom Ausland aus weiter führen. Ich ließ solche Überlegungen in meine Berichte an den Vorstand einfließen. Üblicherweise las man da höchstens die Zusammenfassungen am Anfang. Da schrieb ich dann mal rein, wir könnten uns mit einer solchen Strategie die Globalisierung zunutze machen, um uns an die Spitze der Entwicklung zu setzen.
Aus Gründen, über die ich nur Vermutungen anstellen kann – vielleicht war der Vorstand gerade auf einem dieser unsäglichen Kamingespräche mit irgendwelchen Gurus gewesen und spürte den Drang, dem Gerede etwas Handfestes folgen zu lassen –, wurde das begeistert aufgegriffen. Immerhin hatte ich ja in Südafrika gezeigt, dass man mit einigem Gespür sogar aus potenziell schädlichen Entwicklungen Vorteil ziehen kann. Ich wurde nach Deutschland zurückgerufen und warb für Dezentralisierung und Subsidiarität. Wie zu erwarten, gab es zähen Widerstand von allen, die dabei etwas zu verlieren hatten, besonders aus den Leitungen der bisherigen Landesgesellschaften, deren Einfluss durch die Hereinnahme einheimischer Partner verdünnt worden wäre. Das wurde natürlich nicht so gesagt, sondern allerlei andere Argumente vorgeschoben und überhaupt viel intrigiert. Dabei habe ich mir sicher viele Feinde gemacht. Olga meinte damals, ich sei zu nüchtern, gefühllos und zu sehr an Tatsachen orientiert, ich sollte mehr psychologisches Verständnis aufbringen.
Das beeindruckte mich wenig, ich hatte recht, war erfolgreich und setzte mich durch. So schien es mir jedenfalls. Ich wurde herumgereicht, machte Segeltörns und Bergwanderungen mit den Spitzenleuten der deutschen Wirtschaft. Aber mit der Zeit begannen in mir Zweifel zu nagen. Die wurden von außen genährt durch die sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen für Geschäfte im Ausland. Zunächst durften Schmiergelder nicht mehr als betriebliche Aufwendungen steuerlich abgesetzt werden, dann wurde die Bestechung überhaupt verboten. Dahinter stand der amerikanische Drang zur Verbesserung der Moral in aller Welt. Und dann steckte Eltech, aus diesem Anlass umgetauft in ElteX, auch noch den Kopf in den Rachen des Löwen, als unsere Aktien in New York zugelassen wurden und wir damit der strengen amerikanischen Börsenaufsicht unterlagen. Überdies wurde es immer schwerer, schwarze Kassen zu führen, weil der internationale Zahlungsverkehr infolge des Terrorismus immer stärker überwacht wurde.
In mir verfestigte sich der Verdacht, dass der Widerstand gegen meine Vorschläge nicht deshalb abnahm, weil sie gut waren, sondern weil man hoffte, mit Hilfe der neuen Firmen die gewohnten, nicht ganz sauberen Geschäftspraktiken weiterführen zu können – unter der Decke von Beratungsaufträgen und anderen Scheingeschäften. Dieser Missbrauch meiner Ideen kränkte mich. Und ich war sicher, dass das über kurz oder lang auffliegen würde. Ich kämpfte lange mit mir selber, um einen Weg zu finden, den drohenden Schaden abzuwenden, ohne mich dabei selber in Gefahr zu bringen.
Schließlich verfasste ich ein gelehrtes Papier über unsere Aufstellung in der globalisierten Welt und warnte darin eindringlich vor einem etwaigen leichtfertigen Umgang mit den sich verschärfenden Regeln für den geschäftlichen Verkehr und verschickte das im Vorstand.“ „Klingt sehr allgemein. Spezielle Fehlhandlungen hast Du nicht benannt?“ „Das wäre sehr riskant gewesen, selbst wenn ich harte Beweise gehabt hätte. Ich glaube, der Vorstand hat damals die schärferen Gesetze nicht so ernst genommen. Wenn überhaupt etwas herauskäme, könne man das aussitzen, und bis dahin wäre es am besten, nichts zu wissen. Ich hatte nichts Bestimmtes, konnte es in meiner Stellung auch gar nicht haben, aber ich glaubte den umlaufenden Gerüchten, weil ich den Druck kannte, der von oben ausgeübt wurde. Da mussten alle Bereiche vierteljährig ihre Zahlen abliefern, und jedesmal musste das vorherige Ergebnis übertroffen werden, sonst setzte es ein Donnerwetter. ‚Holen sie die Aufträge rein. Wie, wollen wir gar nicht wissen‘. Obwohl das nie offen so gesagt wurde, handelte man danach und glaubte sich im sicheren Bewusstsein, damit den wahren Absichten des Hauses ElteX zu folgen.
Und dann gibt es oft Beratungen, die gar nicht mit dem Maßstab eines Controllers bewertet werden können. Ich erinnere mich da an Schwierigkeiten mit superleitenden Resonatoren. Die konnten wir nicht stabil abstimmen, weil die elektromagnetischen Schwingungen mechanische Vibrationen anfachten. Die Resonatoren wackelten, und das ließ sich nicht dämpfen, ohne die Güte der Resonatoren zu verschlechtern. Wir sahen schon hohe Vertragsstrafen auf uns zukommen, da empfahl mir mein Vetter, der Physikprofessor, einen Israeli vom Weizmann-Institut, der habe Erfahrung mit solchen Problemen. Ich rief ihn an und schilderte unser Problem. Der Mann sagte zu und wollte seine Reisekosten sowie ein Erfolgshonorar in der Größenordnung der zu erwarteten Vertragsstrafe haben. Im Vorstand leuchtete mein Argument ein, dass uns ein Misserfolg auch nicht schlechter stellen würde, während uns ein Erfolg doch wenigstens eine Blamage vor dem Kunden erspare. Der Israeli kam, schaffte Tag und Nacht, und nach einigen Wochen waren die Sollwerte erreicht. So etwas kann man nicht nach Arbeitsstunden abrechnen. Man nutzt bestimmte, wertvolle und einzigartige Erfahrungen, die im Lauf eines ganzen Lebens erworben wurden, und dafür gibt es keinen Tarif. Willst du wissen, wie der das gemacht hat?“
„Nein, lieber nicht.“ „Dann konstruiere ich dir noch ein Beispiel, das dir vielleicht näher liegt. Wir brauchen bei einem Vorhaben dringend irgendwelche Genehmigungen. Weil wir die örtlichen Verhältnisse nicht hinreichend gut kennen, nehmen wir uns einen Anwalt. Den bezahlen wir nicht nur für seine juristischen Kenntnisse, sondern mehr noch für seinen Einfluss und seine Beziehungen. Dahinter steckt eben auch eine Lebensleistung. Wie der seine Beziehungen pflegt, ist eigentlich nicht unsere Sache.“
„Du solltest mit dem Wort ‚eigentlich‘ wirklich viel sparsamer umgehen. Aber was sollte dieses Memorandum an den Vorstand eigentlich bewirken?“ „Was ich dir eben erzählte, soll eigentlich nur einige Erwägungen für einen guten Geschäftsstil veranschaulichen, so wie ich sie damals in dem Memorandum angestellt hatte. Ich setzte dabei zwei Dinge voraus: Erstens, dass die Leser klug genug wären, um zwischen den Zeilen zu erkennen, dass wir ohne Kursänderung auflaufen würden, und zweitens, dass die Änderungen umso mehr schmerzen würden, je länger man zögerte. Erinnerst du dich an unseren Mathelehrer Willy?“
„Was hat unser Lehrer damit zu tun?“ „Bei dem wurde doch nie gemogelt, und der hat auch nie einen beim Mogeln erwischt.“ „Ja, das stimmt, der stellte sich bei Klassenarbeiten einfach hinter einen. Das schüchterte so ein, dass es niemand versuchte. Aber solche Drohungen wirken doch nur so lange, wie sie glaubwürdig sind, und sie müssen im Falle eines Falles unbedingt wahrgemacht werden. Und das war bei euch eben nicht so, man ließ sich wohl nicht so einfach beeindrucken?“
„Nein, die waren dämlicher als wir Schuljungen. Zunächst passierte nichts. Dann hatte ich ein Gespräch mit dem Vorsitzenden unter ungewöhnlichen Umständen, deshalb erinnere ich mich auch noch ziemlich genau daran. Es war an einem Sonnabendvormittag, beim Metzger. Der Laden war ziemlich voll, Olga stellte sich an, die Mirschbergs kamen herein, wir begrüßten uns, Frau Mirschberg forderte Olga ausdrücklich auf, sich vor ihr bedienen zu lassen. Das war dann auch schon der amüsante Teil der Begegnung. Während die Frauen mit den Verkäuferinnen redeten,