In grauen Zonen. Christian Toepffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Toepffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738031447
Скачать книгу
anfangen, auf der Glut zu grillen. Von der Station hatten sie das saftigste Wild bekommen, das es gab: Warzenschwein. Die Dunkelheit kam schnell, es gab zwar Elektrizität von einem Generator, aber sie zündeten lieber Petroleumlaternen an. Einige Schritte weiter war es finster, ohne die Sterne wäre alles vollständig schwarz gewesen. Man sah unzählige Sterne, im Süden, knapp über dem Horizont stand das Kreuz, eigentlich eher ein Viereck.

      Es wurde angenehm kühl, man hörte die merkwürdigsten Geräusche der nachtaktiven Tiere jenseits des Zaunes. Das Fleisch wurde fertig, es schmeckte vorzüglich, der Wein passte. Sie besprachen den nächsten Tag. Olga schlug eine Besichtigung von Mabyeni vor, einer alten afrikanischen Metropole, sie hatte dort Anfang der neunziger Jahre an Ausgrabungen teilgenommen und hierüber promoviert. Gumede stimmte lebhaft zu, es handelte sich ja auch um vorkoloniale afrikanische Kultur. Wenn sie vor Sonnenaufgang los führen, hätten sie eine gute Aussicht, auf dem Weg während der Morgendämmerung Tiere zu sehen. Also schlugen die Frauen vor, zeitig zu Bett zu gehen. Mallwitz fühlte, dass Gumede das ganz recht war, denn dann würde er ganz ungestört auf sein Anliegen zu sprechen kommen können. Die Frauen gingen also in ihre Hütten, die Männer blieben an dem Kamin sitzen, in dem es noch schwach glühte.

      Gumede fing an: „Wir haben den Schwung verloren, die ANC-Kader haben den Staatsapparat eingenommen und den Kontakt zu den Massen verloren. Die Wirtschaft boomt, aber das verdanken wir der großen Nachfrage und den hohen Preisen für unsere Rohstoffe. Wir sind zu sehr abhängig von der Weltkonjunktur, auf die wir überhaupt keinen Einfluss haben. Das Black-Empowerment-Programm bringt zwar einzelne Schwarze in leitende Stellungen in Unternehmungen. Aber mit neuen Eigentümern, die außer sich selber nichts einbringen können, wird nur das Kapital verdünnt. Es bildet sich eine Kaste von fat cats, die Massen werden rebellisch, weil sie immer noch benachteiligt sind, und die politische Führung wird autoritär. Ich, das heißt natürlich auch van Reenen und viele andere – wir fürchten eine Entwicklung, die so chaotisch läuft wie in Zimbabwe. Wir dringen auf einen Richtungswechsel: Die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden, und statt auf schnelle Gewinne muss auf eine nachhaltige Entwicklung gesetzt werden. Das wird auch die Beschäftigung fördern.“ Klingt ja soweit toll, alles richtig, so habe ich es auch schon von einem Bischof bei einer Podiumsdiskussion auf einem Forum 'Reformpartnerschaft mit Afrika' gehört. Aber zu was soll das die Einleitung sein? Gumede weiter: „Zum Beispiel sitzen wir in Südafrika auf Kohle, aber es mangelt an Energie, die Stromversorgung bricht zusammen. Selbst in Houghton gibt es häufig Unterbrechungen, jeder schafft sich einen Generator an.“ Nicht jeder, sondern eben die, die es sich leisten können, dort zu wohnen. „In Soweto bleiben die Leute im Dunklen sitzen, und, was fast noch schlimmer ist, die Industrie und die Bergwerke stehen zeitweise still. Wir brauchen mehr Kraftwerke, auch Kernkraft, und das Netz muss ausgebaut werden. Und dazu brauchen wir dich.“ Du meinst nicht mich, sondern meinen Einfluss bei ElteX. „Unser Energiemanagement taugt nichts, wir brauchen moderne Verfahren zur Aufnahme der Daten und zur Überwachung und Kontrolle der Stromflüsse. Und wir brauchen neben der Kohle ein weiteres Standbein. Das Kernkraftwerk Koeberg reicht nicht, Solarenergie ist selbst hier noch viel zu teuer, ich wundere mich, dass man in Deutschland so sehr darauf setzt, bei uns scheint wenigstens im Winter auf dem Highveld die Sonne.“

      „Da ist viel Ideologie dabei“, sagte Mallwitz, „die Verbraucher müssen das subventionieren und die Hersteller zocken ab. Aber wir arbeiten an neuen Verfahren.“ „Genau das interessiert uns.“ „Bei der Photovoltaik mit Solarzellen aus massiven, kristallinen Schichten wird bei der Herstellung zu viel Silizium und Energie verbraucht. Das hat keine Zukunft.“ „Das sehen wir genau so.“ „Wir wollen nur noch dünne Schichten auf Glas abscheiden: absorbierende für das gesamte Spektrum der Sonne und leitende für den Stromtransport. Und zwar nicht chemisch aus einem Dampf bei hohen Temperaturen, sondern aus einem Plasma. Im Vergleich zur herkömmlichen Technik sind wir mindestens doppelt so gut– und in eurem Klima voll konkurrenzfähig mit Kohle und Kernkraft.“ „Seid ihr das oder wollt ihr das sein?“ Mallwitz zog es vor, sich sich bedeckt zu halten: „Die Forschung ist natürlich nicht billig – ultrareine Bedingungen und so weiter. Und dann müssen Fertigungsanlagen für die Module entwickelt werden, und das ganze muss aus dem Labor in die Massenfertigung gebracht werden.“ „Wir denken entlang ähnlicher Linien, bevorzugen es aber doch, chemisch aus dem Dampf abzuscheiden. Vielleicht sind bei uns die Chemiker besser als die Physiker.“ „Die Frage ist, ob deine Chemiker besser als meine Physiker sind.“ „Lass uns doch mal darüber nachdenken, welche Vorteile es bieten könnte, das komplementär zu sehen und beide Methoden parallel zu verfolgen.“ „Lass mich das überschlafen, wir müssen morgen früh aufstehen und können dann weiter darüber reden.“

      Es war noch dunkel, als zum Wecken an die Tür geklopft wurde. Katzenwäsche, Ankleiden, Pullover wegen der morgendlichen Kühle, heißer Tee in hastigen, kurzen Schlucken und einige Stücke Zwieback. Als sie sich am Wagen trafen, dämmerte es im Osten, der Himmel war klar, man sah die Venus, ein gutes Zeichen für den neuen Tag. Das Tor der Station wurde geöffnet, sie fuhren langsam den Abhang herunter zu einem Hauptweg und weiter nach Mabyeni. Nach einigen Kilometern liefen vor ihnen zwei Dachse über den Weg. Kurz nach Sonnenaufgang bremste der Fahrer scharf. Hinter dem Wagen richtete sich eine Kobra auf, sie war gestört worden, als sie am Wegrand die Wärme der ersten Sonnenstrahlen suchte. Cindy erregte sich außerordentlich und bat den Fahrer, auszusteigen, um ein Gruppenvideo mit Kobra zu drehen, das wolle sie im Fernsehen verwerten. Der Fahrer zögerte und erhielt zu seiner offensichtlichen Erleichterung Unterstützung von Gumede. Der hatte einst als Junge in Zululand Vieh gehütet, und die Alten hatten ihm Respekt vor gefährlichen Tieren beigebracht. Cindy fragte, ob man wenigstens den Wagen zurücksetzen könne, um näher an die Kobra heran zu kommen. Der Fahrer lehnte auch dies ab: die Kobra könne einem Gegner über Meter hinweg ihr Gift in die Augen spucken. Schließlich einigte man sich auf eine Aufnahme mit Cindy und den Anderen auf der Rückbank als Vordergrund und der Schlange im Hintergrund.

      Mallwitz war zufrieden: Er hatte in freier Umgebung zwei Tierarten gesehen, die er sonst nur aus dem Zoo kannte. Der Ausflug blieb auch weiterhin ein Erfolg. In Mabyeni aßen sie zunächst ihr mitgebrachtes Frühstück. Dann führte sie Olga, die sich gut vorbereitet hatte, durch die Reste der Stadt, in der zwischen 1550 und 1650 lebhafter Handel getrieben worden war. Gold und Elfenbein aus dem Inneren Afrikas wurde getauscht gegen Waren, die von den arabischen und portugiesischen Niederlassungen an der Küste herauf kamen. Es gab sogar chinesisches Porzellan, das Olga neben goldenem Schmuck im Grab einer Frau gefunden hatte. Das wies auf eine hierarchische Gesellschaft mit einer reichen Oberschicht hin, eine Vorstellung, die in Kreisen, die die afrikanische Vergangenheit egalitär verklärten, wenig Anklang fand. Gumede wollte das nicht weiter vertiefen, sprach stolz von dieser und von anderen Metropolen, die durchaus mit dem Rom der Europäer vergleichbar seien – etwa von Great Zimbabwe. Olga ließ nicht locker: „Aber man kann sich doch fragen, warum diese Städte jeweils nur hundert Jahre und nicht tausend Jahre bestanden. Ich glaube, diese Gesellschaften mit einem göttlichen Führer und einer kleinen Clique von Beratern an der Spitze waren einfach zu starr, um lange bestehen zu können.“ Man schwieg. Die Parallelen zur Gegenwart waren zu offensichtlich. Georg lenkte das Gespräch auf die Rekonstruktion der Gemäuer und lobte, dass sie behutsam erfolgt sei und gerade dadurch Vertrauen in die Bedeutung des Ortes erwecke.

      Auf dem Rückweg nahm der Verkehr zu, gelegentlich verursachte der massenhafte Ansturm, der der Sonnenfinsternis geschuldet war, sogar einen Stau. Bei der Einfahrt in die Polizeistation sahen sie auf dem Hof einen Haufen abgerissener Menschen mit Bündeln und anderem schäbigen Gepäck, die gerade in eine umzäunte Baracke geführt wurden. „Flüchtlinge aus Zimbabwe, die wir in den letzten Stunden aufgelesen haben, nachdem sie über oder durch den Limpopo gekommen sind. Wir sammeln sie hier ein und schicken sie gruppenweise ins Innere.“

      Später am Nachmittag tranken die Frauen Tee bei Frau van Reenen und erzählten einander aus ihrem Leben, ein Stück weiter nahmen die Männer einen frühen Sundowner im Schatten. Mallwitz führte das Gespräch des gestrigen Abends fort. „Was du gesagt hast, Malandela, liegt doch ganz auf Regierungslinie: Statt Ausverkauf von Rohstoffen die Entwicklung und Fertigung von technischen Spitzenprodukten, die auf dem Weltmarkt bestehen können. Und der lokale, also der südafrikanische Anteil bei Vorhaben mit Anderen muss aggressiv erhöht werden, wie sich eure