Jänner 1993
Es war der erste Schultag nach den Weihnachtsferien. Niko stapfte durch den zentimeterhohen Schnee über den Schulhof zu der Gruppe Jugendlicher, die vor dem Tor ins Gebäude standen. Seine Schulkameraden waren gerade dabei, über ihre Ferienerlebnisse zu erzählen. Nikos Schilderung fiel kurz und unspektakulär aus.
»Wir sind in Wien geblieben. Keiner von uns fährt Schi und ich bin sowieso mehr der Sommertyp.«
Während er sich Geschichten von Tiefschneefahrten in Tirol und Aprés-Ski Diskotheken anhörte, schweifte sein Blick immer wieder über die eintreffenden Schüler. Da er nach einem bestimmten Mädchen Ausschau hielt, fiel ihm nicht auf, wie jemand näher kam und ihn unsanft rempelte.
»Na, hast du schöne Ferien gehabt, daheim?« Die herablassende Stimme gehörte zu Mathias, mit dem Niko schon immer seine Probleme hatte. Wenn es nach den Gerüchten in der Schule ging, störte es den Sohn einer bekannten Politikerfamilie, dass sich Niko mit einem Mädchen so gut verstand, welches er selbst näher kennenlernen wollte.
»Ich brauche keine großen Reisen, um schöne Ferien zu haben. Zieh ab!«, fauchte Niko ihn an. Beim Eingang zum Schulareal konnte er endlich eine bekannte Gestalt entdecken. Dick eingehüllt in eine weiße Daunenjacke kam das großgewachsene Mädchen auf ihn zu. Als sie ihre Kapuze abnahm, kamen ihre rotbraunen Haare zum Vorschein. Die dichten Locken fielen umso mehr auf, da sie einen sehr blassen Teint hatte. Neben ihren Haaren fiel ihr breiter Mund auf, mit auffällig roten Lippen. Diese Lippen warfen beim Näherkommen der Gruppe ein Lächeln zu.
»Hallo, Julia!«, begrüßte Niko die junge Frau und kam ihr entgegen.
Einige aus der Gruppe grinsten. Es war ein offenes Geheimnis, dass Niko über beide Ohren in das Mädchen verknallt war. Obwohl auch einige ihrer Freundinnen Andeutungen gemacht hatten, dass Julia ihn sehr gern hatte, waren beide zu schüchtern und wollten ihre Freundschaft nicht riskieren.
Julia umarmte Niko und drückte ihm einen Schmatzer auf die Wangen. Niko durchfuhr ein wohliger Schauer, als er ihre Lippen spürte. Gleichzeitig war er bemüht, sich vor seinen Freunden nichts anmerken zu lassen. Rot wurde er trotzdem.
»Ich habe dir so viel zu erzählen. Die Woche in der Schweiz war traumhaft. So viel Schnee, das Essen, jeden Tag Schifahren. Am liebsten wäre ich dort geblieben.«
Sie winkte in die Runde.
»Aber ganz ehrlich, diesen Haufen hier würde ich schon sehr vermissen.«
Julia legte den Arm um Niko und zog ihn zu sich.
»Besonders dich, Niko.«
Er spürte, wie sein Gesicht glühte, wollte etwas antworten, doch ihm fiel nichts Intelligentes ein.
Zwei Schulstunden später waren die Weihnachtsferien schon wieder vergessen. Die gesamte Gruppe war in der Pause im Freien versammelt.
»Ich würde gern in den neuen Film mit Kevin Costner, Bodyguard«, meinte Julia, erntete aber nur ablehnende Blicke.
»Herz, Schmerz, Bussi, Bussi. Nein danke, das ist mir zu langweilig.«
»Das ist doch nur so eine Liebesschnulze.«
»Ja, aber mit Kevin Coster!« Julia wandte sich an Niko.
»Hättest du vielleicht Lust? Ich weiß, es ist nicht ganz dein ...«
»Ja gerne, warum nicht?«, antwortete er sofort.
»Dann haben wir heute Abend ein Date.«
Niko versuchte ruhig und gelassen zu wirken. Aber innerlich stieg seine Nervosität, sein Bauch zog sich zusammen. Ein echtes Date mit seiner großen Flamme, endlich einmal nur zu zweit. Das konnte nur ein schöner Abend werden.
»Und was ist mit unserem Spieleabend?«, warf Daniel ein. Er wohnte im gegenüberliegenden Haus von Niko, zusammen verbrachten sie viele Nachmittage vor ihren Amiga Computern. Da Daniel kein großes Interesse an Mädchen zeigte, verstand er nicht, wieso ihn die Freunde schmunzelnd angrinsten.
»Ich glaube, Niko zieht den Abend mit unserem Rotschopf dem Fertigspielen von Indiana Jones vor.«
Julia klopfte Daniel auf die Schulter.
»Ihr Jungs und eure Spielsachen. Indiana Jones and the Fate of Atlantis? Soll ich dir verraten, wie es ausgeht?«
»Du hast es nicht ...«
»Doch, ich habe das Rätsel um Atlantis gelöst. Soll ich dir eine kurze Zusammenfassung geben, wie ich es geschafft habe?«
»Nein!«, antwortete Daniel trotzig, »Ich will es selbst schaffen.«
Mit einem schelmischen Grinsen drückte sie den verdutzen Daniel an sich.
»Nichts gegen Indy, aber das beste Spiel ist immer noch Monkey Island, egal ob 1 oder 2. Es war aber auch leicht zum Durchspielen.«
Daniel sah sie überrascht an.
»Jetzt übertreibst du aber.«
Niko hatte miterlebt, wie sich Daniel mit seiner Hilfe nächtelang an dem Adventure-Game die Zähne ausgebissen hatte. Er war auch dabei gewesen, als sie zusammen den zweiten Teil beendet hatten. Den folgenden Tag war Daniel der Held in der Klasse, verriet aber nicht, wie die Geschichte um den Piraten Guybrush ausging.
Julia strich ihre nassen Haare zurück und baute sich vor Daniel auf.
»Brauchst