Die Stimme von Alfr riss seine Gedanken von der Kriegerin los.
»Wir hatten vor der Abfahrt kaum Zeit, uns zu unterhalten«, meinte er. »Hat der Zauberer den Pilz deiner neuen Vasallen zum Wachsen gebracht? Vater meinte, dass davon letztendlich der Erfolg der Siedlung abhängen wird. Die Vorräte, die wir unterwegs kaufen, dienen ja bestenfalls dem Aufstocken dessen, was wir ihnen gegeben haben.«
»Aye, das hat er«, erwiderte der Jarl. »Ich bin nicht mehr dazu gekommen, es mir selbst anzuschauen, aber er meinte, es verliefe alles nach Plan. Das Köttsten anzupflanzen gehört zu den ersten Arbeiten der Siedler. Ich habe sie mit Werkzeug und Vorräten ausgestattet und ihnen jeden Handwerksmeister zur Verfügung gestellt, den ich entbehren konnte. Sie haben praktisch alle Nahrungsmittel bekommen, die ich auf Snaergarde in Reserve hatte. Was wir unterwegs kaufen, dient tatsächlich dazu, meine Vorratskammern für den Winter wieder zu füllen. Hoffen wir mal, dass dieses Pilzgewächs aus ihrer Heimat wirklich so gut gedeiht, wie Darane vorausgesagt hat. Besonders, wenn wir an die Lage an der Küste denken.«
Bei den letzten Worten des Jarls verdüstere sich die Miene von Alfr. Es war bislang bei nur drei Sichtungen von missgestalteten, verderbten Fischen geblieben. Auch war es nach wie vor ausschließlich bei Seelachsen vorgekommen. Nur bei Tieren also, die weitab der Küste in den tieferen Gewässern lebten. Trotzdem war allein schon die Tatsache, dass Fische überhaupt von den unheimlichen Veränderungen betroffen waren, ein neuerliches Damoklesschwert, das über jedem einzelnen Bewohner von Norselund hing. Der Fisch war die einzige zuverlässige Nahrungsquelle, über welche die Insel seit dem Grau verfügte.
»Du riskierst bei der Sache nicht wenig«, meinte er und suchte den Blick des Jarls, den dieser lächelnd erwiderte.
»Tollkühn war meine ich der Ausdruck, den dein Vater gebraucht hat«, meinte Varg. »Und ich widerspreche ihm nicht. Aber ich traue Darane weiter als er oder sonst jemand es tut. Ich weiß, dass die anderen dem Zauberer misstrauen, aber er hat einfach keinen Grund uns schaden zu wollen. Außerdem sagt mir mein Instinkt, dass er unser Freund ist. Ebenso wie er es bei der hohen Wächterin der Vannbarn getan hat. Ein alter Wolf sollte auf seine Instinkte vertrauen. Die Sache mag riskant sein, aber in diesem Bündnis liegt ein großes Potential. Für Ulfrskógr und, wenn das Köttsten so ertragreich ist, wie es der Fall zu sein scheint, für ganz Norselund. Gerade in Anbetracht der Bedrohung der Fischbestände.
»Hat der Zauberer eigentlich seinen götterverdammten Köter mit auf das Schiff gebracht?«, wollte Alfr wissen. »Ich habe ihn noch gar nicht gesehen. Hören tut man das Vieh ja ohnehin nie. Nicht, dass ich seinen Anblick vermissen würde. Dieses Geschöpf verursacht mir eine Gänsehaut. Allein wie er einen ansieht. Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt ein Hund ist.«
»So reichlich, wie er frisst und scheißt, wird er das schon sein«, meinte Varg trocken. »Aber ich weiß, was du meinst. Das Tier ist merkwürdig. Myno ist mit Darane an Bord. Die Reise auf See scheint dem Biest ebenso gleichgültig zu sein wie alles andere.«
Die Vorbehalte anderer Menschen gegenüber dem Hund des Zauberers vermochte der Jarl nachzuvollziehen. Er war mit Hunden aufgewachsen und hatte sowohl auf Snaergarde wie auch in seiner Zeit in Høyby stets welche in seiner Nähe gehabt. Im Grunde war Myno ja ein außerordentlich pflegeleichtes Tier. Er fraß Unmengen an Futter jeder Art, wenn man es ihm hinstellte, bettelte aber nie, falls er einmal nichts bekam. Er bellte nicht, knurrte nicht und war generell ruhig und scheinbar ausgeglichen, beinahe lethargisch. Darane gehorchte er aufs Wort, während er andere Menschen geflissentlich links liegen ließ.
Die Irritation, die Varg dem Hund gegenüber empfand, zeugte in erster Linie davon, wie andere Tiere auf seine Anwesenheit reagierten. Sie ignorierten ihn, als wäre er überhaupt nicht vorhanden. Ganz gleich, ob es sich dabei um andere Hunde, Pferde oder gar Katzen handelte. Sie scheuten nicht vor dem pelzigen Begleiter des Zauberers zurück, sie schienen ihn einfach nicht wahrzunehmen. Die andere Sache war die Art und Weise, in der Myno einen gelegentlich anschaute. Diese kalten, grauen Augen gehörten schlichtweg nicht in ein Hundegesicht. Es war Varg jedes Mal für einen Sekundenbruchteil, als würde er im Spiegel das stählerne Grau seiner eigenen Augen sehen, dass so typisch für die Herren von Norselund war. Mit diesem kühlen, leeren Blick schaute einen der Hund teilweise minutenlang an. Wie ein Schwachsinniger oder eine lebendige Statue. Dabei hatte man mal den Eindruck, er blicke einem in sein innerstes Selbst, mal schien es, als ob er durch einen hindurch schaute wie durch Luft. Die Gesellschaft des Tieres würde der Jarl, im Gegensatz zu der seines Herrn, jedenfalls nicht vermissen.
Die beiden Männer hatten das Mittschiff hinter sich gelassen und stiegen nun die hölzernen Stufen zum Heckaufbau hinauf. Wieder an der Reling angekommen, standen sie nebeneinander im kalten Seewind und schauten in die zerwühlte nordische See, die sich vor ihnen erstreckte.
»Und diese wundervolle Reise«, seufzte Alfr nach einer Weile, »darf ich von nun an jedes verdammte Jahr meines Lebens machen. Auch wenn ich es grundsätzlich genieße, auf See zu sein, ist das keine besonders erfreuliche Aussicht. Gewöhnt man sich eigentlich je an diesen Schwachsinn?«
»Nay, es ist jedes Frühjahr wieder aufs Neue zum Kotzen«, antwortete Varg lächelnd, »jedenfalls geht mir das so. Aber falls es dich tröstet, ich teile dein Leid. Beide haben wir auf mittlere Sicht keine Söhne, auf die wir diese Pflicht abwälzen können.« Mit feierlicher Stimme fügte er hinzu: »Der Herzog oder sein ältester Sohn nimmt an den heiligen Festlichkeiten teil. So sei es geschrieben und verkündet im Reiche Stennward.«
Alfr warf ihm einen amüsierten Seitenblick zu.
»Teilen wir diese unerfreuliche Erfahrung etwa?«, wollte er wissen.
»Gewissermaßen«, nickte Varg. »Mein alter Herr hat mich mit vierzehn einmal mit deinem Vater und dem Großvater von Bjorn zusammen losgeschickt. Ich war ganz alleine der Repräsentant von Ulfrskógr und hätte mir am Hof beinahe in die Hose gemacht. Danach hatte ich allerdings noch ein paar Mal Ruhe, bis Vater gestorben ist. Nun sind es fast zwanzig Besuche und es ist jedes Mal aufs Neue wieder ebenso eine Freude, wie es eine Ehre ist, das kann ich dir versichern.«
Die letzten Worte des Jarls troffen so sehr vor Sarkasmus, dass Alfr ein leises Glucksen nicht unterdrücken konnte.
»Habt ihr nie versucht, aus dieser Sache herauszukommen?«, fragte er schließlich. »Ich meine, ich bin mir schon bewusst, wie wichtig es nach dem Krieg war, die Festländer bei Laune zu halten. Aber nun herrscht seit Jahrzehnten Frieden, es gibt keine Grenzstreitigkeiten und auch sonst kaum Reibungspunkte.«
»Nay, darum geht es auch schon lange nicht mehr«, erklärte Varg. »Wir haben im Laufe der Jahre, natürlich nicht zuletzt durch das Grau, eine sehr viel größere Unabhängigkeit erlangt, als uns der Friedensvertrag je zugesichert hat. Das fängt schon bei der Kirche an, die ja auch über einen erheblichen Einfluss verfügt.
König Randolf ist es, wie ich ihn einschätze, im Grunde scheißegal, was wir auf unserer Insel machen. Solange wir uns ruhig verhalten und ihm jedes Jahr sein Eisen liefern, kümmern ihn die Angelegenheiten von Norselund nicht. Er mag ahnen, wie eng unsere Familien zusammenarbeiten und die Herzöge werden ihm ab und an wegen der Privilegien in den Ohren liegen, die er den Barbaren aus dem Norden zugesteht. Aber was schert ihn das schon. Er weiß ganz genau, dass er uns nicht zu fürchten braucht, weil uns das Festland einen Dreck interessiert. Schließlich ist auch der letzte Krieg nicht von uns ausgegangen, sondern von seinem Großvater.
Was die Kirche angeht, verhält es sich im Grunde genauso. Bei der großen Schlacht sind damals fast alle Druiden und anderen Zauberkundigen der Insel getötet worden. Das war ja für sie der Hauptgrund, den Krieg so eifrig zu unterstützen. Der Rest ist, von Darane mal abgesehen, ebenfalls längst tot. Das Grau hat zwar verhindert, dass ihre Religion bei