Einige unter ihnen hatten während der Unterrichtsstunden plötzlich Weinkrämpfe bekommen. Andere hatten gemeint, Gesichte zu sehen, und Angst und Ekel hatten mit jedem Tag zugenommen. Zuletzt hätten die Eltern ihre Kinder kaum mehr dazu bringen können, die Schule zu besuchen, ja man hätte fürchten müssen, die erregtesten von ihnen könnten Schaden an ihrem Verstand erleiden.
Sven Elversson saß da und schaute vor sich hin. – »Jetzt vernehme ich mein Urteil, wie ich es mir gewünscht hatte,« dachte er. »Und sie urteilt wie alle anderen.«
Die junge Frau redete noch weiter und sagte, sie habe an die Kinder gedacht, als sie gesagt habe, es sei gut, daß das Schulhaus abgebrannt sei. Der Brand selbst sei einzig und allein durch einen unglücklichen Zufall ausgebrochen. Die Frau, die das Schulzimmer reinzumachen hatte, habe am Samstagnachmittag zufällig ihre Lampe umgeworfen. Das Feuer habe sich sofort ausgebreitet, und ehe sie noch Hilfe habe herbeirufen können, hatte es schon überhandgenommen.
»Ja, jetzt ist Sven Elversson sein Urteil von Gott und den Menschen gesprochen worden,« sagte der Mann am Steuer. »Jetzt kann man wohl sagen, Gott hat nicht zulassen wollen, daß ein so unheiliger Mann wie er eine Schule baut.«
»Man könnte beinahe glauben...« fing die junge Frau an, brach dann jedoch jäh ab. Plötzlich kam ihr eine Ahnung, wer der Mann war, in dessen Gesellschaft sie sich jetzt seit zwei ganzen Stunden befand; es mußte Sven Elversson sein.
Hatte sie nicht diesen Namen nennen hören, als er mit ihnen vom Bahnhof nach Hause gefahren war, obgleich sie damals nicht darauf geachtet hatte?
Und wenn sie ihn nun näher anschaute! O, sie hatte sich durch den einfachen Anzug beirren lassen. Was sie hier vor sich sah, war das Gesicht eines gebildeten Mannes. Und der fremde Klang in der Sprache, über den sie sich gewundert hatte! Das war wohl noch ein Überbleibsel von seiner englischen Erziehung.
Er hatte die Augen niedergeschlagen, sie aber betrachtete das duldende Lächeln, das um seine Lippen spielte, und fühlte sich grenzenlos unglücklich darüber, daß jetzt durch sie die Last, die er durch den Abscheu und die Verachtung zu tragen hatte, noch vermehrt worden war.
»Soll ich nun heimgehen mit dem schmerzlichen Gefühl, den Ärmsten gegen meinen Willen gekränkt zu haben?« dachte sie. »Dann hab' ich noch mehr Grund zum Betrübtsein, als ich schon hatte, als ich heute morgen ans Meer hinunterging. Er soll ja ein vielversprechender junger Gelehrter gewesen sein,« dachte sie weiter. »Und das alles hat er nun aufgeben müssen. Da hat er nun Geld und Arbeit für das Schulhaus geopfert, um sich die Achtung der Menschen wieder zu erwerben. Dies ist ein harter Schlag für ihn. Ich hätte nicht so reden sollen, wie ich es getan habe.«
Während der ganzen Heimfahrt herrschte Schweigen in dem kleinen Boote. Weder er noch sie machte einen Versuch zu sprechen.
Als sie an der Steinmole unter der Felsenwand anlegten und Sven Elversson aufstehen wollte, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, griff sie nach seiner Hand.
»Verzeihen Sie mir!« sagte sie. »Ich wußte nicht, daß Sie Sven Elversson sind.«
Sie beugte sich zu ihm nieder und streifte mit ihren Lippen seine Stirn, die von dem schirmlosen Lederhelm nicht bedeckt war.
»Was tun Sie!« rief er und sah böse aus, beinahe als ob sie ihn hätte beißen wollen.
»Ich möchte Ihnen gerne klarmachen, daß ich Ihnen gegenüber nicht so empfinde wie alle anderen,« sagte sie.
Damit sprang sie aus dem Boot auf die Lände und schritt über den Sandstreifen am Ufer zwischen die Klippen hinein.
Aber ehe sie weit gekommen war, kam ihr Sven Elversson nach und legte seine Hand auf ihren Arm, um sie aufzuhalten.
»Dank Ihnen und Segen über Sie!« sagte er mit gedämpfter und fast gebrochener Stimme. »Aber so etwas dürfen Sie nie, nie wieder tun,« fuhr er fort. »Vergessen Sie das ja nicht. Und Sie dürfen Ihrem Manne nicht erzählen, daß Sie es getan haben! Sonst könnte er so eifersüchtig werden, daß er Sie umbrächte.«
Sven Elversson hatte die junge Pfarrfrau verlassen, und während sie ihre Wanderung durch die Felder fortsetzte, klangen seine letzten Worte in ihrem Herzen nach.
Eifersucht! Konnte es wahr sein, konnte ihr Mann eifersüchtig sein?
»Ach nein!« dachte sie. »Das ist doch vollständig unmöglich. Ich gehöre ihm, ja ihm allein mit ganzer Seele, mit allen meinen Gefühlen und Gedanken, das muß er doch wissen.«
Es kam ihr so unrecht, so kränkend vor, daß jemand meinen konnte, ihr Mann sei eifersüchtig, daß ihr von neuem Tränen in die Augen traten.
»Weiß Gott, was das mit diesem Sven Elversson ist!« sagte sie zu sich selbst. »Obgleich viele Ekel vor ihm empfinden, sagen doch alle, er sei ein guter Mensch. Aber vielleicht muß er doch nicht ganz unschuldig leiden. Wie sollte Eduard eifersüchtig auf mich sein können? Also das hat er sich im Innern zurechtgelegt, während ich im Boot mit ihm sprach.
Wenn er nur hier wäre, daß ich ihm die Wahrheit sagen könnte!« fuhr sie fort. »Die Wahrheit ist, Eduard hat aufgehört, mich zu lieben. Das ist sein Unglück und das meine. Aber eifersüchtig ist er nicht. Ach, auf wen könnte er, der so hoch steht, eifersüchtig sein? Und dieser Mensch meinte, er könnte sogar eifersüchtig auf ihn sein!
Er hat aufgehört, mich zu lieben,« wiederholte sie. »Er kann nichts dafür, daß er mich nicht mehr liebt, aber er kann nicht aufgehört haben, an mich und meine Liebe zu glauben. Das wäre unrecht, das wäre kurzsichtig, ja, es wäre beinahe lächerlich.«
Als sie nach Hause kam und in den Flur trat, kam ihr das Dienstmädchen mit verstörtem Gesicht entgegen. Sie sagte, der Gottesdienst sei längst zu Ende, der Herr Pfarrer sei aus der Kirche nach Hause gekommen und sehr erschrocken, als er seine Frau nicht zu Hause getroffen habe. Er habe sie überall gesucht, sei sogar unten am Meere gewesen. Jetzt sitze er in seinem Zimmer, und es wäre am besten, wenn die Frau Pfarrer sofort zu ihm ginge.
Sie öffnete die Tür zum Studierzimmer. War er denn krank? Da saß der große, starke Mann, hatte die Ellbogen aufgestützt und das Gesicht in den Händen vergraben, wand sich, ächzte und wimmerte.
Als nun Sigrun zu ihm hereintrat und ihn verwundert fragte, was ihm fehle, sah er auf und war so verändert, daß sie ihn kaum mehr erkannte. Sein ganzes Gesicht war eingesunken und verzerrt, die Augen waren glanzlos und hohl, und der schwarze Bart hing ihm in Streifen und Zotteln von den Wangen herunter. Nie hätte sie geglaubt, daß in so kurzer Zeit eine solche Verwandlung mit einem Menschen vor sich gehen könnte.
Er schaute sie mit großen Augen an, als ob er sie nicht wiedererkenne. Dann strich er sich mit den Händen übers Gesicht. Er gab sich Mühe, sich zusammenzunehmen, derselbe vorsichtige, würdige und selbstbewußte Mann zu sein, der er immer war; aber er mußte den Versuch aufgeben, seine Rührung wurde übermächtig, und die Tränen stürzten ihm aus den Augen.
Er streckte ihr einen Arm entgegen und zog sie, ohne vom Stuhle aufzustehen, zu sich hin. Er küßte sie weder, noch liebkoste er sie, er legte nur seinen Kopf an ihre Brust und weinte zum Herzbrechen.
Sie bat ihn und bat ihn immer wieder, ihr zu sagen, was ihn quäle, allein es währte lange, bis er darüber sprechen konnte.
Und es war nichts anderes, als daß er aus der Kirche nach Hause gekommen war und sie nicht gefunden hatte. Er hatte sie dann in der Nähe und bis zum Meere hinunter überall gesucht, und als er sie nicht fand, hatte er geglaubt, sie habe ihn verlassen und sei heimlich von ihm gegangen.
Sie konnte ein leichtes Lachen der Befriedigung und des Triumphes nicht unterdrücken.
»Du darfst nie mehr von mir gehen,« sagte er. »Du wirst mich niemals verlassen, das mußt du mir geloben. Und du mußt mir geloben, mich immer wissen zu lassen, wo ich dich finden kann, denn sonst verliere ich, wie du siehst, den Verstand.«
Sie gelobte ihm alles, was er wollte. Sie gelobte ihm, nichts solle sie trennen als der Tod.
Und