Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke. Selma Lagerlöf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750200
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der Pritsche näher zu dem Angeklagten hin und strich ihm freundschaftlich über den Rockärmel. Es war augenscheinlich sein Wunsch, Julius Martin Lamprecht möge nicht den Eindruck von einem persönlichen Widerwillen seinerseits bekommen. Wenn er ein zufällig aus seinem Käfig entsprungener Löwe gewesen wäre, so hätte sein Wärter auf gleiche Weise versucht, ihn wieder hinter die Gitterstäbe zu locken.

      Es wäre unrichtig, wollte man behaupten, der Angeklagte habe seinen Besucher nicht mit Unruhe betrachtet. Alle Menschen beunruhigten ihn, der Richter, die Schöffen, der Gefängnisaufseher, der Vogt und die Zeugen, aber trotzdem kam ihm Sven Elversson recht ungefährlich, ja geradezu etwas närrisch vor. »Das ist so einer, der herumläuft und es gut meint,« wiederholte er bei sich. »Das ist ein Menschenfreund.«

      »Jetzt fange ich an zu begreifen,« sagte der Angeklagte. »Als Sie hörten, daß ich meine Tochter suche, dachten Sie, Sie könnten diese als Köder verwenden, um einen armen Kerl wieder hinter Schloß und Riegel zu bekommen.«

      Er lachte Sven Elversson gerade ins Gesicht. Der Löwe wollte seine Freiheit behalten, er machte sich nichts aus dem hingehaltenen Köder.

      »Jawohl,« erwiderte Sven Elversson mit seinem unterwürfigsten Lächeln. »Diese Worte bringen mich gerade auf das, was ich sagen wollte. Sehen Sie, ich war letzten Sommer hier in der Gegend mit einem Bau beschäftigt, nicht auf eigene Rechnung, sondern für andere. Und ich ließ Steine aus einem Steinbruch nahe bei dem Fischerdorf Knapefjord, wo wir jetzt sind, hinschaffen, und dabei kam ich auch einigermaßen mit den Leuten in Berührung, die da arbeiteten. Und unter diesen war ein junges Mädchen, das Julia Lamprecht hieß. Das war ja kein ganz gewöhnlicher Name, und sobald ich den Ihrigen in der Zeitung las, mußte ich an sie denken.«

      Der Angeklagte stand auf. Wieder fühlte er ein Zittern, das ihm von den Beinen aus das Rückgrat hinauflief. In seinem Gesicht arbeitete es, und er blinzelte mit den Augen. Augenscheinlich war in seinem Innern etwas in Aufruhr geraten, als von seiner Tochter gesprochen wurde, obgleich er sie seither nicht eigentlich aus einem warmen Herzensgefühl heraus aufzufinden gesucht hatte, sondern in der Hoffnung, es gehe ihr vielleicht gut, und sie könne ihm eine Heimat bieten.

      Rücksichtslos stieß er Sven Elversson zur Seite und stellte sich mitten in die Zelle.

      »Ist sie da?« fragte er. »Ich will sie sehen!«

      Er sprach wie ein Mann, der keinen Augenblick zweifelt, daß seinen Befehlen gehorcht werde; aber Sven Elversson wagte doch, ihm zu widersprechen.

      »Sie sollen sie zu sehen bekommen. Sie sollen mit ihr sprechen, wie Sie jetzt mit mir sprechen,« sagte er bescheiden und freundlich, aber nicht ohne Festigkeit. »Nur ein Ding muß vorher geschehen. Sie müssen Ihre Antwort dort auf das Papier schreiben. Sie denken vielleicht, es sei schlecht, Vater und Tochter zu trennen, aber wir müssen vorher dieses Papier unterzeichnet haben.«

      Der Angeklagte wurde rot vor Zorn. Er war es nicht gewohnt, sich einen unschuldigen Wunsch versagt zu sehen. Seit seiner Festnahme war er mit der größten Rücksicht behandelt worden, damit er guter Laune bleibe, damit es ihm in seinem Gefängnis, sozusagen, gefalle und er das Geständnis ablege, auf das hin er immer drinbleiben müßte. Er fühlte große Lust, sich auf Sven Elversson zu stürzen und ihn zu züchtigen, aber er beherrschte sich. Er warf sich auf der Pritsche auf den Bauch und wendete das Gesicht nach unten, so daß nichts mehr davon zu sehen war, denn er fühlte, wie es in seinen Zügen arbeitete. Er wußte selbst nicht, woher es kam, aber er meinte, es sei am besten, seine Rührung zu verbergen.

      »Ich bin Ihnen dankbar, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich bedenken,« sagte der Gast. »Es geht Julia Lamprecht nicht besonders gut, das sollen Sie wissen. Sie hat ja frühe ihre Mutter verloren, und man kann beinahe sagen, sie sei auf der Gasse aufgewachsen. Hierher kam sie zusammen mit einem Steinarbeiter. Sie waren nicht verheiratet, aber es ist unter den Steinarbeitern nicht sehr gebräuchlich, zu heiraten, und so stieß sich niemand daran. Und Julia ist gut, es gibt viele, die schlechter sind als sie. Aber vor einigen Tagen, als der Mann hörte, daß Julia Ihre Tochter sei, ging er auf und davon und ließ sie sitzen. Er habe einen Abscheu vor ihr, sagte er, und nun ist Julia einsam und verlassen. Sie ist schön, wie Sie mit blonden Haaren, und sie findet auch wohl wieder einen anderen, aber etwas Rechtes wird es wohl nicht mehr. Wenn sie aber fünftausend Kronen hätte, so könnte sie sich ein nettes kleines Häuschen kaufen und sich richtig verheiraten. Fünftausend wären dazu gerade recht. Mehr wäre nicht gut und weniger auch nicht. – Ja, nun wissen Sie also, wie wir uns die Sache gedacht haben. Sobald Sie die Fragen beantwortet haben, können Sie mit Julia zusammenkommen und ihr die fünftausend Kronen in die Hände legen. Das wäre doch schön. Dann würde sie erkennen, daß sie einen Vater hat. Sie würde erkennen, daß Sie, was Sie auch getan haben mögen, doch ein Vaterherz für sie haben.«

      Der Angeklagte gab lange Zeit keine Antwort. Er warf sich auf der Pritsche hin und her und stöhnte. Es war wirklich etwas in ihm, das nach der Tochter rief. Sie war blond, und sie war schön und glich ihm. Und vielleicht war sie draußen auf dem Gang und wartete.

      Plötzlich setzte er sich auf, strich sich die Haare aus der Stirn und schaute Sven Elversson fest ins Gesicht.

      »Können Sie mir sagen, warum ich hier auf dieses Papier schreiben soll? Morgen werde ich freigesprochen.«

      »Gewiß, es ist möglich, daß Sie freigesprochen werden,« sagte der Gast. »Aber es ist doch noch nicht durchaus sicher. Und auf alle Fälle werden Sie deshalb noch nicht freigelassen. Es dauert vielleicht noch Jahre, bis die Sache alle Instanzen durchlaufen hat und Sie auf freien Fuß gesetzt werden. Es dauert vielleicht sogar noch länger. Und was wird inzwischen aus Julia? Bis dorthin kann sie völlig untergegangen sein. Ich fürchte, sie wird schließlich aus einer Hand in die andere gehen. Aber wenn sie jetzt fünftausend Kronen hätte, das wäre eine Hilfe für sie. Verschaffen Sie ihr die jetzt, dann haben Sie etwas, was Ihnen Ihr ganzes Leben lang das Herz fröhlich macht, so oft Sie daran denken. Dann hätten Sie etwas getan zur Sühne für das, was auf Ihnen lastet. Es würde mit Anerkennung von Ihnen in den Zeitungen die Rede sein.«

      Der Angeklagte stand auf.

      »Still!« rief er und stampfte auf den Boden. »Sie machen einen ganz wirr im Kopf mit Ihrem Geschwätz.«

      Sein Gast schwieg auf der Stelle.

      Der Angeklagte stand da und forschte in seinem Herzen. Er suchte nach der Liebe zu seiner Tochter, die man so selbstverständlich bei ihm vermutete. Durch diese Liebe zu seiner Tochter wollte man ihn ans Gängelband nehmen. Aus Liebe zu seiner Tochter sollte er sein ganzes ihm noch bevorstehendes Leben opfern, das verlangte man von ihm. Er, der nichts besaß als seine Freiheit, sollte diese für immer der Wohlfahrt seiner Tochter zum Opfer bringen. Um seiner Liebe willen! War denn wirklich Liebe in seinem Herzen zu finden? Jetzt, wo er danach suchte, fand er keine. Ja, vielleicht ein klein wenig, aber wie wenig! Opfer bringen, Opfer bringen! Es ist nicht so leicht, Opfer zu bringen. Der Schwätzer da vor ihm wollte ihn einsperren und unschädlich machen, aber ob er wohl bereit wäre, selbst für diese Sache ein Opfer zu bringen?

      »Ich werde tun, was Sie wollen,« sagte der Angeklagte. »Ich werde auf die drei Fragen antworten. Aber nur unter einer Bedingung. Es ist ja schön und gut, wenn Julia Geld bekommt. Aber ist ihr mit Geld auch geholfen? Was Julia wirklich helfen würde, das wäre ein braver Mann. Wenn Sie mir versprechen, Julia zu heiraten, dann schreibe ich auf das Papier.«

      Sven Elversson sah wirklich sehr bestürzt aus.

      »Das hatte ich nicht erwartet,« sagte er sehr leise.

      »Ich frage, ob Sie meine Tochter heiraten wollen?« sagte der Angeklagte höhnisch. »Was geben Sie darauf für eine Antwort? Ich soll mich um meiner Tochter willen unglücklich machen, das verlangen Sie von mir, aber Sie selbst wollen nichts tun.«

      »Aber sie ist doch Ihre Tochter. Sie haben sie in die Welt gesetzt. Ich habe kaum ein paar Worte mit ihr gewechselt.«

      »Dann wird auch nichts aus der Antwort auf die drei Fragen,« erklärte der Angeklagte. »Es ist etwas Besonderes mit Ihnen. Ich möchte Sie gerne zum Schwiegersohn haben.« Er brach in ein wildes Gelächter aus.

      Sven Elversson legte