Wächter des Paradieses. Matthias Hahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Hahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639336
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doch bitte keine Umstände“, rief Professor Papadopoulos hinterher, wenn auch zu spät.

      „Aber das macht doch keine Umstände“, beruhigte ihn Koch.

      „Ja, Ihne nix“, antwortete Papadopoulos, „aber Ihre Frau.“ Er lachte laut auf, und die anderen lachten pflichtschuldig mit. „Und mir“, fuhr er dann fort. „Schließlich müsse ich trinke Ouzo daheim ganze Tag.“ Wieder prustete er los, gefolgt vom obligatorischen Echo der anderen.

      „Genau wie früher“, bemerkte der Dekan, der als einziger nicht mitlachte. „Sie besitzen noch den gleichen Humor wie zu unserer gemeinsamen Studienzeit.“

      Papadopoulos war sehr angetan von Weihrauchs Ergebnissen und lobte ihn über alle Maßen. Aber auch für die Arbeit der anderen zeigte er echtes Interesse. Mit seiner warmherzigen Art sorgte er für gute Stimmung bei dieser sonst so trockenen Veranstaltung. Sogar dem Dekan zuckten ein- oder zweimal die Mundwinkel. Nur Richard blieb ernst. Zwar hatte er am Anfang seine Schuldigkeit getan und bei Papadopoulos’ Witzen lauthals mitgelacht (etwas anderes wäre auch bei seinem Professor übel angekommen), aber nach dem dritten Ouzo verfiel er mehr und mehr in eine düstere Stimmung. Schließlich entschuldigte er sich und zog sich auf die Toilette zurück.

      Er bemühte sich, seine Lage zu begreifen. Gestern noch hatte alles so rosig ausgesehen. Er hatte ein Thema gehabt, klar definiert, und ihm war, wenn auch eher zufällig, eine wirkliche Entdeckung gelungen: Er hatte ein unbekanntes Dokument einer bekannten Quelle zugeordnet. Und dann, innerhalb eines Tages, ach was, innerhalb einer Stunde hatte sich alles grundlegend geändert. Seine Entdeckung war wertlos, ein anderer war auf die gleiche Idee gekommen, und sein Thema hatte er auch nicht mehr. Stattdessen musste er sich mit einer Unzahl von langweiligen Allgemeinplätzen herumschlagen. „Vergleich mit der mittelalterlichen Mystik.“ Was für ein verdammter Mist! Seine Arbeit würde darin bestehen, die bekanntesten Autoren des christlichen Mittelalters zu zitieren und zu vergleichen, alles Dinge, die schon tausendmal von anderen zitiert und verglichen worden waren, und die keinen, am wenigsten ihn selbst, auch nur die Bohne interessierten.

      Missmutig drückte er die Spülung und stand auf. Vor der Tür begegnete ihm Günther, der gerade damit beschäftigt war, eine weitere gekühlte Ouzo-Flasche aus der Küche zu holen.

      „Du hattest Recht“, brummte Richard. „Ich sollte das Thema wechseln. Irgendwas Soziales.“

      „Um Gottes Willen!“ Günther war entsetzt. „Du kannst doch jetzt nicht mehr das Thema wechseln. Wo doch der Dekan persönlich einen Vorschlag gemacht hat. Er würde es als Beleidigung auffassen.“

      Richard überlegte, ob er widersprechen sollte, vielleicht mit der Bemerkung, dass ihm die Meinung des Herrn Dekan schnurzpiepegal sei oder so ähnlich, aber dann schaute er Günther an und ließ es lieber sein. Lautes Lachen drang aus dem Wohnzimmer.

      „Das war amüsant, Professor Papadopoulos, wirklich überaus amüsant“, ließ sich Professor Kochs Stimme vernehmen.

      „Dieses Geschleime!“ Richard schüttelte angewidert den Kopf. „Muss man so werden, Günther, wenn man an der Uni vorwärtskommen will?“

      „Um ein bisschen Politik kommt man eben nicht herum“, antwortete Günther knapp. „Mit Professoren ist es wie mit Schnecken. Wer am meisten schleimt, kommt am schnellsten voran.“

      Richard musste unwillkürlich schmunzeln.

      „Gut“, sagte Günther, „dann lass uns reingehen und ein bisschen mitschleimen.“ Er setzte ein breites Grinsen auf und betrat schwungvoll das Wohnzimmer.

      Doch Richard gelang es nicht, seine düsteren Gedanken zu vertreiben. Wenn die anderen laut lachten, konnte er sich höchstens ein müdes Lächeln abringen.

      „Hey“, sprach ihn plötzlich Papadopoulos an. „Warum Sie mache so eine Gesicht, als wäre Sie gewese in drei Tage Regewetter, man so in Deutsch sage?“

      „Drei Tage Regenwetter“, korrigierte der Dekan.

      „Nichts Wichtiges“, wiegelte Richard ab.

      „Ach, nix Wichtiges, nix Wichtiges, dann man mache doch nix so eine Gesicht.“

      Richard schaute zu Boden.

      „Wollen Sie sich nicht am Gespräch beteiligen, Herr Kronau?“, fragte der Dekan mit einem Unterton von Tadel.

      „Doch, natürlich“, erklärte Richard und suchte fieberhaft nach einem Thema, als er merkte, dass ihn alle anschauten. „Herr Professor Papadopoulos, wie haben Sie denn das Dokument gefunden?“

      Richard hatte die Frage nur aus Verlegenheit gestellt, aber die Wirkung war erstaunlich. Papadopoulos Stimmung änderte sich schlagartig. Ernst und nachdenklich starrte er vor sich hin.

      „Haben Sie das denn nicht in seiner Veröffentlichung gelesen?“, entrüstete sich der Dekan.

      Richard beschloss, überhaupt nichts mehr zu sagen, worauf der Dekan tief Luft holte, vermutlich, um zu einem Vortrag über die Tugenden eines zukünftigen Universitätsangestellten anzusetzen, die diesem Magisteranwärter seiner Meinung nach völlig abgingen.

      „Nein, lasse Sie nur“, unterbrach Papadopoulos den Dekan, bevor er beginnen konnte. „Ich habe nix gesagt alles in Veröffentlichung. Wie die Geschicht wirklich war.“

      „Sie müssen uns nichts darüber berichten, wenn Sie nicht wollen“, bemerkte der Dekan, aber der Rest der Diskussionsrunde blickte gespannt zu dem Griechen.

      Papadopoulos leerte sein Glas. „Es is eine Fluch … ja wie eine Fluch, der über diese Fund liege“, begann er. „Habe Sie gelese in Zeitung von Unfall?“

      Die Anwesenden schüttelten den Kopf.

      „Sie brauchen es wirklich nicht zu erzählen …“, begann der Dekan wieder, aber Papadopoulos brachte ihn mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen. Er füllte sein Glas mit Anisschnaps und leerte es erneut. Dann atmete er tief durch.

      „Und nur, weil ich treffe diese Hirte von Schaf … Warum ich habe nur müsse spreche mit ihm?“

      Die anderen schauten sich fragend an.

      „Es war Hirt, wo lasse weide seine Schaf in Gebiet von Grenz, mal bei uns in Hellas, mal in Türkei. Hellas sehe nix gern, wenn er lasse weide Schaf bei uns, Türk sehe nix gern, wenn er lasse weide Schaf in Türkei.“

      „War er Grieche oder Türke?“, fragte Professor Weihrauch, was ihm einen bösen Blick des Dekans eintrug.

      „Bulgare, glaube ich. Wenigstens er spreche Bulgarisch. Ich komme mit ihm in große Diskussion, weil ich will fahre nach Edirne, alte Adrianopolis, und seine Schaf tun versperre mir Straß. Ich sage zu ihm: ‚Warum du treibe Schaf auf die Straß, bist du vielleicht ein bissele blöd oder was?’ Mit Schafhirt, du müsse red auf diese Weis. Da er sage: ‚Ich nix bissele blöd, aber du in deine Auto seie vielleicht ein bissele blöd, sonst du könne seh, dass Schaf sich nix lasse treibe weiter.’ Ich frage: ‚Wieso Schaf sich nix lasse treibe weiter? Is Schaf vielleicht blöd oder was?’ Da er sage drauf: ‚Schaf nix blöd, Schaf habe Angst viel, wolle nix gehe Hügel hinauf auf Seit von Straß.’ Ich schaue mir an Hügel und sage: ‚Aber auf Hügel wachse viel saftig Gras. Is deine Schaf vielleicht doch ein bissele blöd?’ Da er schaue ganz ernst und sage: ‚Is Fluch auf diese Hügel, oder besser unter diese Hügel, Schaf wisse das, seie schlaue Tiere.’ Und er erzähle mir von Geschicht von Hügel, wo war früher Versammelplatz von Bogomile, und zwar nix von normale Bogomile, sondern von ‚Schwarze Bogomile’.“

      Ein Raunen ging durch die Runde. „Schwarze Bogomilen?“, fragte Koch ein wenig ungläubig. Bogomilen waren ihm natürlich ein Begriff, genau wie den anderen am Tisch. Es handelte sich um Mitglieder einer christlichen Sekte im vom Oströmischen Reich besetzten Altbulgarien, erinnerte sich Richard, Menschen, die ähnlich wie die Paulikaner und andere orientalische Sektierungen die orthodoxen Sakramente ablehnten und allgemein als Vorläufer der südfranzösischen Katharer galten. Aber von „Schwarzen Bogomilen“ hatte Richard noch nie etwas vernommen.