Wächter des Paradieses. Matthias Hahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Hahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639336
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noch nie gesehen, aber aus der Tatsache, dass man ihm den bequemsten Sessel angeboten hatte, war zu vermuten, dass er in byzantinistischen Kreisen einiges zu sagen hatte. Der Besucher bemerkte das Eintreten des Neuankömmlings. Sofort folgte Professor Koch beflissen dem Blick des Rotgesichtigen.

      Richards Professor war etwa 40 Jahre alt, korrekt gekleidet und mit vollem, dunklem Haar gesegnet. Eilig winkte er seinen Studenten zu sich.

      „Darf ich Ihnen Herrn Kronau vorstellen?“, sagte er eifrig zu dem älteren Herrn, der Richard höflich seine Rechte entgegenstreckte. „Er arbeitet ebenfalls an unserer neuen Entdeckung.“

      „Ah.“ Das gerötete Gesicht des älteren Herrn zeigte ein freundliches Lächeln. Professor Koch wandte sich an Richard.

      „Das ist Professor Weihrauch, die Kapazität für angewandte Graphologie an unserer Universität, ach was sage ich, von ganz Bayern.“

      „Sie schmeicheln mir“, bemerkte der ältere Herr nur zu treffend.

      „Aber nicht doch, Herr Professor Weihrauch, jeder hier hat schon viel von Ihnen gehört, stimmt ’s, Herr Kronau?

      Richard nickte eifrig, angestrengt nachdenkend, ob er den Namen vielleicht nicht doch schon einmal vernommen hatte.

      „Was haben Sie denn so alles herausgefunden, Herr Kronau?“, erkundigte sich Professor Weihrauch.

      „Ich habe gerade erst mit meiner Arbeit begonnen“, fing Richard vorsichtig an. Er wollte vor einem Graphologieexperten nicht mit der Tür ins Haus fallen und über seine Theophanes Continuatus-Theorie reden. Wahrscheinlich wäre es besser, Professor Koch davon zu erzählen, wenn er ihn alleine anträfe.

      Doch dieser meldete sich wichtigtuerisch zu Wort. „Aber Professor Weihrauch hat eine ausgesprochen interessante Entdeckung gemacht. Er hat mir gerade erzählt, dass er die Schriften mit bekannten byzantinischen Autoren aus der fraglichen Epoche verglichen hat, und er hat Erstaunliches dabei herausgefunden.“

      „In der Tat. Es war eine sehr mühevolle Angelegenheit, aber ich habe den Autor des Dokumentes identifizieren können“, berichtete Professor Weihrauch stolz.

      „Das ist ja ganz großartig“, gratulierte Richard, plötzlich von bösen Vorahnungen gequält.

      „Es handelt sich um niemand anderen als um Theophanes Continuatus, den Nachfolger des Studitenpriors Theophanes Confessor“, verkündete Professor Koch. Professor Weihrauch nickte beflissen.

      Richards schlimmste Befürchtungen waren bestätigt. Er warf einen Seitenblick zu Günther, der nur kurz mit den Schultern zuckte. Richard beschloss zu retten, was zu retten war. „Ja, diese kühnen Striche“, bemerkte er, „so typisch, da kann es sich doch eigentlich nur um Theophanes Continuatus handeln.“

      „Interessieren Sie sich für Graphologie?“, fragte Professor Weihrauch mit leisem Zweifel.

      „Es ist ein Hobby von mir“, log Richard.

      „Ein wirklich begabter junger Mann“, bemerkte Professor Koch mit einem warnenden Unterton in der Stimme. Magisteranwärter hatten nicht mit ihrem Wissen zu protzen, schon gar nicht vor ehrwürdigen Kapazitäten.

      „Danke“, antwortete Richard und wandte sich wieder Professor Weihrauch zu. „Es freut mich sehr, einmal einen echten Graphologen kennenzulernen. Dass Sie diese Schrift so schnell zuordnen konnten … ich finde das wirklich erstaunlich.“

      „Ja, es ist in der Tat eine überaus bewundernswerte Leistung“, fügte Professor Koch hinzu. Sein Argwohn gegenüber Richard war verflogen.

      „Ihr Thema muss nun natürlich ein wenig erweitert werden“, fuhr Professor Koch fort, an Richard gewandt. „Ich denke da an einen Vergleich dieser Schrift mit den orthodoxen mystischen Strömungen in späteren Jahrhunderten, sagen wir, bis zum Untergang von Byzanz.“

      Richard schluckte. Dieses Arbeitsessen stand unter keinem guten Stern. Wenn sein Thema nun erweitert würde, müsste er mit der Planung noch einmal ganz von vorn anfangen.

      „Warum nicht überhaupt einen Vergleich mit dem mittelalterlichen Mystizismus des Okzidents?“, war da eine hohe Altmännerstimme zu vernehmen. Im Eingang stand Professor Jakob, der immer griesgrämige Dekan der altphilologischen Fakultät, ein kleines, kahlköpfiges, über sechzig Jahre altes Männchen. Anscheinend hatte er schon einige Sekunden unbemerkt an der Wohnzimmertür verbracht. „Meiner Meinung nach werden die Grundlagen heutzutage viel zu nachlässig behandelt“, fuhr er fort, „immer geht es gleich ins Spezielle. Wie sollen denn die jungen Leute unter diesen Umständen eine Richtschnur finden? Wie sehen Sie das, Herr Kronau?“

      Richard schluckte noch einmal. „Ähm …“, fing er an, wurde aber sofort von Professor Koch unterbrochen.

      „Ganz meine Meinung, Herr Professor Jakob. Das ist eine ganz ausgezeichnete Idee …“

      „… die Sie gleich morgen früh unter den Tisch fallen lassen“, beendete Professor Jakob den Satz.

      „Aber nein, so etwas würde ich doch niemals wagen.“ Koch lachte entschuldigend. „Aber nehmen Sie doch erst einmal Platz“, lenkte er dann ab. „Ich habe mich gerade mit dem Kollegen Weihrauch über die Entschlüsselung des Dokuments aus Edirne unterhalten.“

      „Schön, dass Sie kommen konnten“, begrüßte der Dekan Professor Weihrauch. „Ich habe mir erlaubt, ebenfalls einen Gast mitzubringen. Treten Sie bitte ein, Professor Papadopoulos.“

      Ein kleiner Mann mit wirren schlohweißen Haaren und lebendigen Augen hinter einer dicken Brille trat in den Raum. Die Wirkung auf die Anwesenden war erstaunlich. Koch gewann als erster seine Fassung wieder. Wie ein Blitz sprang er auf und schüttelte dem Neuankömmling die Hand. Richard dachte einen Moment sogar, er wolle sie ihm küssen.

      „Professor Papadopoulos? Höchstpersönlich?“, stieß Koch hervor. „Das ist ja … mir fehlen die Worte.“

      Auch die anderen Anwesenden begrüßten den weißhaarigen Gelehrten überschwänglich. Richard stand der Mund offen: Der Mann, der das Dokument gefunden hatte, der Mann, der die Ausgrabungen in Edirne leitete, Professor Papadopoulos von der Universität Saloniki, er war hier, bei einem Arbeitsessen von Professor Koch in der Provinzuniversitätsstadt Würzburg?

      Der Grieche begann sofort, Richards unausgesprochene Frage zu beantworten, als hätte er sie in dessen überraschtem Gesicht gelesen. „Ich bin zufällig gewese auf Reise mit meine Frau in Deutschland, als ich habe gehört, dass Sie mache große Forschung in Würzburg mit meine kleine Fund“, berichtete er in einem in der Melodie griechisch, in der Grammatik seltsamerweise eher türkisch klingenden Akzent. „Wolle nur anrufe meine … wie sage man auf Deutsch … Freund von Studium?“ Er warf einen fragenden Blick zum Dekan.

      „Studienkollegen“, verbesserte dieser.

      „Genau, meine Studiekollege Professor Jakob ich wolle anrufe und frage ‚Wie geht’s?’, und da er erzähle mir alles. Auch von Essen hier, und da ich sage ‚Ich komm’ und so ich bin da.“

      „Das freut mich ja überaus, Herr Professor Papadopoulos“, scharwenzelte Koch und bot ihm einen Sessel an. „Nehmen Sie doch Platz. – Schatz, kannst Du noch ein Gedeck holen?“, wandte er sich an seine Frau, die sofort in die Küche eilte.

      „Mache Sie sich nix Umstände viel, habe Fund ja gar nix dabei in Tasche.“ Der Grieche setzte sich und sah sich suchend um. „Wo is Platz?“

      „Ist der Sessel nicht bequem?“ Koch wirkte besorgt. „Schatz!“

      „Lasse Sie! Sitze sehr bequem. Aber wo is Platz? Oder sage man in Deutsch Platzchen?“

      Koch wirkte verwirrt. Der Dekan sprang ein: „Plätzchen.“

      Koch kapierte und ließ ein belustigtes „Ah“ vernehmen. Alle lachten ausgiebig, am lautesten Professor Papadopoulos.

      „Schatz!“, rief dann Professor Koch. „Haben wir zufällig Plätzchen im Haus?“

      „Ich glaube nicht“,