Ruhig und tief durchatmend ging er auf sie zu, hockte sich neben sie und drehte sie vorsichtig um. Das erste Mal seit er sie kannte, sah er sie bewusst an. Ihre Augen waren geschlossen; ihre Lippen voll und geschwungen. Ihre Wangenknochen, auf denen die Schatten dichter, langer Wimpern ruhten, verliehen ihrem Gesicht einen noblen Ausdruck. Sie war auffallend blass und fühlte sich kühl an. Regina atmete flach, aber ihr Herz schlug kräftig und regelmäßig. Über ihr Gesicht zog sich eine kleine Blutspur, die inzwischen fast eingetrocknet war. Er widerstand der Versuchung diese abzulecken. Stattdessen tupfte er sie sacht mit einem feuchten Tuch ab, was auf dem Rand des Waschbeckens gelegen hatte. Behutsam hob er sie hoch und trug sie zurück ins Schlafzimmer. Er hatte keine Mühe den finsteren Raum zu durchqueren.
Als er sie zurück aufs Bett legte, streifte eine Haarsträhne sein Gesicht. Gierig sog er ihren Geruch ein und ließ seine Hände durch das weiche Haar gleiten. Sein Körper beugte sich über sie.
Beinah hätte er sie geküsst. Was zum Henker tue ich da?
Über sich selbst erschrocken, wich er ans Bettende zurück. Von dort konnte er sie beobachten. Ihr musste schwindelig geworden sein. Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Oder getrunken. Wie hatte er das nur vergessen können? So, wie er sie vorhin das erste Mal richtig angeschaut hatte, dachte er jetzt das erste Mal über sie nach. Sie war dickköpfig. Intelligent, wissensdurstig, hilfsbereit. Aber sie konnte auch wütend werden. Außerdem war ihm nicht entgangen, wie sie ihn abgewiesen hatte. Es war schwer für ihn, sich in ihren Geist zu schleichen. Er hatte gestern Abend länger als bei anderen Menschen gebraucht, um sie einschlafen zu lassen.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass sie tatsächlich seine Seelengefährtin sein musste.
Warum nicht Kathleen? Sie war perfekt proportioniert, hatte das Gesicht eines Engels und war nur halb so intelligent wie Regina. Einfacher zu kontrollieren. Wieso musste es ausgerechnet dieses kleine, dickköpfige, pummelige Weibchen sein? Sie ist aber süß, wenn sie ohnmächtig ist, fuhr es ihm durch den Kopf. Blödsinn, schallt er sich selbst. War ich gestern Abend eifersüchtig?, fragte er sich im Stillen, beantwortete sich die Frage aber ebenso still. Nein, keine Eifersucht. Sie gehört mir. Alles an ihr. Besonders ihr Blut! Auf ihre leisen Atemgeräusche lauschend sowie dem monotonen Klang ihres Herzschlags, döste er ein.
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Regina war noch viel zu müde, um ihre Augen aufzuschlagen. Ihr Kopf dröhnte, ihr Magen knurrte und sie sehnte sich inständig danach in ihrem eigenen Bett zu liegen. Große Hoffnung hegte sie keine, nachdem sie registriert hatte, dass etwas Schweres auf ihren Beinen lag. Blinzelnd öffnete sie die Augen und entdeckte Ryan, der quer über ihren Beinen liegend schlief. Wow, was für ein Mann! Als sie sich bewusst wurde, dass sie kurz davor war zu sabbern, rief sie sich mahnend zur Raison. Kein Mann für dich. Viel zu arrogant, viel zu schön und viel zu sehr Arschloch. Vorsichtig zog sie ihre Beine unter ihm heraus und saß nun mit angezogenen Knien auf dem Kopfkissen. Ihr Blick blieb an Ryan kleben, der wie eine Gottheit anzusehen war. Fehlt nur noch das weiße Gewand… Eine Hand lag unter seinem markanten Kinn, sein Kopf ruhte auf dem ausgestreckten Arm. Seine blauschwarz glänzenden, langen Haare fielen über seine breiten Schultern. Er war schlank, aber nicht dürr. Und muskulös, aber nicht wie diese ölig glänzenden Bodybuilder. Sie wusste, dass er ewig lange Beine hatte. Dass sein Bauch flach und ebenso athletisch war. Unbekleidet hatte sie ihn allerdings nie gesehen. Würde ich aber zu gern einmal. Im gleichen Moment verwarf sie den Wunsch wieder. Sie würde kein zweites Mal auf ihn hereinfallen. Ihr Blick blieb auf seiner Hand hängen, die er im Schlaf langsam auf sie zu bewegte. Lange, schlanke, gut manikürte Finger. Er trug den gleichen Ring wie sie. Ah, reiß dich zusammen!, brüllte sie sich in Gedanken an. Bevor sie irgendwelchen Blödsinn tat, entschloss sie sich, so leise wie möglich aufzustehen.
Vorsichtig schlich sie zur Tür, die unmöglich verschlossen sein konnte. Als sie die Klinke betätigte, hielt sie den Atem an und drehte sich ängstlich zu dem schlafenden Adonis um. Der rührte sich nicht. Regina huschte auf den Flur und schloss die Tür leise hinter sich. Verflixt, den Schlüssel musste er bei sich tragen. Sonst hätte sie ihn einschließen können. Mit klopfendem Herzen schaute sie sich um. Sie war in einem Obergeschoss. Von hier aus konnte sie über eine Brüstung nach unten sehen. Das war definitiv nicht das Haus, in dem sie mit ihm in den letzten drei Monaten gelebt hatte. Und nachdem, was sie aus den Fenstern sah, war das unter ihr auch nicht das Erdgeschoss.
Außerdem schien sonst niemand anwesend zu sein. Das beruhigte sie zwar, alarmierte sie aber gleichzeitig. Zum einen war es völlig egal, ob sie hier ohne Hosen herumgeisterte, zum anderen war es erschreckend zu wissen, mit Ryan allein zu sein. Nicht, dass er sie verführen würde. Aber was, wenn er immer noch vorhatte, sie unter die Erde zu bringen? Tja, eine Flucht konnte sie vergessen. Wenn sie die Umgebung, die sie durch die Fenster sehen konnte, richtig deutete, lag das Haus mitten in der Pampa. Zu Fuß würde sie sich wortwörtlich den Arsch abfrieren. Ganz zu schweigen davon, dass sie nur tot halbnackt von anderen Leuten gesehen werden wollte. Und auch dann nur äußerst ungern.
Schluckend betrat sie das Badezimmer, an das sie sich deutlich erinnerte. Im Hellen sah es beinah noch schöner aus. Andächtig und mit Bewunderung lief sie durch den großen, zweigeteilten Raum. Wie war sie gestern eigentlich aus dem Bad gekommen? Stirnrunzelnd versuchte Regina, sich zu erinnern. Im Spiegel erspähte sie eine wunderschöne, rotbläuliche Beule. Daher kam also der Kopfschmerz. Nachdem sie sich erleichtert hatte, ging sie in den hinteren Bereich. Dort befand sich neben einer einladenden Badewanne eine Dusche, die ihr förmlich entgegen schrie, dass sie sie benutzen möge. So sehr es ihr auch widerstrebte, so sehr freute sie sich dennoch auf das frische Nass. Sie war bereits den zweiten Tag hier und fühlte sich schmutzig. Bevor sie diesem Verlangen allerdings nachgab, schloss sie die Tür ab. Auf keinen Fall wollte sie von Ryan nackt gesehen werden. So viel dazu, dass sie mal verlobt gewesen waren…
Nach dem Duschen föhnte sie ihre Haare. Genauso, wie es ihr der nette Friseur gezeigt hatte. Erik fiel ihr ein. Ob er sich Sorgen machte? Wusste er überhaupt, dass sie nicht daheim war? War er bei Leroy?
Es war besser, all diese Fragen beiseitezuschieben.
Sie legte den Föhn an seinen Platz zurück, hängte das Handtuch über die Badewanne und zog den Gürtel des Bademantels, der glücklicherweise wie viele andere zusammengefaltet in einem Regal gelegen hatte, enger. Dann schnappte sie sich ihre gebrauchte Wäsche und überlegte erst jetzt, ob es eine gute Idee war, so bekleidet wieder ins Schlafzimmer zu gehen. Sie konnte sich keine Antwort geben, da in diesem Moment ein zorniges „Regina“ durchs Haus waberte.
Augen rollend verließ sie das Bad und wäre beinah gegen Ryan geprallt. Seine Augen funkelten seltsam. Sie bemerkte, dass sie rot wurde und senkte ihren Blick. „Du brauchst nicht so schreien, ich bin nicht ins Klo gefallen und durch den Abfluss in der Dusche passe ich nicht.“ Sie presste ihre Sachen fest an sich und bemühte sich standhaft zu bleiben. „Geh zurück ins Zimmer!“, befahl er schroff. „Moment mal. Du kannst doch nicht…“ Sie konnte ihren Satz nicht beenden. Ohne Vorwarnung packte er sie an den Armen, schob sie in das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter ihr ab. „Du spinnst wohl, lass mich sofort raus! Ich brauche neue Sachen und ich will nach Hause!“, schrie sie und hämmerte wie wild gegen das schwere Holz. Abgesehen davon hatte sie wirklich Hunger, aber das schien ihm nicht in den Kopf zu kommen. Vermutlich plante er, sie verhungern zu lassen.
Oder