Während sie den Betthimmel zornig anfunkelte und überlegte, wie sie aus diesem Schlamassel herauskommen sollte, wurde die Tür wieder aufgeschlossen und Ryan trat ein. Ein kleiner Hoffnungsschimmer regte sich in Regina. Hatte er seine Meinung geändert? Sie setzte sich auf. In einer Hand balancierte er ein Tablett. Mit frischen Brötchen, Marmelade, Wurst, Milch, diversen Obstsorten, einer Tasse und einer Thermoskanne. Oh Gott, Kaffee. Ein wunderbarer Gedanke. Allerdings nicht so wunderbar, wie der Anblick einer Reisetasche, die eindeutig ihr gehörte und an einem seiner Arme hing. Vor Entzücken wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen. Das unterließ Regina.
Er war schließlich der Urheber ihrer misslichen Lage. Wie um alles in der Welt war er zu dieser Tasche gekommen? Verwirrt schaute sie ihn lautlos fragend an. Kümmerte ihn herzlich wenig. Stumm stellte er das Tablett ab und ließ die Tasche vor ihre Füße fallen. „Du solltest etwas essen.“, stellte er sachlich fest, bedachte sie keines weiteren Blickes und ging.
Natürlich schloss er die Tür ab.
Ging ihr im Moment glatt am Hinterteil vorbei.
Hastig eilte sie zu dem Essen, was er ihr gebracht hatte und biss in eines der Brötchen. Ihre Augen flogen über das Tablett. Der Mann war wirklich einmalig. Er stellte ihr zwar alles Mögliche hin, aber es gab kein Messer. Noch nicht mal ein mickriger Löffel war zu entdecken. Sie goss sich den herrlich duftenden Kaffee ein, gab einen Schluck Milch dazu und trank die warme, köstliche Flüssigkeit mit sehr viel Genuss. Das Brötchen tunkte sie ab und an in die Tasse, die sie nochmals nachfüllte. Nachdem sie auch ein wenig Obst gegessen und einen weiteren Kaffee getrunken hatte, war sie mehr als satt.
Zufrieden ging sie zurück zum Bett, vor dem die Tasche lag. Darin war tatsächlich ihre eigene Garderobe. Alle neu gekauften Sachen, aber auch ein paar ältere. Inklusive der edelsten und verführerischsten Unterwäsche, die sie besaß. Sogar Hygieneartikel für die Frau konnte sie entdecken.
Das hatte doch wohl nicht Ryan persönlich aus ihrer Wohnung geholt?
Bei diesem Gedanken wurde sie nicht nur rot, nein, sie wurde quasi zum Aushängeschild für Feuermelder. Wie lange hatte er eigentlich vor, sie hier gefangen zu halten? Sie zog sich rasch an. Augenblicklich fühlte sie sich wohler. Mehrmals rief sie nach Ryan, was leider erfolglos blieb. Schließlich griff sie zu einem Trick. Sie wusste, dass sie gut singen konnte. Aber… sie konnte auch perfekt falsch singen. Mit herrlich schiefen Tönen und so laut sie konnte, schmetterte sie Kinderlieder gegen die Tür, die ihr den Weg in ihre Freiheit versperrte.
Etwa eine halbe Stunde lang.
Dann schwang diese auf.
Diesmal hatte sie sich allerdings in einige Entfernung gestellt. Zu sehr erinnerte sie ihr klopfender Schädel an die Bekanntschaft mit dem harten Holz. „Hör auf mit diesem Gejaule.“, donnerte er ihr frustriert entgegen. „Dann lass mich hier raus.“, entgegnete sie ihm mit einer gewissen Befriedigung. „Also gut.“ Er atmete geräuschvoll aus. „Gegessen hast du?“ Regina nickte. „Ich bevorzuge allerdings nicht mit den Händen zu essen. Ein Messer wäre nicht schlecht gewesen. Oder ein Löffel.“, antwortete sie nickend. Ryan lachte höhnisch. „Ein Messer? Sehe ich aus, als ob ich auf Schmerz stehe?“ Regina holte tief Luft. „Weißt du, ich hätte wirklich tierische Lust, dir irgendwas auf den Kopf zu hauen oder dir zwischen die Beine zu treten. Aber wegen dir werde ich sicher nicht zum Killer.“ Er legte den Kopf leicht schief und betrachtete sie belustigt.
„Gut zu wissen. Komm mit runter.“ Ohne ein weiteres Wort folgte sie ihm. Im Laufen betrachtete sie seinen Rücken. Sie konnte deutlich das Spiel seiner Muskeln unter dem knapp sitzenden Hemd erkennen. Ganz zu schweigen von seinem knackigen Po. Er ging auf eine Art und Weise, wie man es nur selten sah. Vielleicht bei Models, aber nicht bei normalen Menschen. Es gehörte verboten, so zu laufen. Es wirkte nämlich alles andere als abstoßend. Aber genau das sollte sie eigentlich empfinden. Er hatte eine unmissverständliche Anziehungskraft, der er sich nur allzu bewusst war.
Während sie ihm die Treppe nach unten folgte, fragte sie sich zum wiederholten Mal, wozu er sie brauchte.
War das irgendein perfider Plan, den er mit seiner Geliebten ausgeheckt hatte? Wollte er sie durch dieses Kidnapping zermürben? Hätte sie jetzt vielleicht eine Chance, von hier zu fliehen? Ihr war zwar klar, dass sie sich in seinem Haus befand – oder besser gesagt in einem seiner wer-weiß-wie-vielen Häuser – aber nicht, wo dieses stand.
„Setz dich.“, wies er sie an und deutete auf einen geschmackvollen Sessel, der in tiefdunklem Grün direkt vor ihr stand. „Wir müssen reden.“ Regina nickte, denn eine Erklärung für sein seltsames Verhalten war längst überfällig. Er nahm auf dem Sessel ihr gegenüber Platz und schlug seine langen Beine elegant übereinander, was Regina seltsam erregend empfand. Konzentrier dich, rief sie sich ins Bewusstsein. Mürrisch verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. „Dann fang mal an!“, forderte sie ihn auf. Sie war wirklich gespannt, was er ihr zu sagen hatte. „Gut. Kurz und knapp. Du bist meine Auserwählte.“ Regina sah ihn entgeistert an. Entschuldigung? Sie zog ihren Mund schief, runzelte die Stirn, presste die Lippen zusammen. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Lachen. „Was soll das sein? Für was ausgewählt?“ Ryan fuhr sich mit der Hand durchs Haar und holte tief Luft. „Du bist meine Partnerin, meine Seelengefährtin, meine bessere Hälfte. Nenn es, wie du willst, aber so ist es.“ Regina schluckte verwirrt. „Was soll das denn heißen? Bist du auf den Kopf gefallen oder so? Ich meine… wie bitte?“
Ungläubig versuchte sie, eine rationale Erklärung für seine Worte zu finden. „Akzeptier es einfach. Du bist meine Seelengefährtin. Daran lässt sich nichts ändern.“ Er hatte seine Beine inzwischen beide auf den Boden gestellt und lehnte seinen Oberkörper nach vorn, so dass es fast den Anschein hatte, als wolle er über den gläsernen Couchtisch springen. „Und das ist ein Grund, mich zu kidnappen?“ Ryan nickte, während er sie mit seinen grünen Augen taxierte. „Eine dämlichere Entschuldigung konntest du dir wohl nicht ausdenken? Ich meine, ich habe davon schon mal gehört, klar. Aber ist es nicht so, dass es dabei so etwas wie die große Liebe gibt? Funken, die sprühen und all dieses Zeug? Bei uns ist das wohl eher das Gegenteil.“ Sie liebte ihn. Immer noch. Selbst, wenn sie das nicht wollte oder es klüger wäre, sich zu entlieben. Das hieß jedoch nicht, dass sie zweites Mal auf ihn hereinfiele. Sie leugnete ihre Gefühle für ihn. War besser. „Ja, so sollte es sein. Bei uns ist es nicht so. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass du an meiner Seite sein musst.“, erwiderte er bar jeglicher Gefühlsregung. „Moment mal, stopp. Ich muss gar nichts. Wir empfinden nichts füreinander, also sollten wir auch nicht zusammen sein. Wo steht geschrieben, dass man mit seinem Seelenpartner zusammen leben muss? Überhaupt, was macht dich so sicher? Du kannst mich nicht ausstehen. Fühlt man sich im Normalfall nicht zu der anderen Person hingezogen? Kann mit ihr über alles reden? Hat den Anschein, als ob man sie schon ewig kennt? Ohne sie weder in der Lage ist zu funktionieren noch zu leben?“ Regina war sauer.
Stinksauer.
Wie konnte er dermaßen auf ihren Gefühlen herumtrampeln? „Das mag auf Menschen zutreffen. Hör mal, ich weiß nicht, ob das Gottes Plan ist oder der des Teufels. Aber es lässt sich nicht leugnen. Wir gehören zusammen. So sehr ich es auch bedaure. Du bist nicht gerade das, was ich mir unter meiner Auserwählten vorstelle.“ Gut, jetzt kochte Regina wirklich. „Sehr schön. Dann haben wir das geklärt!“, entgegnete sie ihm dennoch in aller Ruhe. „Dann kann ich jetzt wieder nach Hause.“ Sie wollte aufstehen, doch Ryan war unheimlich schnell.
Mit einer Geschwindigkeit, die sie überrumpelte, sprang er über den Tisch, landete vor ihren Beinen und hielt sie an den Schultern fest. „Das kannst du nicht! Das ist jetzt dein zuhause.“ Regina war sprachlos. Weil er so schnell war. Und weil sie ihn bereits das zweite Mal seit der Trennung wütend erlebte. Der sonst so gefasste, immer etwas erhabene Ryan war sauer. Innerlich frohlockte sie. „Lass mich los! Ich habe hier nichts verloren. Weder heute noch morgen noch sonst irgendwann. Such dir eine andere Frau, der du solchen Mist erzählen kannst. Ab besten eine, die deinen Idealen entspricht.“ Sie meinte, ein Knurren zu hören. Ein extrem gefährliches, was ihre Nackenhaare erstarren ließ. Fröstelnd schüttelte