»Natürlich. Sie heißt Anna do Nascimento. Sie unterhält seit der Trennung von ihrem Mann in Embu eine kleine Galerie. Heute dürfte sie allerdings geschlossen haben. «
»Wir werden über Weihnachten nicht mehr nach Embu fahren. Tavares ist tot, da kommt es auf einen Tag nicht an. «
Wagner fragte: »Tavares? Das ist der Name des Toten? «
Teixeira erhob sich und der junge Ermittler machte es ihm nach. »Senhor Wagner, wir danken Ihnen für Ihre Zeit. Es ist leider nicht ausgeschlossen, dass wir Sie nochmals behelligen müssen, falls sich im Laufe der Ermittlungen weitere Fragen ergeben sollten. Ja, der Tote hieß José Gabriel Tavares. Sie werden davon in der Zeitung lesen. Wenn Sie Glück haben, werden die Schreiberlinge dabei nicht Ihren Namen als Vermieter des Hauses nennen. «
Er machte einen Schritt auf das Fenster zu. Im Garten standen einige meterhohe Dattelpalmen und ein Pool mit olympischen Ausmaßen lud zum Abkühlen ein. Teixeira interessierte sich insbesondere für zwei Blasrohre, ein kurzes und ein längeres, die zusammen mit einigen archaisch anmutenden Keulen oder Holzschwertern über dem Fenster arrangiert waren. »Indios? « fragte er.
»Ach die. Die haben wir vor Jahren einmal von einer Reise nach Zentralbrasilien mitgebracht. Sie sind das Geschenk eines Stammes der Awaeté, die am Rio Xingu leben. Sie haben sich sicher schon gewundert, dass wir unser Haus zum Museum gestaltet haben. Ich liebe all diese Dinge. Jedes einzelne Stück hat seine ganz persönliche Geschichte. Manchmal schaue ich mir eines an und fühle mich in Zeit und Raum an den Ort versetzt, an dem es seinem Ursprung hatte. Meine Herren, ich wünsche Ihnen Frohe Weihnachten und, da wir uns sicher dieses Jahr nicht mehr sehen werden, schon jetzt ein Frohes Neues Jahr. «
»Das wünsche ich Ihnen auch und richten Sie bitte unbekannterweise einen Gruß an die Senhora aus. «
Als sie draußen waren, sah Teixeira auf die Uhr. »Mein lieber Vanderlei, wenn ich jetzt nicht heimfahre, komme ich zu spät zu unserem Abendessen und Silvana reißt mir den Kopf ab. «
Vanderlei blickte interessiert auf die umstehenden Villen: »Tá certo. Für die paar Meter brauchen Sie ja nicht lange. Ich will noch meine Alten besuchen und muss kurz vorher zuhause vorbei, mich in einen braven Sohn verwandeln. «
»Liebe Grüße an deinen Vater. « Teixeira versuchte sich daran zu erinnern, wo Vanderleis Eltern wohnten, aber er kam nicht darauf.
Die Leiche lag auf dem Stahltisch. Der lange Schnitt, der sich in Y-Form von den Schlüsselbeinen bis zum Bauchnabel zog, war mit grobem Zwirn geflickt wie bei einer Weihnachtsgans. Teixeira konnte sich den Vergleich nicht verkneifen. Ihren eigenen Braten hatten Silvana und er gestern Abend mit einigen Freunden genüsslich zerlegt.
Zumindest verstand er jetzt auch, warum die Empregada und der Wachmann auf den Anblick des Toten so reagiert hatten. Die Extremitäten waren noch immer unnatürlich angeschwollen und violett verfärbt. Er konnte allerdings nicht sagen, wie viel davon auf das Gift und was auf die fortgeschrittene Verwesung zurück zu führen war. Er versuchte, hinter dem Mundschutz möglichst flach zu atmen. Die Augen des Toten waren nach innen verdreht, die Lippen durchgebissen. Der Mann musste unter schrecklichen Schmerzen gestorben sein. Zwischen den Beinen hatte der Tote einen unförmigen Klumpen, der an eine Blutwurst erinnerte.
Dr. Sobrinho, der diensthabende Arzt, zeigte auf den Fleischklumpen und referierte: »Was Sie hier sehen, halte ich für eine besonders ungewöhnliche Folge von Priapismus. Normalerweise kommt es bei einer Erektion zum Anschwellen der corpora cavernosa, wodurch der Abfluss in die Venen und damit der Rückfluss des Blutes aus dem Penis verhindert wird. Eine so genannte Dauererektion führt nach Stunden zu einer Blauverfärbung der Vorhaut, der Eichel und später des gesamten Penis. Hier sind die Schwellkörper regelrecht geplatzt. Ich selbst habe so etwas noch nicht gesehen. Der Blutverlust war aber ziemlich sicher nicht letal. Vielmehr ist der Tod mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf Herz- und Lungenversagen zurück zu führen. «
Er zeigte auf eine Reihe von Röntgenaufnahmen, die vor der Leuchtwand angeklemmt waren.
»Hier. Typische Anzeichen für eine hypertensive Krise und Tachyarrhythmie. Zudem erlitt der Mann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Apoplexie. «
Teixeira fragte: »Können Sie sagen, was so ein multiples Organversagen hervorrufen kann? War der Mann vorher schon krank? «
Dr. Sobrinho nahm einen Holzspatel und hob die Nackenhaare des Toten an. »Sehen Sie diesen winzigen Punkt mit der Rötung drum herum? Es sieht fast aus wie ein Mückenstich, nicht wahr? Eigentlich müssten es zwei Punkte sein und etwas breiter. «
Teixeira beugte sich über den Toten und grunzte. »Bitte Doktor. Was ist an dem Pickel so besonders? «
Der Gerichtsmediziner zog seine Gummihandschuhe aus und warf sie in einen Müllcontainer. »Hinsichtlich der Verletzungen im Genitalbereich müssen wir von Fremdeinwirkung ausgehen. In seinem Körperfettgewebe konnten wir aber erhebliche Mengen Spinnengift nachweisen, also sieht es momentan so aus, als wäre die Todesursache der Biss einer Giftspinne. «
Teixeira runzelte die Stirn. »Giftspinnen in Juquehy? «
Der Mediziner zuckte die Schultern. »Am besten gehen Sie ins Butantan zu Doktor Yamato. Wenn sich jemand mit Spinnen auskennt, dann er. «
Sie schlängelten sich durch den fließenden Verkehr bis zur Avenida Vital Brasil und fuhren am Eingang vorbei auf den Parkplatz des Instituto Butantan. Die Paulistas schienen alle am Strand zu sein, die Straßen der Hauptstadt waren ungewohnt leer. Diesmal hatten sie einen Dienstwagen genommen. Die Aufschrift Polícia Civil do Estado de São Paulo wies den Blazer als Einsatzfahrzeug aus.
Vanderlei hatte den Feiertag noch bei seinen Eltern auf ihrem Landhaus bei Sorocaba verbracht, deshalb war er am Vortag nicht mit ins Leichenschauhaus gekommen. Er sprach nicht gerne darüber, aber sein Vater war Partner in einer der größten Anwaltskanzleien des Staates, die sich auf die pharmazeutische und petrochemische Industrie spezialisiert hatte. Irgendwann hatte er Teixeira gegenüber erwähnt, dass seine Eltern nicht besonders erfreut über seine Entscheidung waren, zur Polizeiakademie zu gehen. Eher hatten sie erwartet, dass er nach dem Examen eine juristische Laufbahn einschlagen würde, aber der Junge war ja schon immer etwas flatterhaft gewesen.
Doktor Yamato, der leitende Molekularbiologe des Laboratório De Artrópodes, erwartete sie in seinem Büro in dem einstöckigen Gebäude, das jüngeren Ursprungs war. Der Wissenschaftler war Ende Dreißig. Sein feines Asiatengesicht war von einem schwarzen Haarschopf gekrönt Er trug die klassische Mediziner- oder Forscheruniform, einen weißen Kittel mit Namensaufdruck auf der Brusttasche und einem Kugelschreiber darin. Der Mann strahlte Kompetenz aus und sein Händedruck war kraftvoll. Sie setzen sich auf Plastikstühle um einen kleinen Plastiktisch.
»Senhores, am Telefon haben Sie erwähnt, dass es einen Toten gegeben hat, der offenbar von einer Giftspinne gebissen wurde. Was Sie mir nicht mitgeteilt haben ist, dass das unten in Juquehy in einem Strandhaus passiert ist und dass bei dem Toten Verletzungen im Genitalbereich vorliegen. Dr. Sobrinho war so frei, mir diese Details nicht vorzuenthalten. Wir haben übrigens das Grundstudium gemeinsam absolviert. « Er zwinkerte Teixeira zu. Man war schließlich in Südamerika und Beziehungen waren extrem hilfreich, um klarzukommen.
Er fuhr fort. »Die Menge Gift, die man im Zellgewebe des Opfers nachweisen konnte, war in jedem Fall tödlich. Das hier wäre erst der zweite dokumentierte Todesfall in Zusammenhang mit Phoneutria nigriventer in São Paulo. «
Vanderlei kniff die Brauen zusammen. »Doktor, was ist Phoneutria nigridingsbums und warum glauben Sie, dass es genau diese Vieh war? «
Yamato sah ihn eindringlich an. »Delegado, das Vieh, wie Sie es nennen, lebt durchaus unter anderem in der Mata Atlântica. «
Er stand auf, zog ein großes bebildertes Buch aus einem Regal, blätterte kurz, bis er die Seite gefunden hatte und schob es ihnen zu. Die Doppelseite