Teixeira antwortete: »Ich danke Ihnen, dass Sie sich nochmals die Zeit genommen haben, mir das selbst zu berichten. Sie können jetzt gehen und Sie auch, Senhora da Fonseca. Ich wünsche Ihnen Frohe Weihnachten. Halten Sie sich aber bitte beiden den hiesigen Kollegen zur Verfügung, falls sie noch Fragen haben. «
Der Wachmann beeilte sich, aus dem Haus zu kommen, die Matrone schnappte sich ihren Putzeimer und watschelte ebenfalls hinaus. Vor der Tür konnte man sie noch hören: »Senhora hat er mich genannt, der delegado. Der weiß, was sich gehört, Dummkopf. «
Teixeira fuhr sich mit den Fingern durch die Bartstoppeln.
»Vanderlei, Mittag ist durch und mein Magen knurrt. Ich denke, wir sollten eine Kleinigkeit essen gehen und dabei überlegen, was hier eigentlich vor sich geht. «
Sie fuhren in das Restaurant gegenüber vom Shopping, das natürlich kein richtiges Einkaufszentrum war, sondern eine Reihe von Geschäften beherbergte, die Badekleidung, Spielsachen und Kunsthandwerk anboten. Das Ganze war weihnachtlich geschmückt, was hier am Strand besonders befremdlich wirkte. Sie teilten sich einen Pescado a Cambucu, der ganz ausgezeichnet war. Um diese Tageszeit waren sie fast die einzigen Gäste, obwohl der Ort sich bereits immer weiter füllte.
Ernesto Aparecido Teixeira arbeitete seit ungefähr einem Vierteljahrhundert in der Mordkommission bei der D. H. P. P. der Polícia Civil do Estado de São Paulo und war seit nunmehr zehn Jahren Leiter der 1adelegacia. Er nannte Vanderlei zwar immer seinen Assistenten, aber das war genau genommen nicht korrekt. Vanderlei Freitas de Conceição studierte Kriminologie an der Academia Nacional de Policia und war derzeit als Ermittler bei der D. H. P. P. eingesetzt. Der Geral war der Ansicht, der Junge könne bei Teixeira eine Menge lernen, auch oder gerade weil der Kommissar manchmal etwas unorthodoxe Methoden anwendete.
Teixeira stellte noch einmal seine Frage: »Was hat Tavares hier getrieben? Weihnachten am Strand. Ganz alleine? Hat er keine Familie? «
Vanderlei schnalzte verneinend mit der Zunge. »Er ist geschieden und seine greise Mutter wohnt irgendwo im Landesinneren. Die Ehe war kinderlos. Alles, was ich über ihn gefunden habe, steht in Verbindung mit seinem Engagement für die Holzindustrie. Die Kollegen versuchen seit heute Morgen seine Ex aufzutreiben. Irgendwer muss sich schließlich darum kümmern, dass der Mann anständig unter die Erde kommt. «
Der Kommissar versuchte sich zu erinnern, was er über die Holzindustrie wusste. Das war nicht viel. Seit einigen Jahren hatte sich durch den weltweit entstandenen Druck wohl so etwas wie ein Grünes Gewissen entwickelt und man versuchte, der unkontrollierten Abholzung des Regenwaldes Einhalt zu gebieten. In der Folha hatte er mal etwas gelesen von einem Conselho Brasileiro Florestal oder so ähnlich. Vanderlei würde hier nachforschen müssen.
»Pronto. Fahren wir zurück und reden wir mit dem Hausbesitzer. Vielleicht kann er uns erklären, was Tavares alleine hier unten wollte. « Er winkte den Kellner herbei und drücke seine Kippe im Aschenbecher aus.
Sie machten sich auf den Rückweg nach São Paulo. Die Imigrantes war so gut wie leer. Vanderlei auf seiner Yamaha und hinter ihm Teixeira in seinem verbeulten Honda schoben sich an den bunt bemalten LKWs vorbei, die sich mit Früchten und Fisch für die Hauptstadtmärkte schwer beladen die Serra do Mar hoch quälten. Nach mehr als zwei Stunden gelangten sie über Diadema nach Interlagos. Teixeira fluchte. Heiligabend war so gut wie gelaufen. Er rief seine Frau an und sie bat ihn gereizt, wenigstens noch schnell im SP-Market vorbeizufahren und etwas Wein und frisches Obst mitzubringen.
Das Haus von Gerhart Wagner lag unweit des Parque Jacques Cousteau. Vanderlei hatte maßlos übertrieben. Das Häuschen der Teixeiras befand sich zwar auch in Interlagos, unweit der Humboldt-Schule, aber von Nachbarschaft zu sprechen, verbot sich schon angesichts der Ausmaße dieses Palastes. Teixeira meinte sich zu erinnern, dass das ebenso große Anwesen nebenan ein Geschenk eines Formel 1-Fahrers an seinen Eltern gewesen war. Schräg gegenüber an der Straßenecke saß ein alter Mann vor einem provisorischen Wachhäuschen und schaute gelangweilt den Joggern und Hundehaltern zu, die um den See hechelten. Einige Jahre und etliche Kilo früher war Teixeira auch hier entlang gejoggt, zu der Zeit war das hier überwiegend noch Erdstraße gewesen.
Sie hatten ihren Besuch vorher angekündigt. Ihr Klingeln wurde von dem heiseren Gebell zweier Schäferhunde beantwortet. Ein Hausmädchen öffnete ihnen die Haustür, nachdem sie das Tor per Fernsteuerung geöffnet und hinter ihnen wieder geschlossen hatte.
Das Hausmädchen geleitete sie in den ersten Stock ins Arbeitszimmer. Das ganze Haus war ein einziges Museum. An jeder Wand hingen Skulpturen, Schnitzereien, Keulen, Speere, Wandteppiche und Gegenstände aus Metall, wahrscheinlich Messing. Das Arbeitszimmer war geradezu überladen. Vor dem imposanten Schreibtisch stand ein bestimmt anderthalb Meter langer Löwe aus einem wunderschönen, honigfarbenen Holz. Die hintere Wand war übersät von dutzenden Masken unterschiedlichster Form. Senhor Wagner schien viel gereist zu sein und er war eindeutig ein Sammler.
Wagner war ein freundlicher, älterer Herr. Er mochte Mitte Sechzig sein. Seine Kleidung war leger aber teuer. Seine ihm verbliebenen Haare waren schlohweiß. Er kam hinter dem Schreibtisch hervor, begrüßte sie freundlich und bat sie Platz zu nehmen. Die Sessel waren schwer und aus einem ähnlichen Holz gefertigt wie der Löwe.
Teixeira eröffnete die Unterhaltung: »Senhor Wagner, ich danke Ihnen, dass Sie so kurzfristig Zeit für uns haben. Angesichts des besonderen Tages sind wir auch gleich wieder verschwunden. Wir wissen noch nicht wirklich viel. Klar scheint, dass Sie dem Verstorbenen Ihr Wochenendhaus vermietet haben. Kannten Sie den Mann? «
Wagner sprach ein sehr flüssiges Portugiesisch, der leichte Akzent störte nicht: »Ihr Kollege hier hat am Telefon erwähnt, dass der arme Mensch wahrscheinlich an Gift gestorben ist. Haben Sie inzwischen schon Näheres über die Todesumstände herausgefunden? Die Nachricht hat mich doch etwas mitgenommen, wissen Sie? Auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte, so ist für mich der Tod doch nichts Alltägliches, zumal der Mann in unserem Strandhaus verstorben ist. Warum interessiert sich die Polizei dafür? Mordkommission, sagten Sie? «
»Wir wissen nur so viel, dass die Todesursache eine Vergiftung ist. Wir ermitteln zunächst gegen Unbekannt. Das ist die normale Vorgehensweise bei einem Tod mit unklarem Hergang «, log er. »Vielleicht können Sie uns ein wenig helfen, Näheres über den Hintergrund herauszufinden. Wieso haben Sie dem Mann eigentlich Ihr Strandhaus vermietet, machen Sie das öfter? «
Wagner zögerte etwas mit der Antwort. »Der Mann ist, war, offenbar der Bekannte einer guten Freundin, mit der meine Frau und ich gelegentlich Bridge spielen. «
Vanderlei unterbrach ihn. »Ach ja, wo ist eigentlich die Senhora? Ist sie zuhause? «
»Meine Frau macht noch ein paar Erledigungen für das Fest. Sie wird sicher bald zurück sein. Ich denke aber nicht, dass Sie etwas zur Aufklärung Ihres Falles beitragen kann. «
Teixeira hakte nach. »Zurück zu dem Mieter und Ihrer Bekannten, bitte. «
»Das ist ganz einfach. Unsere Freundin fragte mich vor ungefähr drei Wochen, ob wir das Haus für die Feiertage vermieten wollen. Seit unsere Kinder aus dem Haus sind, sind meine Frau und ich immer seltener am Strand. Das Häuschen haben wir uns schon vor vielen Jahren zugelegt und anfangs sind wir fast jedes Wochenende mit den Kindern runter gefahren. Damals war die Verkehrssituation noch nicht so chaotisch. Seit Juquehy sich zu einem Touristenort entwickelt hat, fahren wir eigentlich kaum hin. Manchmal fragt jemand aus dem Bekanntenkreis an, ob er das Häuschen für ein Wochenende oder über die Feiertage anmieten kann. Da wir ja auch ein wenig Instandhaltungskosten haben, nimmt man solche Gelegenheiten schon mal war. Der Schlüssel ist bei einem Hausverwalter hinterlegt und über diesen wickeln wir auch die Bezahlung ab. «
Teixeira und Vanderlei wechselten