Im Sport gab es beachtliche Erfolge in diesem Jahr 1959, dem Jahr meiner Einschulung. Das Traumpaar im Eiskunstlaufen, Marika Killius und Hans-Jürgen Bäumler gewann den Europameistertitel, in der Leichtathletik lief Martin Lauer, der sich später nicht ohne Erfolg als Schlagersänger hervortat, in 13,2 Sekunden neuen Weltrekord über 110 m Hürden und Rudi Altig wurde auf dem Nürburgring Radweltmeister. Aus den USA kam ein neuer Sport-Spaß auf die Bundesbürger zu, mit dem sie sich fit trimmen konnten. Auch meine Schwestern hatten ihn schon, den Hula-Hoop-Reifen.
Die Hessen hatten derweil eine Begegnung der besonderen Art. Die beiden Städte Frankfurt und Offenbach liegen knapp 20 Kilometer voneinander entfernt. Wenn also die Frankfurter Eintracht gegen Kickers Offenbach spielt, handelt es sich um ein klassisches Lokalderby, bei dem man das Spiel als Fan der Auswärtsmannschaft durchaus mit dem Fahrrad besuchen kann. Am 28. Juni 1959 aber war alles anders. Da mussten die beiden Mannschaften und 75.000 Zuschauer extra nach Berlin fahren, um bei diesem Lokalderby dabei zu sein, denn die Mannschaften aus den beiden Nachbarstädten waren gemeinsam in das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft eingezogen und der Endspielort war schon lange vorher bestimmt worden. 2:2 hieß es schon nach 23 Minuten in diesem Finale und so stand es auch am Ende der regulären Spielzeit. In der Verlängerung setzten sich die Frankfurter dann durch, gewannen am Ende mit 5:3 und wurden zum ersten Mal in ihrer Vereinsgeschichte Deutscher Meister.
Die Eintracht vertrat also Deutschland in der darauffolgenden Europapokal-Saison und dies ausgesprochen erfolgreich. Nachdem man Young Boys Bern und den Wiener Sport-Klub ausgeschaltet hatte gab es im Halbfinale einen 6:1- und einen 6:3-Sieg gegen den schottischen Meister Glasgow Rangers. Eintracht Frankfurt war damit die erste deutsche Mannschaft, die ein Europapokal-Endspiel erreicht hatte und dies sollte ausgerechnet in Glasgow ausgetragen werden, in der Stadt des unterlegenen Halbfinalgegners. 127.000 Zuschauer füllten den Hampden-Park, als Eintracht Frankfurt am 16. Mai 1960 gegen die Königlichen von Real Madrid zum Endspiel antrat, bei denen inzwischen auch Ferenc Puskas international mitwirken durfte. Überraschend gingen die Frankfurter gegen den haushohen Favoriten durch Richard Kress mit 1:0 in Führung und waren bis zur Halbzeit trotz eines zwischenzeitlichen 1:3-Rückstands ein ebenbürtiger Gegner. Doch dann gab es kein Halten mehr bei Real. Vier Tore schoss Puskas in diesem Spiel, der sich inzwischen für seine Dopinganschuldigung gegen die deutsche Weltmeistermannschaft entschuldigt hatte, drei Treffer erzielte di Stefano und Erwin Stein traf in der zweiten Halbzeit noch zweimal für die Eintracht. Am Ende gewann Real Madrid mit 7:3 und wurde zum fünften Mal in Folge Europapokal-Sieger. Damit endete jedoch diese legendäre Ära und andere Mannschaften versuchten, die Königlichen zu beerben, was letztendlich jedoch nur bedingt gelang.
Im Jahr 1960 fanden die olympischen Sommerspiele in Rom statt. Dabei lief der Deutsche Carl Kaufmann im 400-m-Endlauf mit 44,9 Sekunden Weltrekord und gewann doch nur die Silbermedaille. Gemeinsam mit dem Amerikaner Otis Davis lief er die Weltrekordzeit, doch sein Kontrahent lag um Millimeter vor ihm. Im 100-Meter-Sprint wurde der favorisierte Weltrekordler Armin Harry Olympiasieger, der auch mit der deutschen 4 x Hundertmeter- Staffel Gold gewann. Goldmedaillen-Gewinner wurde ebenfalls der legendäre „Ratzeburger Achter“ von „Ruder-Professor“ Adam. Drei Frauen waren in diesem Jahr die Stars der deutschen Schlager-Szene. Als Mädchen aus Piräus hoffte Lale Andersen „Ein Schiff wird kommen“, Lolita erinnerte die Matrosen daran, dass ihre Heimat das Meer sei und empfahl „Seemann, lass das Träumen“ und Heidi Brühls Schlager „Wir wollen niemals auseinander geh´n“ war das Lieblingslied meiner Mutter. Tief betroffen war die Nation, als bekannt wurde, dass am 24. Juli der beliebte Schauspieler und Sänger von Seemannsliedern, Hans Albers, im Alter von 68 Jahren verstorben war. Noch heut kennt jeder sein Lied „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“.
Ein junger Politiker machte im Jahr 1960 auf sich aufmerksam, von dem bis dahin kaum jemand Notiz genommen hatte. Es war Hans-Jochen Vogel, der in München zum neuen Oberbürgermeister gewählt wurde. In den Vereinigten Staaten hatte John F. Kennedy im Alter von 43 Jahren die Wahl zum Präsidenten gewonnen. Auch bei den Deutschen galt er als großer Hoffnungsträger für mehr Gerechtigkeit und für ein Ende der Unterdrückung auf der Welt. Und ein „alter Bekannter“ tauchte wieder auf, bei dem man eigentlich vermutet hatte, dass er längst nicht mehr leben würde, Adolf Eichmann. Der ehemalige SS-Führer war maßgeblich an der „Endlösung“ beteiligt und verantwortlicher Organisator für die Deportation und Vernichtung aller im deutschen Machtbereich lebenden Juden. In Argentinien, wo er nach dem 2. Weltkrieg unter falschem Namen untergetaucht war, wurde er von einem Überlebenden des Holocaust wiedererkannt. Aufgrund dessen Angaben und der seiner Tochter konnte der israelische Geheimdienst Eichmann aufspüren und nach Israel entführen. In Tel Aviv wurde ihm der Prozess gemacht. Als einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung von Millionen von Juden wurde er zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 hingerichtet.
Bevor Eichmann aus Argentinien entführt wurde, gab er dem Journalisten Willem Sassen, einem ehemaligen SS-Kriegsberichterstatter, ein ausführliches Interview, das mehrere Tage andauerte und in der es in erster Linie um seine Rolle im Zusammenhang mit der Vernichtung der Juden ging. Dieses Interview wurde auf Tonband aufgenommen. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich im Fernsehen eine Verfilmung gesehen habe, die das Aufspüren Eichmanns in Argentinien, seine Entführung und das entsprechende Interview zeigten, wobei dabei genau die Worte wiedergegeben wurden, die Eichmann tatsächlich gesagt hatte. Es war erschütternd, diesem Mann zuzuhören, der nicht im Ansatz Reue für seine Taten zeigte, sondern stattdessen immer noch voller Stolz und in abstoßender Selbstbewunderung, die durchaus krankhaft narzisstische Züge erkennen ließ, über sich und seine organisatorischen Fähigkeiten schwärmte, als ob die Ermordung der Juden ausschließlich ein logistisches Problem gewesen wäre. Ich musste bei dieser erbärmlichen Selbstdarstellung daran denken, dass Deutschland in den Jahren zwischen 1933 und 1945 einer Ansammlung von kranken Menschen ausgeliefert war, die allesamt in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik gehört hätten und nicht in die Führungspositionen eines Staates.
Der Hamburger SV erreichte 1960 zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft und wieder kam der Gegner aus der Oberliga West. Diesmal mussten sich die Hamburger mit dem 1. FC Köln auseinandersetzen, der in den Jahren zuvor immer stärker geworden war. Karl-Heinz Schnellinger war zu einem linken Verteidiger der internationalen Klasse gereift und auch Torwart Fritz Ewert, sowie Leo Wilden und Hans Sturm waren zwischenzeitlich von Sepp Herberger ins Nationalteam berufen worden. Neben Hans Schäfer spielte mittlerweile ein weiterer Weltmeister beim FC, nämlich Helmut Rahn. Der HSV setzte auf eine gesunde Mischung zwischen erfahrenen Spielern wie Kapitän Jochen Meinke und Dieter Seeler sowie den „jungen Wilden“ Uwe Seeler, Klaus Stürmer, Jürgen Werner, Gert „Charly“ Dörfel und Gerhard Krug. Es entwickelte sich ein rassiges und spannendes Endspiel im Frankfurter Waldstadion, das in der 2. Halbzeit an Dramatik kaum zu überbieten war. Die 1:0-Führung der Kölner in der 53. Minute glich Uwe Seeler noch in der gleichen Minute aus. Zehn Minuten vor Spielende brachte Linksaußen Charly Dörfel den HSV in Führung, die aber vier Minuten später durch Christian Müller egalisiert wurde. Fast im Gegenzug schlug erneut Uwe Seeler zu, der den 3:2 Endstand herstellte. Zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg wurde der HSV damit Deutscher Meister.
Auch im Europapokal der Landesmeister schlug sich der HSV bravourös. Im Viertelfinale verloren die Hamburger beim englischen Meister FC Burnley zwar mit 1:3, gewannen dann aber das Rückspiel in Hamburg sensationell mit 4:1 und hatten den Einzug in das Halbfinale geschafft. Gegner in diesem Semifinale war kein Geringerer als der FC Barcelona, der in der spanischen Liga längst ein ernsthafter Konkurrent der Königlichen von Real Madrid geworden war. Das Hinspiel in Barcelona verlor der HSV nur mit 0:1 gegen den haushohen Favoriten. Im Rückspiel war eine handfeste Sensation dem Greifen nahe. Das mit 72.000 Zuschauern vollbesetzte Hamburger Volksparkstadion schien zu explodieren. Sekunden vor Schluss führten die Hamburger durch Tore von Peter Wulf und Uwe Seeler mit 2:0. Doch dann ein unnötiger Ballverlust an der Außenlinie, ein schneller Vorstoß der Spanier über Außen, Flanke, der Ungar Kocsis – bekannt aus dem WM-Endspiel 1954 und wie