Die Odyssee. Christoph Laurentius Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Laurentius Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738087727
Скачать книгу
für sie, ebene Wiesen, voll mit sattem Klee; der Weizen und die Gerste wuchern auf deinen Feldern. Ithaka kann das nicht bieten, es gäbe keinerlei Auslauf für die Tiere; es ist eher ein Land, das sich für Ziegen eignet. Keine der Inseln, die dort im Meer liegen, bietet gute Bedingungen für Pferde, am allerwenigsten aber Ithaka."

      Da musste, Menelaos, der Meister des beeindruckenden Schlachtrufs, lächeln. Er nahm seinen jungen Gast freundlich in den Arm und sagte mit ernster Stimme: "Was du da sagst, mein Kleiner, ist der Beweis dafür, welch wahrhaft edles Blut durch deine Adern fließt. Ich muss dir also etwas anderes schenken! Nun gut, ich hab's ja. Das Haus ist voll von kostbaren Schätzen, und du sollst ruhig das Schönste und Wertvollste, das ich habe, als Geschenk mitnehmen: den kunstvoll gearbeiteten, großen Weinmischpokal aus Vollsilber mit Goldrandverzierung. Hephaistos höchstpersönlich hat ihn einmal angefertigt. Ich habe ihn von Phaidimos bekommen, dem König von Sidon, als ich auf dem Weg in die Heimat Gast in seinem Palast war. Er soll dir gehören."

      So saßen sie dort, und das Gespräch ging noch hin und her, als schon die Gäste im Haus des göttlichen Königs eintrafen. Die einen brachten ein Schäfchen zum Braten mit, die anderen wieder guten Wein, der den Männern Kraft gibt. Und Frauen mit wunderschönen Schleiern servierten Brot. Bald waren alle im hohen Saal mit der Mahlzeit beschäftigt.

      Indessen waren auf dem Platz vor dem Palast des Odysseus die Freier damit beschäftigt, Speerwerfen zu üben und den Diskos um die Wette zu schleudern, laut und selbstbewusst, wie es ihre Art war. Antinoos und der göttlich gutaussehende Eurymachos, die beiden Führungspersönlichkeiten unter den Freiern, saßen etwas abseits; sie waren ohnehin in allen Sportarten die Besten.

      In diesem Moment näherte sich Noëmon, der Sohn des Phronios, und fragte Antinoos: "Sag mal, Antinoos, ist schon raus, wann Telemachos aus Pylos zurückkommt, oder weißt du auch nichts? Er ist nämlich mit meinem Schiff gefahren, und ich brauch es nun selber, um nach Elis zu fahren. Ich habe dort zwölf Stuten plus mehrere Maultiere stehen, kräftige Viecher, aber noch wild. Ich muss ein paar von ihnen holen und für den Arbeitseinsatz zähmen."

      Da staunten die beiden Führungspersönlichkeiten nicht schlecht; sie hatten gedacht, Telemachos sei irgendwo draußen bei den Viehherden und keineswegs im nelëischen Pylos. Und Antinoos fragte zurück:

      "Das will ich nun aber ganz genau wissen, Noëmon. Wann ist er abgefahren? Hat er nur eigene Diener und Sklaven dabei, oder hat er auch Leute aus Ithaka mitgenommen? Zuzutrauen wäre ihm das ja. Und, sag mal ehrlich, hat er sich das Schiff einfach genommen, oder hast du es ihm, auf seine freundlichen Bitten hin, freiwillig überlassen?"

      Und Noëmon, Sohn des Phronios, gab offen und ehrlich zur Antwort: "Freiwillig natürlich; jeder hätte das genauso getan, wenn ihn ein Edelmann in einer Notlage darum bäte. Und er war sehr in Sorge. Da wäre es hart gewesen, nein zu sagen. Außerdem waren es - wenn man von uns einmal absieht - die besten jungen Leute aus guten Familien, die mit ihm fuhren. Mentor führte sie an, vielleicht war's auch ein Gott, zumindest sah er aus wie Mentor. Moment mal, ich habe Mentor doch gestern früh hier gesehen... Aber vorgestern ist er mit nach Pylos! Seltsam." Verunsichert ging er in Richtung väterlicher Behausung.

      Die beiden düpierten Führungspersönlichkeiten waren hellauf entrüstet. Da war sofort Schluss mit den sportlichen Übungen, alle mussten sich setzten. Antinoos, der Sohn des Eupeithes, war äußerst aufgebracht. Seine schwarze Seele kochte derartig, dass das Gehirn bereits in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und seine Augen sprühten wie Feuer, als er sagte:

      "Ungeheuerlich! Da hat also dieser dreiste Telemachos die Frechheit besessen, die Fahrt doch zu unternehmen. Und wir dachten, er würde sich nie trauen, gegen die Mehrheit zu handeln. Holt sich einfach ein Schiff, sucht sich seelenruhig die besten Leute aus; der Kerl wird uns eines Tages noch Schwierigkeiten machen! Soll ihm Zeus sämtliche Gräten, inklusive Rückgrat, brechen, bevor er ganz erwachsen wird. Also Bewegung, Leute! Mit einem schnellen Schiff und zwanzig fähigen Männern lauern wir ihm auf, wenn er durch die Meerenge zwischen Ithaka und den Felsen von Same zurückkommt. Das Herumsegeln soll ihm genauso gut bekommen wie seinem Vater." Das schlug er vor, und alle stimmten seinem Vorschlag zu. Sie standen auf und gingen ins Haus des Odysseus.

      Aber bald schon bekam Penelopeia Wind von dem Vorhaben der Freier. Medon, der neugierige Herold, hatte zwar nicht direkt, jedoch über die Hofmauer alles mitgehört und eilte in den Palast, es ihr zu melden. Kaum hatte er die Schwelle betreten, fauchte ihn Penelopeia an:

      "Was ist denn jetzt schon wieder, Herold, weshalb schicken dich die Freier diesmal? Sollen meine Mägde wieder alles stehen und liegen lassen, um Essen für sie zu machen? Ach, wenn es nur das letzte Mal wäre, dass sie hier essen! Es wäre mir lieber, sie hätten nicht so viel Interesse an mir. Ihr kommt wieder und wieder und verprasst allmählich das ganze Erbe des armen Telemachos, der sich noch nicht wehren kann. Habt ihr denn, als ihr klein wart, nicht von euren Eltern gesagt bekommen, wie anständig sich Odysseus ihnen gegenüber verhalten hat? Nie hat er das Volk schlecht behandelt, wie es andere Könige oft tun, die die einen protegieren und die anderen niederhalten. Er war immer ein gerechter, unparteiischer König, der niemandem geschadet hat. Und als Dank dafür zeigt ihr jetzt euren wahren Charakter, eure widerwärtige Gier."

      Medon aber, der sich durchaus selbst Gedanken machte, antwortete: "Schön wär's, Königin, wenn dies das einzige Übel wäre. Weit schlimmer scheint mir zu sein, was die Freier sich jetzt zusätzlich in den Kopf gesetzt haben; möge Zeus es verhüten! Sie planen, Telemachos auf der Rückreise mit ihren blitzgefährlichen Erzgeräten zu ermorden. Denn er ist weggefahren, um sich in Pylos und im gesegneten Lakedaimon nach seinem Vater umzuhören."

      Als Penelopeia das hörte, stockte ihr der Atem, ihre Knie wurden weich und ihr Herz stand still. Ihre Stimme versagte, lange blieb sie stumm. Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen.

      Nach einer Weile fand sie die Sprache wieder und sagte zu Medon: "Warum ist das Kind bloß weg, Medon? Was soll denn das, in seinem Alter schnelle Schiffe zu benutzen, diese für Männer gemachten Meeresrösser, mit denen man sich rasch vergaloppieren kann? Will er denn, dass auch sein Name aus der Liste der Lebenden gestrichen wird?"

      Medon aber, der sich durchaus selbst Gedanken machte, antwortete: "Es fällt mir schwer, auseinander zu halten: War es ein Gott, oder war es eigener Antrieb, der ihn nach Pylos fahren ließ? Er will eben Klarheit, ob sein Vater heimkehrt; oder was das Schicksal sonst mit ihm angestellt hat." Nachdem er das losgeworden war, beeilte sich Medon, das Haus des Odysseus zu verlassen.

      Denn auf Penelopeia hatte sich herzzerreißender Kummer gelegt; nicht mal richtig hinsetzen konnte sie sich, obwohl doch Sessel genug im Haus standen. Gleich auf der Schwelle ihres prunkvollen Gemachs sank sie nieder und schluchzte kläglich. Und alle Mägde, die gerade im Haus waren, heulten mit, junge wie ältere. Penelopeia begann zu jammern:

      "Ach, ihr Lieben, unsäglichen Schmerz schickt mir der Olympier, mehr als jeder anderen Frau meiner Generation. Erst verlor ich meinen Gatten, der den Mut eines Löwen hatte und in vielem die Danaer überragte; edel und rechtschaffen war er und in ganz Argos und Hellas berühmt. Und jetzt entführen mir die Stürme auch noch den geliebten Sohn! Nicht einmal von seiner Abfahrt wusste ich! Ihr seid grausam und herzlos; keine von euch hat mich aus dem Bett geholt, obwohl ihr sicher gewusst habt, wann er das große, pechschwarze Schiff besteigen würde. Wenn ich rechtzeitig von seinen Reiseplänen gewusst hätte, hätte er keinen Fuß vor den Palast gesetzt, es sei denn über meine Leiche. Aber nun sagt dem alten Dolios Bescheid, dem Sklaven, den mein Vater mir damals mitgab, als ich hier einzog, und der jetzt meinen Obstgarten betreut. Er soll schleunigst zu Laertes gehen und ihm alles berichten; vielleicht hat der ja eine Idee, was man tun könnte. Zum Beispiel vor allen Leuten Klage erheben, dass die Freierbande drauf und dran ist, sein und Odysseus' Geschlecht auszurotten."

      Darauf sagte Eurykleia, die treue Amme: "Mein liebes Kind, du kannst mich dafür ruhig auf grausame Weise hinrichten lassen - oder es sein lassen. Ich gestehe. Ja, ich wusste von der ganzen Geschichte. Und obendrein gab ich ihm alles, was er verlangte, Speisen und Weinvorräte für die Reise. Er ließ mich heilige Eide schwören, bis zum zwölften Tag zu schweigen, außer du hättest es aus anderen Quellen erfahren oder grämtest dich zu sehr. Er wollte nämlich auf keinen Fall, dass du dir durch übermäßiges Weinen deinen