Die Odyssee. Christoph Laurentius Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Laurentius Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738087727
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Göttin und dazu den Schleier. Wie ein Wasservogel tauchte sie hinunter in die aufgewühlten Wogen, und die dunklen Tiefen verschluckten sie wieder.

      Doch hatte der große Odysseus, der schon so vieles mitgemacht hatte, seine Zweifel. Immer noch schwer angegriffen, führte er ein Selbstgespräch mit seinem mutigen Herzen: "Ach, ich armer Wurm, dass mir jetzt bloß nicht ein unsterbliches Wesen eine Falle stellt! Ich soll mein Fahrzeug verlassen? Das scheint mir nicht angeraten. Ich hatte doch schon Land gesehen, allerdings in einiger Entfernung. Dort sei ich gerettet, sagte sie. Wie Recht sie hat. Doch scheint es mir besser, am Floß festzuhalten, solange die Balken beieinander bleiben. Ich ertrage das Wetter geduldig, komme was wolle. Falls die Wellen mir das Floß zertrümmern, kann ich immer noch schwimmen. Was dann der denkbar beste Ausweg sein wird." Während er sich über diese Dinge tiefschürfende Gedanken machte, schuf Poseidon, der die Elemente beherrscht, eine mächtige, ganz und gar entsetzliche Woge; sie baute sich auf, wölbte sich hoch und schlug auf ihn nieder. Und wie ein heftiger Windstoß einen Haufen trockener Spreu zerstreut, sie hierhin und dorthin bläst, so leicht nahm die Woge das stabile Floß auseinander. Doch der tapfere Odysseus schwang sich auf einen Balken und benutzte ihn als eine Art Rennpferd. Immerhin zog er jetzt die Kleider aus, die er von Kalypso bekommen hatte. Und er band sich schleunigst den Schleier um. Dann sprang er kopfüber in die Fluten und schwamm mit ausgreifenden Zügen kraftvoll los.

      Als ihn Poseidon so sah, schüttelte er nochmals sein Haupt im Zorn und sagte: "Irre du nur durchs Meer deiner zahllosen Probleme; rette dich meinetwegen zu diesen götterverwandten Menschen. Ich denke, du wirst weiterhin nicht zu klagen haben, dass es dir an Unglück mangelt." Damit peitschte er die Rosse mit den prächtigen Mähnen und raste los nach Aigai, wo er seinen berühmten Palast hatte.

      Nun aber griff Athene ein, die Tochter des Zeus. Sie bremste den ungestümen Lauf der Winde, befahl ihnen aufzuhören und sich schlafen zu legen. Nur den kräftigen Nordwind ließ sie blasen, um ihrem Liebling einen Weg durch die Wogen zu ebnen; denn der mutige Held sollte ja auf jeden Fall zu den Phaiaken, den Meistern an den Rudern, gelangen. Seine letzte Stunde war noch nicht gekommen.

      Zwei Tage und zwei Nächte trieb er in den wilden Wogen, mehrere Male hatte er schon den Tod vor Augen. Als dann Eos mit den schönen Locken am dritten Tag heraufstieg, legte sich der Sturm. Ruhig und heiter wurde die Luft. Klar sah er schon, wenn die sanfte Dünung ihn hochhob, das nahe Festland vor sich. Wie ein Kind sich über die Rettung seines Vaters freut, der unter starken Schmerzen an einer langanhaltenden, schweren Krankheit litt, die ihn mit der Macht eines Daimons im Griff hatte, und dem endlich die Götter glückliche Genesung bringen, so freute sich Odysseus über das Land und die Bäume. Mit neuen Kräften schwamm er, um bald festen Boden unter die Füße zu bekommen. Als er so nah am Land war, dass eine Stimme die Entfernung hätte überwinden können, und er schon das Donnern der auf die Riffe schlagenden Brandung hörte, kam wieder eine mächtige Woge angerauscht, die, sich überschlagend, unter wildem Gegurgel, eine salzige, alles vernebelnde Gischtwolke erzeugte. Diese Küste kannte keine Buchten, geschweige denn Häfen, in denen Schiffe Schutz finden konnten. Sie starrte nur so von Klippen und felsigen Riffen. Da wurden Odysseus' Knie weich, sein Mut sank auf einen Tiefpunkt, und schwer verärgert führte er ein Selbstgespräch mit seinem tapferen Herzen:

      "Auch das noch! Da lässt mich Zeus wider Erwarten Land sehen, und jetzt, wo ich diesen Abgrund von Meer überwunden habe, gibt es keinen Weg, aus den grauen Fluten herauszukommen. Vorne messerscharfe Riffe, ringsherum gefährliche Strudel und Brandung, weiter hinten glatte Felsen, die steil in die Höhe ragen. Zu tief ist das Meer dort, als dass man stehen könnte. Wenn ich hinschwimme, packt mich eine große Welle und wirft mich gegen die Felsen; jede Gegenwehr wäre zwecklos. Wenn ich aber längs des Ufers weiterschwimme, um eine Stelle zu suchen, wo es flache, geschützte Buchten gibt, könnten mich, fürchte ich, erneut stürmische Wirbel hinaustreiben auf die See, die von Fischen wimmelt. Selbst Tiefseeungeheuer könnte ein böser Daimon mir auf den Hals hetzen; Amphitrite nährt ja bekanntermaßen viele dieser Monster. Nur eines ist ganz sicher: Der große Poseidon meint es nicht gut mit mir."

      Während er im Selbstgespräch mit seinem tapferen Herzen über derlei Dinge nachsann, warf ihn eine wütende Welle auf die Felsen der Küste. Und es hätte ihm die Haut in Fetzen vom Leib gerissen und sämtliche Knochen gebrochen, wenn nicht Athene, die Göttin mit den strahlenden Augen, ihm geistesgegenwärtig geholfen hätte. Ächzend klammerte er sich mit den Händen an einen Fels, bis die Welle vorbeiging. Geschafft. Doch zurückflutend ergriff sie ihn erneut und sog ihn mühelos weit vom Ufer weg. Und wie in den Saugnäpfen eines Polypen, den man seinem felsigen Versteck entreißt, noch Spuren von Stein haften, so hafteten Bröckchen von Fels in der geschundenen Haut von Odysseus' starken Händen. Dann tauchte er unter in dunkle Wogen. So wäre der Arme entgegen seiner Bestimmung doch vorzeitig umgekommen, wenn nicht die helle Athene ihn auf die Idee gebracht hätte, unter der Brandung, die ans Festland drängte, durchzutauchen und längs der Küste nach einer flachen Stelle oder einer geschützten Bucht Ausschau zu halten. Er schwamm also, und irgendwann gelangte er zur Mündung eines großen Flusses. Diese Stelle kam ihm weitaus günstiger vor, da sie windgeschützt, strudellos und felsenfrei war. Und als er die Strömung des Flusses spürte, betete er inbrünstig:

      "Erhöre mich, Flussherrscher, wer du auch seist! Du kommst wie gerufen, mich aus dem Meer und aus Poseidons Folter zu retten. Jemand, der sich unterwegs verirrt und in Not ist, darf selbst von unsterblichen Göttern ein wenig Hilfe erwarten. Und so flehe ich als jemand, der viel durchgemacht hat, auf Knien vor dir und deinem Fluss, hab Mitleid, Herrscher, bitte, rette mich."

      Und augenblicklich hielt der Fluss seine Strömung an, spiegelglatt und unbewegt ließ er sein Wasser ruhen und rettete Odysseus ans Ufer. Dort angelangt, verlor er die Kontrolle über seine Arme und Beine; der Kampf mit dem Meer hatte ihn alle Kräfte gekostet. Seine Haut war aufgedunsen, aus Mund und Nase floss amphorenweise Wasser, er schnappte nach Luft. So ausgepumpt war er, dass er ohne weiteren Kommentar bewusstlos zu Boden sank.

      Als er wieder atmete und zur Besinnung kam, legte er den Schleier der Göttin ab und ließ ihn ins Wasser des Flusses fallen; Wellen und Strömung trieben ihn hinaus, und dort nahm ihn Ino sogleich eigenhändig entgegen. Nun schleppte er sich von der Flussmündung weg, ließ sich ins Schilf fallen und küsste die Nahrung spendende Muttererde. Seufzend sprach er zum tapferen Herzen:

      "O weh, was blüht mir jetzt, wie wird das wieder enden? Wenn ich schutzlos hier am Ufer bleibe, werde ich kein Auge zutun; Frost und der kalte Frühtau werden mir die allerletzten Kräfte rauben. Eiskalt weht es ja vor Sonnenaufgang von den Flüssen her. Klettere ich den Hang hoch zum Wald und lege mich dort zum Schlafen in die Büsche, entkomme ich vielleicht dem Kältetod, und Hypnos beglückt mich mit Schlaf, doch steht zu befürchten, dass ich stattdessen Beute wilder Tiere werde."

      Über derlei Dinge sann er nach. Endlich schien es ihm das Beste, hoch in das Wäldchen zu gehen. Es lag, ringsum frei, nicht weit vom Fluss. Er fand einen Platz zwischen eng ineinander gewachsenen Büschen wilden Ölbaums und Wegedorns. Hier gab es weder starken Wind noch nasskalte Luft; nie drangen die Strahlen der leuchtenden Sonne durch das Gestrüpp, noch konnte der Regen seine Tropfen bis dorthin schicken, so dicht waren die Zweige ineinander verschlungen. Odysseus kroch hinein in das Gebüsch, machte sich ein Bett aus trockenem Laub, von dem es so reichlich viel gab, dass es leicht für zwei, sogar für drei Bedürftige gereicht hätte, selbst im tiefsten Winter, mochte der auch noch so streng sein. Da freute sich Odysseus, der viel hatte durchmachen müssen, freute sich aus ganzem Herzen, streckte sich mitten hinein ins Laub und deckte sich mit Blättern zu. Wie ein Mann auf einem abgelegenen Acker, da weit und breit kein Nachbar zu finden ist, den Feuerbrand sorgfältig abdeckt unter Haufen grauer Asche, damit die Glut nicht erlischt und er weit laufen muss, um sie woanders wieder zu besorgen, so sorgfältig deckte sich Odysseus mit den Blättern zu. Und Athene goss ihm Schlummer in die Augen; schnellstens sollten die lieben Lider sich schließen, um den Erschöpften von der Erschöpfung zu erlösen.

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