Die Odyssee. Christoph Laurentius Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Laurentius Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738087727
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Stimmen ihrer jeweiligen Bettgenossinnen imitiert! Wir drei, ich, der Tydide und der Held Odysseus, saßen mittendrin im Bauch des Holzgauls, hörten dich rufen und hatten natürlich große Lust, gleich herauszustürmen oder zumindest auf deine Rufe zu antworten. Allein Odysseus erlaubte es nicht, so sehr wir auch drängten. Die Achaiersöhne hatten sich auch bald wieder beruhigt, bis auf Antiklos, der unbedingt Kontakt mit dir aufnehmen wollte. Odysseus presste ihm mit seinen starken Händen den Mund zu und hat uns alle damit gerettet. Er hielt ihn so lange fest, bis Pallas Athene so gnädig war, dich endlich von dannen zu führen."

      Da mischte sich Telemachos ins Gespräch. Er gab zu bedenken: "Mensch, umso schlimmer, Menelaos! So hat Odysseus ein viel grauenhafteres Ende gefunden! Seine ganze eiserne Kampfkraft hat ihm letztendlich nichts genützt. Aber bitte, lasst uns nun zu Bett gehen, damit der süße Schlaf uns für morgen stärkt."

      Helena von Argos befahl ihren Dienerinnen, in der Vorhalle zwei Betten aufzustellen, mit schönen, purpurnen Kissen, und jede Menge wollene Decken daraufzulegen. Aus den Kammern eilten die Mägde mit brennenden Fackeln und richteten alles. Ein Herold führte die beiden hin, und so ruhten sie dort im vorderen Teil des Palasts, der strahlende Telemachos, und der gutgebaute Sohn des Nestor, Peisitratos. Der Atride legte sich im Innern des großen Hauses neben Helena nieder, der schönsten aller Frauen, die jedoch in sehr langen Gewändern schlief.

      Als aber Eos die Morgenröte schickte, verließ Menelaos, der Meister des furchterregenden Schlachtrufs, sein Bett, kleidete sich an und hängte sich sein Schwert um die Schulter. An seine Füße band er die exklusiven Sandalen und schritt dann wie ein leibhaftiger Gott aus dem Schlafzimmer. Er ging zu Telemachos, setzte sich neben ihn und fragte:

      "Was führte dich her, tapferer Telemachos, übers weite Meer bis in unser gesegnetes Lakedaimon? Ist es eine öffentliche Angelegenheit oder eine Privatsache? Du kannst offen mit mir sprechen."

      Telemachos antwortete bedacht: "Göttlicher Menelaos, Sohn des Atreus, Gebieter deines Volkes! Ich bin hergekommen, um durch dich vielleicht etwas über meinen Vater herauszufinden. In unserem Haus herrscht Verschwendung. Mein Erbe, die reichen Güter, Schafe, Rinder und so weiter, werden immer weniger; unser Palast ist voll widerwärtiger, überheblicher Männer, die auf meine Mutter scharf sind. Daher bitte ich dich inständig, mir zu verraten, wie mein Vater sein trauriges Ende fand, vielleicht warst du ja Augenzeuge. Oder du hast von andern gehört, wo er herumirrt. Ach, in was für ein Elend hat seine Mutter ihn bloß geboren! Und bitte, mir gegenüber keine falsche Rücksicht oder Mitleid, sag mir offen und ehrlich, was du gesehen hast und was geschah. Wenn dir je mein Vater, der tapfere Odysseus, mit Worten oder Taten beigestanden hat, als ihr vor Troja lagt und die Situation für die Achaier brenzlig wurde, dann denk jetzt daran, mir zuliebe. Sag die ganze, brutale Wahrheit."

      Mit Zorn reagierte darauf der blonde Menelaos: "Das ist ja das Letzte! Es wäre ein Skandal, wenn diese Schlappschwänze sich ins gemachte Bett eines solchen Mannes legen dürften! Um bildlich zu sprechen: Das wäre etwa so, als ob eine Kuh ihr frisch geborenes Kälbchen in der Höhle des Löwen unterbringt, der seinerseits friedlich durch Wälder und Wiesen streifend nach Grünfutter sucht. Doch so ist er nicht, der Löwe! Nein, er kehrt zurück in seine Höhle und tötet die Kuh und ihr Junges! Und ebenso wird Odysseus mit den Freiern verfahren, erbarmungslos. Beim Zeus, bei Athene und Apollon, ich hoffe, er ist noch so stark wie damals, als er auf der schönen Insel Lesbos im Ringkampf gegen König Philomeleidos antrat und ihn derart fertigmachte, dass alle anwesenden Achaier vor Begeisterung aufschrien. Nimm Gift drauf, Junge, kommt Odysseus je zurück, dann gibt es ein tödliches Fest für die Freier, eine Hochzeit des Schreckens wird das!

      Nun, was deine Frage angeht, so bin ich nicht der Mann, der falsch redet oder ausweicht. Ich werde dir verraten, was ein glaubwürdiger Meeresgeist, der alte Proteus, mir offenbarte. Die Götter hielten mich damals in Aigyptos fest, trotz meines Heimwehs, denn ich hatte wichtige Opfertermine einfach verstreichen lassen. Und die Götter achten nun mal darauf, dass wir sie mit der gebotenen Regelmäßigkeit verehren. Also, es gibt da in der Nähe von Aigyptos eine kleine Insel, mitten in der unruhigen See. Sie heißt Pharos und ist vom Festland mit einem großen Schiff in einem Tag zu erreichen, vorausgesetzt, man hat günstigen Wind. Sie hat einen natürlichen Hafen, und viele Schiffe halten dort kurz, um frisches Wasser aus den dunklen Brunnen aufzunehmen. Mich hielten die Götter ganze zwanzig Tage fest auf Pharos, denn was Schiffe gemeinhin brauchen, um übers weite Meer zu fahren, fehlte - kein Lüftchen regte sich.

      Meine Männer wären regelrecht verhungert, wenn nicht eine Göttin mich gerettet hätte, Eidothea. Sie, die Tochter des urigen Meergreises Proteus, hatte echtes Mitleid mit mir. Einsam lief ich herum, weit weg von meinen Leuten, die mit selbst gebastelten Haken Fische zu fangen versuchten, der Hunger verdrehte ihnen ja schon die Mägen. Da näherte sich mir auf einmal die Göttin und sprach mich an: 'Bist du nur einfach dumm, Fremder, und erschöpft? Oder steckt Absicht dahinter und du genießt eventuell sogar dein Elend, dass du so lange auf der Insel bleibst, ohne dir Gedanken zu machen, wie du wegkommst, während deine Männer immer mutloser und schwächer werden?' Ich antwortete ihr: 'Wer auch immer du bist unter den Göttinnen, ehrlich gesagt, ich könnte mir leicht besseres vorstellen, als auf dieser Insel festzusitzen. Ich muss wohl die Unsterblichen droben verärgert haben. Apropos, sag du mir doch, Götter wissen schließlich alles, wer von denen da oben etwas gegen meine Weiterfahrt hat. Und was muss ich tun, damit ich über die fischreichen Jagdgründe wieder heimkomme?' Und die holde Göttin antwortete mir umgehend: 'Aber bitte sehr, Fremder, das verrate ich dir doch gern. Hier hält sich sehr häufig ein Meeresgeist auf, der unsterbliche Proteus vom Fluss Aigyptos, ein uralter Diener des Poseidon. Die tiefsten Tiefen des Meeres sind sein Reich, und man munkelt, er sei mein väterlicher Erzeuger. Wenn es dir gelingt, ihm aufzulauern und ihn irgendwie zu packen, wird er dir seefahrerisch präzise Angaben für die Weiterfahrt geben. Du kannst ihm wirklich vertrauen, und wenn du neugierig bist, wird er dir auch sagen, was alles an Gutem oder Bösem bei dir zu Hause passiert ist, während du dich fern den Deinen auf langen, beschwerlichen Wegen herumgetrieben hast.' Sie schwieg, aber ich bohrte weiter: 'Dann erklär mir doch bitte, wie ich den göttlichen Meeresgreis zu packen kriege. Wenn er mich zu sehen bekommt, taucht er garantiert weg. Götter lassen sich ungern von Sterblichen festnageln.' Und die holde Göttin verriet es mir. 'Fremdling', sagte sie, 'ich bin immer offen und direkt. Wenn Helios in seinem Lauf den höchsten Punkt erreicht hat und der Zephir sanft die Wellen kräuselt, steigt der Bote der Wahrheit, der Alte vom Meere, aus den salzigen Fluten, um sich zur Ruhe zu legen. Und aus der schäumenden Brandung steigen in dichten Scharen die Robben, die Kinder der lieblichen Meerestochter, mit ihrem scharfen Geruch aus den Tiefen des Meeres, um mit ihm zu schlummern. Dahin führe ich dich bei Morgenrot. Du legst dich dort hin mit drei Gefährten, den mutigsten, die du auf deinem Schiff auftreiben kannst. Und das sind die Finten und gefährlichen Eigenheiten des Alten: Als Erstes wird er zu den Robben gehen, sie mustern und zählen. Wenn er sie mit Hilfe der fünf Finger seiner Hand abgezählt hat, legt er sich in ihre Mitte, wie der Hirte zu seinen Schäflein. Sobald ihr sicher seid, dass er schläft, müsst ihr alle eure Kräfte zusammennehmen, euch auf ihn stürzen und ihn an Ort und Stelle festhalten. Er wird sich heftig wehren und er wird unablässig seine Gestalt ändern, um euch zu entkommen. Er kann sich in jedes Wesen verwandeln, das auf dieser Erde kreucht und fleucht, aber auch in Elemente wie Wasser oder Feuer. Lasst keinen Augenblick locker, presst ihn nur unerbittlicher auf den Boden! Erst wenn er schließlich, in seiner ursprünglichen Gestalt, von sich aus zu reden beginnt und dir eine Frage stellt, brauchst du keine Gewalt mehr anzuwenden. Lass ihn dann los, du Held, und frag ihn, welcher Gott dir das Leben schwer macht und wie du über das fischreiche Meer in deine Heimat kommst.'

      Nachdem sie das gesagt hatte, tauchte die Göttin in die Fluten und war verschwunden. Ich ging mit heftig klopfendem Herzen zu den Schiffen zurück. Wir bereiteten ein mageres Abendessen, denn die milde Nacht nahte schon, und schliefen bald ein, im Sand nahe der Brandung.

      Und als in der Frühe strahlend Eos das Morgenrot schickte, ging ich am Strand des unermesslichen Meeres entlang und betete innig zu den Göttern. Mit mir gingen drei Gefährten, auf die ich mich in jeder Situation verlassen konnte. Inzwischen hatte die Göttin aus den Tiefen, in die sie getaucht war, die Felle von vier geschlachteten Robben heraufgebracht, alle ganz frisch abgezogen, um ihren Vater perfekt zu täuschen. Sie hatte bereits Kuhlen im Sand gegraben, saß dort und wartete auf