Es steckte zwar ein kleiner Macho in ihm, doch sonst schien er durchaus in Ordnung zu sein.
Und zudem war Georgs Kollege ein unverfängliches Thema, denn Verena musste feststellen, dass die Nähe von Georg so ganz alleine im Haus sie aus dem Gleichgewicht brachte.
„Paul ist vermutlich stolz darauf, dass sein Sohn in seine Fußstapfen getreten ist“, erwähnte sie beiläufig, während sie versuchte den ersten Schaltkreis zu schließen.
„Nein, eigentlich nicht. Schon Pauls Vater war Polizist und Philipp hat sozusagen die Familientradition aufrechterhalten. Doch Paul wäre es lieber gewesen, wenn Philipp wie sein jüngerer Bruder Michael studiert hätte. Polizist ist einer der Wunschberufe bei kleinen Jungen, doch wenn man einmal erwachsen ist, weiß man, dass es oft anstrengend ist und auch gefährlich. Zudem kommt man schwer weiter und der Verdienst und die Arbeitszeit sind ja auch nicht gerade familienfreundlich. Paul hat sich gewünscht, dass es seinen Kindern einmal besser geht.“
„Bereust du es, dass du dich dafür entschieden hast?“, fragte Verena interessiert.
„Nein, keinen Augenblick, doch vermutlich hätte ich genauso wie Paul gedacht.“ Da war dieser kleine unterschwellige Klang in Georgs Stimme, der Verena zu verstehen gab, dass er sehr wohl darüber nachgedacht hatte und zwar für seinen Sohn.
Doch wenn Georg über seine Familie reden wollte, würde er das von selbst tun. „Und was ist nun Philipps Bruder geworden?“, fragte Verena interessiert.
„Investmentbanker.“
Fast hätte Verena aufgelacht. „Das ist doch nicht dein Ernst? Nicht, das ich diesen Michael das nicht zutraue. Aber so einen steifen Anzughai mit Paul und Philipp in einem Raum als Familie kann ich mir schwer vorstellen.“ Verenas Überraschung entlockte Georg ein Grinsen.
„Ja, das denke ich mir auch jedes Mal. Philipp und Michael sind sehr verschieden und glaube mir, Paul ist auf seine Söhne sehr stolz.“
Ja, Paul war stolz, daran hatte Verena keinen Zweifel. Vielleicht war er anfangs enttäuscht gewesen über Philipps Wahl, doch er hatte die Entscheidung akzeptiert. Wie sehr hatte sie sich das auch von ihren Vater gewünscht.
„Philipp ist ein guter Kollege und ein guter Freund, auch wenn er seine lästernde Zunge nicht im Zaum halten kann.“ Georg lag es offensichtlich daran, seinen Freund ist rechte Licht zu rücken.
„Ist mir aufgefallen. Doch es ist mir lieber, wenn Menschen sich geben wie sie sind und sich nicht hinter einer Maske verstecken.“ So wie es Matthew getan hatte.
„Höre ich hinter diesen Worten eine Geschichte“, sah Georg horchend auf.
„Die ist kompliziert und langwierig wie dieses Messgerät“, seufzte Verena.
„Ich habe Zeit und meine Ohren sind zurzeit nicht beschäftigt.“
„Du gehörst zu den Menschen die schwer ein nein akzeptieren können. Kommt mir irgendwie bekannt vor.“ Verena sah nachdenklich ins Leere.
„Wenn du nicht willst, dann reden wir über etwas anderes.“ „Müssen wir denn ständig reden?“, seuftze Verena laut auf.
„Nein, aber warum auch immer, wir sind zwei Menschen die das Wesentliche in uns schweigend durchs Leben tragen und seit ich dich getroffen habe, hat sich dieser Damm gelöst, der die Flut im Zaum hielt. Es gibt eine Ebene zwischen uns, die mir das Reden überhaupt ermöglicht. Das ist etwas vollkommen Neues für mich.,“ bekannte Georg offen.
Ja, da war diese Ebene, doch Verena war sich nicht sicher, ob sie diese überhaupt wollte. Dieser Weg führte zu Verletzlichkeit und sie wollte nicht so angreifbar sein. Doch vielleicht war es schon zu spät abzubiegen.
„Ich glaube, wir verlassen den Pfad der Verlegenheit. Warum packst du eigentlich deine Sachen nicht aus?“, und Georg deute viel sagend auf die Schachteln und Kisten, die wie am ersten Tag im Haus verteilt waren.
„Damit ich schnell verschwinden kann“, flüstere Verena rau. Die Worte waren heraußen bevor sie sie aufhalten konnte. Sie gab es auf weiter an den Stromkreisen zu arbeiten, denn Georg hatte inzwischen das Gerät vollkommen an sich gerissen. Verena steckte ihre Hände in die Taschen, Georg fiel auf, dass sie das jedes Mal tat, wenn sie etwas von sich preisgab. Doch ihre Antwort überraschte ihn.
„Ich möchte nicht darüber reden.“ Verenas Aussage war klar und deutlich, doch Georg war viel zu sehr Polizist um die Sache ruhen zu lassen, zumindest auf längere Sicht. Doch er erkannte, wann er die Grenzen nicht überschreiten durfte. Er nickte, damit Verena erkannte, dass das Thema vorläufig für ihn beendet war.
Und den Rest des Abends verbrachten sie im einträglichen Schweigen über Verenas komplizierten Apparat.
Und so verging die Woche wie im Flug. Morgens gemeinsames Frühstück bei Emilia, während des Tages forschte sie weiter im Stadtarchiv und studierte die Aufzeichnungen in Stegersbach und verbrachte unterhaltsame Stunden mit der Gräfin. Karla wurde ihr jeden Tag eine bessere Freundin und mit ihren Hunden verwandelten sie abendlich den Park in eine Tollwiese. Nach sieben kam dann Georg und stundenlang schraubten, verdrahteten und zerlegten sie wieder das Messgerät von Verena.
„Dieses Mal funktioniert es“, meldete Georg selbst sicher.
„Das hast du schon vor zwei Tagen behauptet“, widersprach Verena belustigt. Doch auch Verena war zuversichtlich, es sah zumindest schon gut aus.
„Was misst du eigentlich damit?“, fragte Georg schon zum wiederholten Mal.
„Energien.“
„Kannst du mir das mal genauer ausführen? Denn wenn du nur „Energien“ misst, könnten wir es wesentlich einfacher haben.“
„Du hast Recht. Alles auf der Erde besteht – zumindest theoretisch – aus irgendeiner Form aus Energie. Das macht sich ja die Polizei zu nutze, z. B. mit Wärmekameras und ähnlichen. Doch ich möchte keine Lebewesen aufspüren, sondern Schwingungen aufzeichnen, die wir zwar geistig erfassen, jedoch nicht sehen können. Ich meine, je nach unseren Gemütszustand geben wir unterschiedliche Schwingungen ab. Wut, Ärger, Angst aber auch Freude setzt auch bei uns erhöhte Energie frei. Und das ist letztendlich auch die Quelle unseres Seins. Und dieses Messgerät besitzt die Eigenschaft nicht nur diese konzentrierten Energien von uns zu erfassen, sondern besonders jene die körperlos sind.“
„Geister.“
„Ja.“
Verenas Antwort war so spontan und bestimmt, dass sogar Georg selbst davon überzeugt war, dass es möglich war. Georg zog die letzte Schraube fest, schob den Schalter auf „On“ und stützte sich abwartend auf seine Handfläche. „Und wie testen wir jetzt, ob es funktioniert? Ich verspüre im Moment weder Wut noch Ärger und schon gar keine Angst.“
Verena sah dieses Funkeln in den Augen, den Glanz und sie hatte nicht die Kraft sich von seiner Aura zu lösen. In diesen Augen lag die ganze Welt. Georg war Polizist und im Grunde seines Herzens glaubte er nicht an Geister, doch er belächelte ihre Arbeit nicht, nahm ihre Aussagen als gegeben hin.
Vertrauen – das war das Wort, das alles möglich machte. Und in diesen Moment sehnte sich Verena schmerzlich danach. Verena hatte tiefes Vertrauen schon vor einiger Zeit verloren und ohne dieses Gefühl war man einsam.
Verena fühlte wie ihr Herz schneller zu schlagen begann und sie wischte ihre Bedenken zur Seite, überwand die Mauer die sie mühsam versucht hatte in den letzten Tagen aufrecht zu erhalten. Morgen würde wieder alles anders sein, doch das war ihr in diesen Moment egal.
Sie fühlte seine warmen Hände in ihren Nacken, die sie an ihn heranzogen. Sog den maskulinen Geruch ein, der ihn umhüllte. Ihre Lippen verbanden sich zu einem endlosen Kuss und die mühsam zurückgehaltenen Gefühle der letzten Woche brachen an die Oberfläche. Verena nahm vage wahr, dass sich der Schreiber des Gerätes zu bewegen begann, doch Georgs Bewegungen fesselten viel mehr ihre Aufmerksamkeit. Seine