Im Bann der Traumfänger. Olaf Falley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Falley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255201
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Wir sollten heute Nacht ausgiebig ruhen, doch im Morgengrauen will ich mich gemeinsam mit dir auf den Weg machen. Hilda hatte Recht. Du musst so schnell wie möglich zu Thoralf und mit deiner Ausbildung beginnen.“

      Ein Schatten schien sich auf Marie gelegt zu haben. Sie wirkte plötzlich traurig und verzweifelt.

      „ Alles endet irgendwann“ hörte Baldur sie flüstern.

      Im nächsten Moment schien sich die Erde aufzutun und der Himmel seine finstersten Kreaturen herabzuschicken. Neben Baldur ertönte ein fürchterliches Gebrüll und aus dem Wald brach ein riesiger Bär hervor. Doch niemand schien sich vor ihm zu fürchten. Alle starrten gebannt nach oben. Vom Himmel schwebten zwei Traumfänger herab. Eine Panik brach los. Die Dorfbewohner rannten wild durcheinander. Doch die Erstgeborenen verschwendeten keine Aufmerksamkeit auf sie, ihr Ziel hieß Baldur. Marie stellte sich schützend vor den Jungen und der Bär stellte sich vor Marie.

      Die Traumfänger zögerten.

      „Geh aus dem Weg, Weib. Vielleicht verschonen wir dein Dorf, wenn du uns den Jungen gibst“

      Die Stimme der Kreatur erklang in allen Köpfen gleichzeitig, sanft, wie ein Frühlingsregen und betörend schön.

      „Erkennst du mich denn nicht, elende Kreatur? Glaubst du wirklich, ich würde dir die Hoffnung der Welt zu Füßen legen. Wenn du den Jungen willst, musst du ihn dir holen.“

      „Du wirst ihn mir bringen, Weib, denn kann ich diesen Balg nicht haben, nehme ich derweil mit deinem eigenen Sohn vorlieb.“

      Mit diesen Worten stürzte sich der Traumfänger auf den hilflosen Simon und erhob sich mit ihm in die Lüfte. In diesem Augenblick geschahen viele Dinge gleichzeitig, Marie schrie auf, aus dem Wald kam ein weiterer Bär, noch gewaltiger, als der erste und Baldur rief Worte in einer Sprache, die er gar nicht kannte. Worte, die ihm scheinbar von selbst in den Mund flogen. Der Traumfänger sah sich außerstande, mit seiner Last höher zu steigen. Baldurs Worte schienen ihn knapp fünfzehn Fuß über dem Waldboden festzuhalten. Der zuletzt erschienene Bär setzte zu einem gewaltigen Satz an. Und während der alte Tim den Traumfänger ansprang und seine Klauen die Flügel der Kreatur zerfetzten, während Simon zu Boden fiel und von dem anderen Bären aufgefangen wurde, während Marie mächtige Worte auf die fürchterliche Kreatur schleuderte bemerkte niemand, wie ein Schatten aus dem Wald heraustrat und mit dem entsetzten Baldur unter seinem Arm lautlos wieder verschwand. Viele Jahre sollten vergehen, bevor Baldur erfuhr, was in dieser Nacht weiter geschehen war. Doch dies ist eine andere Geschichte die an anderer Stelle erzählt werden soll.

      5.

      Das Leben war seltsam geworden!

      Tag für Tag versuchte Freya zu begreifen, was eigentlich geschehen war. Wie konnte es sein, dass in dem einen Moment noch alles wunderschön war und einen Augenblick später das Leben nur noch aus Feuer, Asche und Angst bestand? Warum hatte das Schicksal ausgerechnet ihre kleine Familie ausgewählt, um der Welt zu zeigen, dass die Traumfänger zurückgekehrt sind?

      Gewiss, Thoralf hatte versucht, ihr die Zusammenhänge zu erklären. Er gab sich redlich Mühe, erzählte hier ein wenig und lies dort eine Andeutung fallen, doch im Allgemeinen war der alte Mann genauso seltsam, wie der ganze Rest ihres neuen Lebens.

      Freya war hier in Sicherheit und Thoralf erwähnte immer wieder, dass ihre Ausbildung, hart und entbehrungsreich, bevorstände, jedoch nicht durch ihn.

      Seine Aufgabe sei es, ihren Bruder Baldur zu einem Krieger auszubilden. Doch Baldur kam nicht und Freya konnte nichts tun, außer warten.

      Sie kümmerte sich um die täglich anfallenden Arbeiten in Haus und Garten, wobei mit Garten die riesige Wiese gemeint ist, die sich über viele Meilen in jede Richtung erstreckte. Immer wenn das Mädchen eine besonders schöne Blume im Gras sah, fügte sie diese zu ihrem Traumstrauß hinzu. Bei solchen Gelegenheiten schmerzte sie die Ungewissheit über Baldurs Schicksal besonders stark, doch der alte Thoralf beruhigte sie immer wieder.

      Überhaupt schien nichts den alten Mann aus der Ruhe bringen zu können. Tagein, Tagaus saß er vor seiner Hütte und verpestete die wunderschöne Luft mit dem Gestank verbrennender Pflanzen, der aus seiner Pfeife stieg.

      „Wir bekommen Besuch, Hexenmädchen.“

      Freya zuckte beim Klang der Stimme des alten Mannes zusammen. Wieder einmal waren ihre Gedanken abgeschweift. Dies geschah immer öfter in den letzten Tagen, seit Thoralf sie aus den Klauen des Monsters gerettet hatte. Die Wirklichkeit erschien ihr unwahr, alle Geräusche erklangen dumpf, als wären ihre Ohren mit Moos verstopft. Sie fürchtete diese Momente, in denen die einzige Realität ein nicht vorhandenes Wohnzimmer mit einer großen Vase, voll der schönsten Blumen zu sein schien. Schuldbewusst sah sie Thoralf an. Dieser nahm ihr Gesicht in seine alten runzligen Hände und tätschelte ihr die Wangen. Er liebte es, die Tochter Gerdas als Hexenmädchen zu bezeichnen. Irgendwie machte es sie noch niedlicher.

      „Wir müssen wirklich bald mit deiner Ausbildung beginnen. Zu oft schweifen deine Gedanken ziellos durch die Welt. Ein Jeder kann sie hören, kann in dir lesen. Das ist nicht gut. Doch nicht heute, auch nicht morgen. Für deine Ausbildung ist ein Anderer vorgesehen.“

      Thoralf lächelte Freya an, wobei die Jahre von ihm abzufallen schienen. Jung und schön sah er in solchen Momenten aus.

      „Hättest du mehr, als nur dies eine Kleid, würde ich dir raten dich umzuziehen, deine Tränen zu trocknen und deine Haare schön zu machen. Wieder etwas, um das zu kümmern ich mich versäumt habe. Nun, dein jetziger Anzug muss genügen. Komm setz dich zu mir und schau mit mir nach Süden, denn dein Bruder ist auf dem Weg hierher.“

      Freyas Herz schien für ein paar Schläge auszusetzen. Ihr geliebter Bruder kam. Endlich! Aufgeregt sprang sie auf der Wiese herum. Sie flocht sich lange Grashalme in die Haare, ungeachtet der Tatsache, dass auch das Gras dadurch sterben würde. In diesem Moment war es ihr egal. Baldur war auf dem Weg zu ihr!

      Während die Stunden vergingen, begann das Mädchen langsam wieder klarer zu denken. Aus Aufregung wurde Unruhe, aus Hoffnung Angst. Und auch Thoralfs gutmütiges Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an.

      Als der Tag sich dem Ende neigte und die Schatten länger wurden, starb die letzte Hoffnung in dem kleinen Herz, denn über die Wiese näherte sich eine Gestalt, gebückt mit einem Stock in der Hand und flammenroten Haaren. Das war ganz sicher nicht Baldur. Tränen begannen, Freyas Sicht zu behindern und neben sich hörte sie Thoralf murmeln.

      „Welch bösartiges Geschick. Die Kinder der Hexe haben ihren eigenen Dickkopf. Wie Blätter im Wind treiben wir dahin, mal rechts taumelnd, mal links, doch immer im Sturm gefangen. Doch nie sah ich ein Blatt, das im Sturm rückwärts flog. Bis heute! Möge Kvasir dich beschützen, Baldur, Gerdas Sohn.“

      Thoralf erhob sich und ging der rothaarigen Gestalt entgegen. Als Freya sich die Tränen aus den Augen wischte, erkannte sie, dass es sich bei ihr um eine alte Frau handelte.

      „Nun Thoralf, ich sehe Gerdas Tochter vor deiner Hütte sitzen, doch wo ist ihr Bruder? Er sollte am Mittag dieses Tages hier eintreffen“

      „ Ich hoffte, du würdest mir erklären können, warum er nicht kam, Hilda. Seit dem Morgen warten wir auf ihn, doch scheinbar haben ihn seine Wege an einen anderen Ort geführt.“

      Da brach Hilda schluchzend auf der Wiese zusammen. Sie war am Ende ihrer Kräfte und der erlebte Schrecken begann mit aller Gewalt in Ihren Geist einzudringen. Unter Tränen berichtete sie von ihrer Ankunft bei Gerdas zerstörter Hütte, der Vertreibung des Traumfängers, der Übernachtung in Ursulas Höhle und dem Angriff der Kreaturen, der Rosa das Leben gekostet hatte. Wie sie so schluchzend im Gras lag, erregte sie ein tiefes Mitleid in Freyas Herz. Das Mädchen setzte sich zu ihr und begann, ihr über die Haare zu streichen, wobei sie seltsame Worte murmelte. Beinahe sofort versiegten Hildas Tränen und sie blickte verwundert auf das Kind. „Du bist wahrlich Gerdas Tochter. Eine solche Macht, eine solche Heilkraft habe ich schon lange nicht mehr verspürt. Du musst lernen, deine Kräfte gezielt einzusetzen.“

      „