Im Bann der Traumfänger. Olaf Falley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Falley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255201
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      Hilda sah Freya lange in die Augen. Schließlich seufzte sie.

      „All unsere Pläne sind zunichte gemacht, weil dein Bruder meinen Rat missachtet hat. Warum sollten wir also keine neuen Pläne machen? Es war nicht geplant, dass Thoralf oder ich deine Lehrer sein würden. Die Schicksalsweber hatten es anders vorgesehen, doch glaube ich, dass auch die Götter zuweilen ihre Meinung ändern. Was meinst du, Thoralf, war es vielleicht der Wille des Schicksals, das Baldur unserer Obhut beraubt wurde?“

      Thoralf hatte bisher schweigend in den Himmel gestarrt.

      „Ich glaube zu wissen, welche Mächte deinen Weg gekreuzt haben. Die Krieger, die den Überfall auf die Höhle begangen haben, waren ohne Zweifel die Leibgarde des Hexenkönigs aus dem Osten. Ein sehr mächtiger und sehr böser alter Zauberer, der die stärksten Männer aussucht und sie durch Folter und Misshandlung zu brutalen, gnadenlosen Kämpfern macht. Der Anführer dieser Horde war gewiss ein Wiedergänger. Nur alte Magie kann ihn zerstören. Und genau das ist dem Jungen in der Nacht erschienen, alte Magie. Als ich deine Geschichte hörte, dachte ich zunächst an einen Sukkubus, der den Alptraum verursacht haben könnte. Doch glaube ich nun, es war eine Norne des Schicksals, eine Schicksalsweberin. Ich weiß, dass die Schwesternschaft sich selbst als die Zweitgeborenen bezeichnet, doch ist dies nur ein Ausdruck völliger Ignoranz. Weder waren die Traumfänger die ersten Lebewesen, noch die Hexen. Es mag für diesen Teil der Welt zutreffen, doch anderenorts leben Geschöpfe, die schon alt waren, als die ersten Traumfänger erschienen. Wir sind, will mir scheinen, Figuren in einem Spiel geworden, dessen Regeln wir zu bestimmen glaubten, dass jedoch von anderen Wesen, weit über uns gelenkt wird.“

      „Wäre es an dem, welchen Sinn hätte es dann, Pläne zu schmieden? Wenn alles vorbestimmt ist und jemand unsere Taten lenkt, was nützen die Ideen Einzelner?“

      „Indem du dein Leben planst, bekommst du wenigstens das Gefühl, Herr deiner selbst zu sein. Und wer weiß, auch Götter können ihre Meinung ändern, wie du selbst gesagt hast. Vielleicht ist ja genau das geschehen, dass die Götter ihre Meinung geändert haben. Vielleicht hatte ein Wesen eine Idee, die dem, der die Regeln bestimmt so gut gefallen hat, das es zu einer Veränderung im ursprünglich geplanten Ablauf kam.“

      Sehnsüchtig blickte der alte Mann in Richtung Süden.

      „Es war so knapp. Fast wären die Geschwister wieder vereint gewesen. Doch nun sollten wir handeln. Wenn Gerda noch immer auf der Suche nach ihrer Tochter ist, wird sie früher oder später hier vorbeikommen. Lass uns mit der Ausbildung des Mädchens beginnen, während wir auf ihre Mutter warten.“

      Beschämt musste Freya feststellen, dass sie bisher keinen Gedanken an ihre Mutter verschwendet hatte. Immer war nur ihr Bruder durch ihren Kopf gespukt, und mit einem Gefühl der Trauer fragte sie sich nun, wie es ihrer geliebten Mutter wohl ergangen sein mochte.

      6.

      Es war ihr nicht leicht gefallen, doch wusste sie, dass es die richtige Entscheidung war. Hilda und Rosa würden Baldur sicher zu Thoralf führen, während sie sich auf die Suche nach Freya begab, ein mühseliges Unterfangen ohne Pferd und ganz allein.

      Tief in ihrer Seele spürte Gerda, dass es Freya gut ging, aber dennoch war sie beunruhigt. Ihre Tochter war von einem Traumfänger entführt worden!

      Wenn eine dieser Kreaturen auf die Welt zurückgekehrt war, so bedeutete das mit großer Sicherheit, dass auch die übrigen nicht mehr in ihrer Verbannung lebten. Gerda wusste nur zu gut, welches Unheil die Erstgeborenen anzurichten vermochten, war sie doch beteiligt gewesen am großen Krieg gegen diese Kreaturen.

      Das Wesen hatte eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Abgebrochene Äste wiesen ihr den Weg, tief hinein in das Herz des Waldes. Während sie der Spur des Entführers folgte, bemerkte sie, dass kein Vogel sang in den Bäumen, an denen der Traumfänger vorbeigekommen war. Selbst die Bäume schienen, voller Entsetzen die Luft anzuhalten. Und obwohl der Überfall auf Gerdas Zuhause schon mehr als drei mal sieben Tage zurücklag, glaubte sie noch immer, den Gestank der Kreatur an den Blättern und Ästen ringsum wahrzunehmen. Immer tiefer hinein in den Wald führte die Spur und Gerda hätte schon längst jede Orientierung verloren, wäre sie nicht ein Kind der Bäume, ein Mitglied des geheimen Ordens gewesen. Sie kannte jeden Baum und jeden Strauch in diesem Wald, in dem sie schon so viele Jahre lebte. Sie wusste auch um den Reichtum tierischen Lebens in den verschiedenen Regionen. Doch schien es, als sei der Wald entlang des Pfades, den der Traumfänger gewaltsam angelegt hatte, ausgestorben. Kein Rascheln im Laub war zu hören, kein freudiges Gezwitscher in den Ästen. So also sah ein Ort aus, der von einem Erstgeborenen besucht worden war, selbst viele Tage später noch schien ein Widerhall der Bosheit dieser Kreaturen die Luft zu verpesten. Wie erst mochte es dann wohl an jenem traurigen Ort aussehen, an dem sich der ganze Rest der Gruppe aufhielt?

      Als die Reihen der Bäume lichter wurden, wusste Gerda, dass sie sich der Lichtung der Blumen näherte. Es war dies einer der schönsten Orte des gesamten Waldes. Die meiste Zeit des Jahres war das Gras auf dieser Lichtung braun und unansehnlich, als hätten die Strahlen der Sonne es verbrannt.

      Doch zweimal im Jahr, im Frühling und im Spätsommer, luden gewaltige Wolken ihre Wassermassen über diesem Teil der Welt ab. Dann begann die Wiese zu leben. Das Gras wurde saftig grün und aus der Erde sprossen so viele Blumen, dass sie einen Teppich zu bilden schienen. Nirgends gab es einen schöneren Platz, nirgends mehr Leben, als an diesen Tagen an diesem Ort.

      Es war noch eine Weile hin, bis zum Frühlingsgewitter, welches dieses Wunder hervorbringen würde und dennoch, als Gerda auf die Wiese hinaustrat, stellte sie erstaunt fest, dass es hier schon jetzt vor Leben wimmelte. Hier hatten sie sich versammelt, all die Tiere, die sie auf ihrem Weg vermisst hatte. Die Äste der Bäume bogen sich unter der Last der verschiedenen Vögel durch, Hasen, Füchse und Mäuse saßen in seltener Eintracht nebeneinander, Hirsche, Rehe und einige Wildkatzen drängten sich am Waldrand zusammen. Sie alle hatten sich auf einem kleinen Teil der Lichtung, direkt gegenüber der Stelle, an der Gerda die Wiese betrat, eingefunden. Der überwiegend größte Teil des braunen Grases wurde von den Tieren gemieden, obwohl sie alle dorthin sahen, auf eine Stelle rechts neben Gerda. Dort lag, eingebettet in seine Flügel, ein toter Traumfänger.

      Fassungslos starrte Gerda das Wesen an. Nie zuvor hatte sie eine dieser Kreaturen tot gesehen. Normalerweise verschwanden sie einfach, wenn man sie besiegte, was nahezu unmöglich war.

      Vorsichtig näherte sie sich der Stelle, um die jegliches Leben einen Bogen machte. Als sie vor dem Erstgeborenen stand, konnte sie erkennen, dass er nicht länger aus Fleisch und Blut zu bestehen schien. Ein seltsam matter Glanz lag auf seinem Körper, rau und schwarz. Als sie behutsam den rechten Flügel des Traumfängers berührte, entfuhr dem leblosen Körper ein tiefer Seufzer, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ und der noch viele Meilen entfernt vernommen werden konnte. Ein jeder, der diesen Laut deuten konnte, wusste fortan, dass ein Erstgeborener seinen Meister gefunden hatte und niemals wieder in seinen Körper zurückkehren würde, der vor Gerdas Augen zu feiner Asche zerfiel und vom Wind davongetragen wurde. Während Gerda noch ungläubig auf den traurigen Rest dessen starrte, was einmal eines der mächtigsten Wesen verkörpert hatte, begann sich die Versammlung der Tiere in Ihrem Rücken aufzulösen, und als sie sich umschaute, befand sich außer ihr nur noch ein großer alter Bär auf der Wiese. Mit klugen Augen sah er die Hexe an, nicht scheu, doch auch nicht aggressiv. Einem inneren Gefühl folgend, ging Gerda zu dem riesigen Tier hinüber. Lange betrachtete sie ihr Gegenüber.

      „Wenn ich nicht wüsste, dass du schon lange tot sein musst, würde ich glauben, du seiest der alte Tim. Doch kein Tier, nicht einmal ein Bär lebt so lange.“

      Der Bär sah sie an und seine braunen Augen schienen zu sagen:

      „ Na, wenn du das sagst….“

      „ Ich weiß, dass ihr meinen treuesten Verbündeten seid. Nie ließ ich zu, dass den Tieren des Waldes ein Leid geschah, doch heute nun erbitte ich eure Hilfe. Eine dieser Kreaturen“ sie wies mit ihrer Hand zu der Stelle, an der gerade noch der tote Traumfänger gelegen hatte „ hat meine Tochter entführt. Er oder einer seiner Artgenossen. Ich bin auf der Suche nach