Im Bann der Traumfänger. Olaf Falley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Falley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255201
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nach etwa zehn Minuten, begann sich weit vor ihr ein verschwommener Schimmer zu zeigen, Licht! Gerda beschleunigte ihre Schritte und als sie an der Quelle des Lichtschimmers angekommen war, stellte sie fest, dass sie sich in einer großen Höhle befand, die von einer unsichtbaren Lichtquelle erhellt wurde.

      Nicht, dass ein Licht notwendig gewesen wäre! Der einzige Bewohner dieser Höhle war eine alte Frau und ein Blick in ihre Augen verriet Gerda, dass sie blind waren. Gerdas Blick fiel auf den Kater, der schräg vor ihr stand. Er schien zu lächeln. Dann drehte er Gerda sein Köpfchen zu, sah ihr tief in die Augen und verschwand durch einen schmalen Tunnel.

      „Nun, da bist du also.“

      Die Stimme der alten Frau klang wie das Flüstern des Windes, der durch die fallenden Blätter streicht.

      „Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest, denn ich bin blind für alles, was ist und irgendwann sein wird. Ich sehe lediglich, was gewesen ist. Und das, was war, wird sich nie ändern. Die Taten einzelner mögen das Heute oder auch das Morgen verändern, niemals jedoch das Gestern. So scheine ich ein schlechter Ratgeber für deine Suche zu sein, doch urteile nicht voreilig.“

      Gerda war fasziniert. Sie war im Reich der Schicksalsweberinnen angekommen und nach allem, was sie gehört hatte, musste die alte Frau in der Mitte der Höhle Urd sein, das Gewesene.

      „Es ist nicht meine Absicht, voreilig zu urteilen. Ich wäre glücklich, wenn du etwas Licht in die Geschehnisse der letzten Tage bringen könntest, denn da du weißt, was gewesen ist, hast du einen gewaltigen Vorteil mir gegenüber. Ich kann den größten Teil der Geschehnisse nur erraten.“

      „Nicht alles darf ich dir sagen, doch so viel sollst du wissen; die Geschehnisse nehmen ihren vorgesehenen Lauf. Du und deine Kinder, ihr habt viele Verbündete, von denen ihr nichts wisst, die euch trotzdem helfen und über euch wachen. Selbst unter den Feinden könnte dein Sohn einen Freund finden, das heißt, gefunden hat er ihn schon, doch wird er ihm auch vertrauen? Davon könnte das Schicksal deiner Welt abhängen. Ich weiß, dass deinem Sohn meine Schwester erschienen ist, Skuld, das Werdensollende, doch kann ich nicht vorhersehen, ob diese Begegnung von Vorteil für den Jungen war, denn ich bin, wie gesagt, das Gestern, nicht das Morgen.“

      Mit ihren blinden Augen sah die alte Frau zu Gerda herüber.

      „Du wirst nun schlafen, Tochter des Waldes, denn nur deshalb hat dich mein Bote hergebracht. Schlafen, und dich erinnern; erinnern an die Macht, welche einst in dir ruhte.“

      Gerdas Augenlider wurden schwer, ihr Blick begann sich zu verschleiern und das Letzte, was sie sah, bevor der Schlaf die Herrschaft über ihr Bewusstsein übernahm, waren zwei blitzende Sterne in dem Gang, durch welchen der Kater verschwunden war und als sie einschlief glaubte sie, ein sanftes Schnurren zu vernehmen.

      8.

      Das Erwachen war unangenehm und Baldur wünschte, weiter in seiner Traumwelt verweilen zu können. Doch leider war dies nicht möglich. Unerbittlich klarten seine Gedanken auf und der Traum zog sich in eine weit entfernte Ecke des Unterbewusstseins zurück. Mit dem Erwachen kamen auch die Erinnerungen zurück, schreckliche Erinnerungen an geflügelte Monster die ein Dorf überfielen! Seinetwegen! Schreiende, kämpfende, sterbende Menschen; Seinetwegen! Und an einen furchtbaren Schatten, der aus dem Nichts aufgetaucht war und ihn mitgenommen hatte. Danach gab es nur noch den Traum, keine Erinnerungen mehr.

      Zaghaft öffnete der Junge zunächst nur ein Auge, sofort bereit, es wieder zu schließen, sollte ihm der sich bietende Anblick nicht behagen. Alles sah friedlich aus. Direkt vor sich konnte er saftiges Gras erkennen, durchzogen von einer großen Anzahl Blumen und begrenzt durch einen Ring aus Bäumen. Er wusste sofort, wo er sich befand. Es war die große Lichtung im Wald, unweit seines Elternhauses. Hierher hatte er früher einige Male seine Mutter begleitet, auf der Suche nach Kräutern und Gräsern. Die Lichtung der Blumen wurde dieser Ort genannt.

      Baldur setzte sich aufrecht hin und ließ seinen Blick schweifen. Am anderen Ende der Lichtung konnte er einen dunklen Fleck verdorrten Grases ausmachen.

      Und vor diesem Fleck hockte sein Entführer.

      Baldur erschrak nicht. Es war ihm bewusst gewesen, das diese Kreatur noch in der Nähe sein musste. Er hatte ihn schließlich ganz sicher nicht entführt, um ihn dann in der Nähe seines abgebrannten Zuhauses frei zu lassen. Der Traumfänger plante etwas und Baldur war sich sicher, dass er in Kürze erfahren würde, worin die Pläne dieses Wesens bestanden.

      „Ich kann deine Angst riechen.“

      Die Stimme des Traumfängers war leise und weich. Er erhob sich und kam zu dem Jungen herüber.

      „Du musst dich nicht fürchten. Ich habe nicht vor, dir ein Leid zuzufügen. Ich habe dich hierher gebracht, um dich vor meinen Brüdern zu schützen.“

      Baldur wusste nicht, was er erwidern sollte, aber diese Kreatur schien auch nicht mit einer Antwort zu rechnen.

      „Im Gras dort drüben liegt die Erinnerung an Daan. Er war es, der deine Schwester entführte und dir die Hand verstümmelte.

      Mir scheint, er traf auf sein Schicksal. Nun gut, einer weniger!“

      Mit seinen langen, dünnen Fingern berührte der Traumfänger Baldurs Kinn und zwang ihn mit sanftem Druck, ihm in die Augen zu sehen.

      „Versuche, meinen Brüdern aus dem Weg zu gehen. Du hast eine Aufgabe zu erledigen! Erfülle die Prophezeiung!“

      Der Traumfänger erhob sich und entfaltete seine Flügel.

      „Folge dem Pfad zu deiner Rechten, so wirst du auf deine Mutter treffen“

      Ein letzter Blick, ein kurzes Flügelschlagen und die Wiese vor Baldur war leer.

      Der Junge sprang auf und rannte in die Mitte der Lichtung. Er hob den Kopf, um einen Blick auf dieses seltsame Wesen zu erhaschen, doch sah er nur einen schwarzen Schatten, der sich rasend schnell entfernte und schon bald nur noch als kleiner Punkt sichtbar war.

      Baldur wandte sich um und ging langsam auf den Waldrand zu. Der Pfad, von dem der Traumfänger gesprochen hatte, war wirklich nur ein Pfad. Zugewachsen und so schmal, dass der Junge sich die Arme an den Dornen der Büsche aufriss, schlängelte er sich in Richtung des Gebirges davon. Es hatte nicht den Anschein, als sei hier in letzter Zeit jemand entlanggekommen, doch Baldur wusste, dass dies nichts zu sagen hatte. Wenn wirklich seine Mutter diesen Pfad beschritten hatte, so würde niemand ihre Spuren entdecken, denn sie war vorsichtig und versuchte immer, der Natur keinen Schaden zuzufügen. Er hingegen hatte dieses Talent nicht geerbt. Es kam ihm vor, als würden die Bäume und Büsche absichtlich sein Vorankommen behindern.

      Während der Junge sich seinen Weg durch das Unterholz bahnte, musste er unaufhörlich an den Traumfänger denken. Es war doch seltsam, dass eine dieser Kreaturen plötzlich auf seiner Seite zu stehen schien. Und doch deutete alles darauf hin, dass die Erstgeborenen einen Verräter in ihren Reihen hatten.

      Diese Gedanken beunruhigten Baldur. Wenn er, als unwichtiger, sterblicher Mensch einem derart mächtigen Wesen so wichtig erschien, dass dieses dafür seine Rasse verriet, konnte das nur eines bedeuten: Diese Geschichte war groß, zu groß für ein Kind, wie ihn. Und doch hatte er keine Wahl; es war seine Geschichte.

      Immer weiter folgte Baldur dem Pfad, immer tiefer ging er in den Wald hinein und allmählich begann er sich zu fragen, ob dieser Weg denn wirklich ein Ziel haben würde. Schon näherte sich die Sonne dem Horizont. Unter den Baumwipfeln machte sich ein beängstigendes Zwielicht breit, welches schon bald einer tiefen Dunkelheit wich. Baldur konnte fast nichts mehr erkennen und dennoch ging er immer weiter. Seine Angst, im Schlaf von einem wilden Tier überrascht zu werden, war größer als seine Müdigkeit. Außerdem hatte der Traumfänger gesagt, er würde auf diesem Weg zu seiner Mutter gelangen, und nichts wünschte sich der Junge im Moment sehnlicher, so dass er seine Schritte noch einmal beschleunigte.

      Hätte er seiner Müdigkeit nachgegeben und irgendwo unter einem Baum oder in einem Gestrüpp die Nacht verbracht, um mit dem ersten Licht des Tages weiterzuwandern, wäre ihm ganz sicher das