Im Bann der Traumfänger. Olaf Falley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Falley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844255201
Скачать книгу
will ich dir helfen. Doch zunächst sollst du ruhen und zu Kräften kommen. Nichts schlimmeres, als böse Träume vermag die Schwelle meines Hauses zu überqueren. Solange du hier bist, wird dir nichts geschehen.“

      Auf dem Weg zur Tür blieb der alte Mann noch einmal stehen.

      „Das ist übrigens ein wunderschöner Blumenstrauß, den du in deinem Kopf herumträgst. Versäume nur nicht, ihn zu pflegen.“

      Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich und ließ ein verblüfftes junges Mädchen zurück. Vorsichtig erhob sich Freya. Sie wollte nicht ruhen. Jetzt, da sie wusste, dass Baldur noch am Leben war, hatte sie nur das Ziel, zu ihm und ihrer Mutter zurückzukehren. Doch kaum hatten ihre nackten Füße den Boden der Hütte berührt, als sie eine tiefe Müdigkeit überkam und während sie zurück in ihr weiches Lager sank, glaubte sie eine Stimme zu hören:

      „ Hab Vertrauen und ruhe jetzt, törichtes Kind“.

      2.

      Irgendwie hatte sich Baldur das alles ganz anders vorgestellt. Er hatte geglaubt, seine Mutter würde ihn zu einem großen Krieger bringen, der sich dann um Baldurs Ausbildung kümmern würde. In seinen Träumen sah er sich prächtig gekleidet mit einem funkelnden Schwert an seiner Seite. Er ritt auf einem weißen Schimmel und die Leute jubelten ihm zu.

      Stattdessen saß er auf einem störrischen alten Esel und wurde von zwei mächtig alten Frauen begleitet. Es regnete unaufhörlich und seine wunderschönen schulterlangen Haare hingen ihm strähnig in das Gesicht, ein wenig beeindruckender, geschweige denn prächtiger Aufzug und kein eventuell vorbeiziehender Mitmensch käme auf die Idee, ihm zuzujubeln.

      Baldur fühlte sich verlassen. Es war alles so trostlos! Sein Zuhause war abgebrannt, sein Vater tot, seine Schwester von einem Monster entführt und seine Mutter hatte ihn der Obhut von Rosa und Hilda überantwortet, um sich selbst auf die Suche nach ihrer Tochter zu begeben. Das Wetter leistete seinen eigenen Beitrag, um den Riss in Baldurs Seele noch zu vertiefen.

      Die Reise verlief bisher ohne Zwischenfälle, allerdings auch ohne Pause. Schweigend zog die kleine Gruppe durch den Regen der heraufziehenden Morgendämmerung. Sie waren in den frühen Abendstunden des vergangenen Tages aufgebrochen und hatten seitdem kaum ein Wort miteinander gewechselt.

      Deshalb schrak Baldur auch heftig zusammen und meinte, Hildas Stimme müsse über Meilen zu hören sein, als diese ihn unvermittelt ansprach.

      „Wir müssen uns langsam einen Rastplatz suchen. Du kannst dich ja kaum noch auf dem Esel halten. Außerdem glaube ich, dass etwas Wärme dir sicher gut tun würde.“

      Beschämt brachte Baldur lediglich ein zaghaftes Nicken zu Stande. Er erging sich die ganze lange Nacht in Selbstmitleid, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er als Einziger in ihrer kleinen Gruppe nicht zu Fuß gehen musste, obwohl er doch der Jüngste war. Und jetzt würden sie rasten, weil er vor Müdigkeit fast vom Rücken seines Lasttieres fiel. Die alten Frauen schlugen sich da um Längen besser. Aber schließlich waren sie ja auch Hexen.

      Da konnte man wohl erwarten, dass sie über Mittel und Wege verfügten, ihrer Müdigkeit Herr zu werden. Sie hätten doch sicherlich auch eine Möglichkeit gefunden, um die Reise angenehmer verlaufen zu lassen. Warum konnten sie nicht fliegen?

      „Alle Hexen können fliegen. Warum müssen wir durch den blöden Regen laufen? Was seit ihr eigentlich für Hexen?“

      Baldur schwieg erschrocken, als er Rosas bleiches Gesicht sah. Ihm wurde bewusst, dass er sie gerade angeschrien hatte. Doch bevor er eine Entschuldigung stammeln konnte, fauchte die Alte ihn auch schon an.

      „ Hexen können nicht fliegen! Das ist ein Märchen für dumme Kinder, denen ihre Mütter Angst machen wollen. Wir sind Geschöpfe der Natur. Wir verstehen die Sprache der Tiere und Pflanzen, weil wir mit ihnen leben. Wenn die Menschen uns zaubern sehen, bedienen wir uns lediglich der Kräfte der Natur“

      Rosa war wütend, ganz eindeutig wütend.

      „ Es ist gut. Du weißt doch, wie die Jugend ist. Vorlaut und frech, das sind nun mal die Sonderrechte der Kinder. Du solltest das doch noch wissen, schließlich warst auch du ein ungezogenes Mädchen, als du jung warst“

      „ Ich war nie jung, in meinem ganzen Leben nicht“ schnaubte Rosa.

      Verblüfft sah Hilda ihre Gefährtin an, während Baldur, der den Unsinn dieser Worte bereits verarbeitet hatte nur mit größter Mühe ein Lachen unterdrücken konnte.

      „ Oh natürlich, du warst nie jung. Deine Mutter hat einer alten Frau mit langen zotteligen, grauen Haaren das Leben geschenkt. Als sie gesehen hat, dass ihr Kind älter aussah, als sie selber und auch viel mehr Warzen im Gesicht hatte, warf sie es angeekelt in den nächsten Fluss und suchte nie wieder die Nähe eines Mannes.“

      Der Bann war gebrochen. Nun standen alle drei im strömenden Regen, Hilda, Rosa und Baldur, und lachten laut und herzhaft.

      Als sie sich wieder beruhigt hatten, ergriff Hilda das Wort.

      „Wie ich schon sagte, es wird Zeit zum Rasten. Es hat Gerda unsägliche Mühen gekostet, ihren Spross aus der Dunkelheit des ewigen Vergessens zurückzuholen, umso tragischer wäre es, wenn wir ihn jetzt an Erschöpfung sterben lassen würden“

      Verschmitzt lächelte sie zu dem Jungen hinüber.

      „Es gibt ganz in der Nähe eine alte Höhle. Nicht sehr groß, auch nicht gerade gemütlich, aber ausreichend für unsere Zwecke. Dorthin sollten wir uns wenden.“

      „Meinst du etwa die ehemalige Heimstatt der wilden Ursula? Ich glaube, in diesem Falle wäre mir der Regen lieber.“

      „Seit wann bist du denn abergläubisch, Rosa? Und bevor du fragst, Baldur, denn dass du fragen wirst, sehe ich dir an der Nasenspitze an, Ursula ist oder war eine aus unserer Mitte. Uns droht nichts Böses in ihrer Höhle. Ich erzähle dir ihre Geschichte auf dem Weg dorthin.“

      Hilda sah Rosa drohend an.

      „Denn wenn ich Rosa erzählen lasse, bleibst du am Ende auch lieber im Regen stehen. Sie hat eine lebhafte Begabung darin, immer das Böse hervorzuheben.“

      Rosa murmelte etwas vor sich hin, protestierte jedoch nicht.

      „ Also, wo soll ich beginnen? Ursula war, wie ich bereits erwähnte, ein Kind der Natur. Sie war größer und stärker, als ihre Mitschwestern. Es wird erzählt, dass sie eine ganz besondere Begabung besaß.“

      „Einen Fluch nenne ich es, keine Begabung. Sie war verflucht“ Missbilligend sah Hilda zu Rosa hinüber und schüttelte den Kopf.

      „Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, dass ich die Geschichte erzähle.

      Rosa nennt es also einen Fluch, ich bezeichne es als Segen. Ursula konnte wirklich verstehen, was die Tiere sagten. Nicht nur auf gefühlsbetonter Ebene, wie wir , sondern Wort für Wort. Sie sprach mit ihnen. Das fanden viele Schwestern seltsam und da wir damals noch die Diener der Traumfänger waren, die alle unsere Schritte überwachten und nichts duldeten, was ihrer Macht auch nur annähernd nahe kam, musste Ursula bald fliehen. Sie flüchtete in die Wildnis, wo sie nur überleben konnte, weil die Tiere ihr halfen. Sie sprach mit den Eichhörnchen und diese führten sie zu vergrabenen Eicheln und Nüssen, sie bat die wilden Ziegen um etwas Milch und die Bären um ihren wärmenden Schutz bei Nacht. Irgendwann traf sie einen alten Fuchs, der ihr etwas von einer Höhle und einem einsamen Mann erzählte. So kam es, dass Ursula eines Tages auf den stolzen, aber liebenswerten Widukind traf. Er lebte, genau wie Ursula mit der Bürde des Andersseins. Auch er war ein Kind des Waldes, auch er verstand die Sprache der Tiere, doch musste er einen hohen Preis dafür zahlen.

      Die Menschen mieden ihn, die Hexen mieden ihn, die Traumfänger jagten ihn.

      Ähnlich einem Werwolf, musste er den Mond fürchten. Zwar blieb er immer und vollständig der Mensch Widukind, doch war er bei bestimmten Mondphasen nicht mehr Herr seiner Gedanken. Immer, wenn der Mondwagen sich dem Wagen der Sonne zu sehr näherte, verfiel Widukind in Raserei.