Eolanee. Michael H. Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael H. Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847688563
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Kapitel 62

       Kapitel 63

       Kapitel 64

       Kapitel 65

       Kapitel 66

       Impressum neobooks

      Kapitel 1

      „Der Wind kommt.“

      Eolanee lag unter ihrer Decke und sah erwartungsvoll zur Tür, in der ihre Mutter Nehela gerade erschienen war.

      „Ich weiß“, erwiderte diese leise und lächelte die Fünfjährige an. „Die Baumhüterin hat ihn angekündigt. Du musst nun aufstehen, denn wir wollen uns zum Ernteritual versammeln.“

      „Nein, ich meine, er ist schon da. Der Wind, meine ich.“ Eolanee richtete sich halb auf und stützte sich auf ihre Ellbogen. „Ich kann es spüren. Der Baum freut sich.“

      Nehela sah ihre Tochter nachdenklich an. „Woher willst du das wissen? Du bist keine Baumhüterin, mein Kind.“

      „Ich spüre es“, beharrte Eolanee. Sie strich mit einer Hand über den Rahmen ihres Bettes, der mit dem Stamm des Hauses verwachsen war. „Ich wette, der Baum hat vor Freude schon blaue Blätter.“

      Nehela erwiderte nichts, sondern trat an die Fensteröffnung von Eolanees Schlafraum. Sie war noch verschlossen und so folgte sie mit einem Finger sanft den Konturen des Rahmens. Der Kegelbaum spürte ihren Wunsch und die dunkle Borke des Stammes zog sich von der Fensteröffnung zurück. Das Licht des frühen Morgens flutete herein und Nehela beugte sich ein wenig vor, damit sie die Äste des Baumes sehen konnte. In dem saftigen Grün der ovalen Blätter traten die Lebensadern in kräftigem Blau hervor.

      „Du hast Recht, sie sind Blau und der Wind ist da.“ Sie wandte sich ihrer Tochter zu, die mit baumelnden Beinen auf dem Bett saß und vergnügt lächelte. „Manchmal, Eo, weiß ich wirklich nicht, was ich von dir halten soll. Du zeigst nur wenig Interessen an den Unterweisungen der Baumhüterin und doch scheinst du die Fähigkeit zu haben, eine ihrer besten Schülerinnen zu werden.“

      „Die Unterweisungen sind langweilig.“ Eolanee zog fröstelnd die Decke über ihre Beine. Von der Öffnung im Stamm des Kegelbaums wehte ein frischer Wind herein. Es war kühl und am Fuß des Stammes würden noch die Morgennebel wallen.

      „Die Unterweisungen sind erforderlich.“ Nehela sah ihre Tochter mahnend an. „Die Bäume schützen uns und wir schützen die Bäume. Wir alle sind ein Teil des Ganzen und müssen bedacht sein, zu bewahren und zu hüten und dafür zu sorgen, dass…“

      „…dass jedes Ding wächst und gedeiht“, fiel Eolanee ihr ins Wort und seufzte. „Ja, ja, ich weiß. Die Baumhüterin sagt es oft genug.“

      „Eolanee.“ Das Wort kam mit jener Ruhe, welche die Stimme einer Mutter gefährlich klingen ließ.

      Die Fünfjährige zuckte die Schultern und blickte verlegen zu Boden. „Es steht mir nicht zu. Tut mir Leid.“

      „Nein, es steht dir nicht zu.“ Nehela trat an das Bett ihrer Tochter und setzte sich zu ihr. Der Baum spürte das erhöhte Gewicht und schickte Saft in den Rahmen, damit er stärker wurde. „Du hast noch nicht die Weisheit des Alters, mein Kind und so steht es dir nicht zu, die Worte eines anderen Enoderi zu unterbrechen.“

      „Aber nur so kann ich lernen.“ Eolanee sah ihre Mutter treuherzig an. „Das hat mir die Baumhüterin selbst gesagt.“

      „Sie hat damit gemeint, dass du Fragen stellen sollst. Aber sie hat dir sicher nicht gesagt, dass du einem Älteren ins Wort fallen sollst, nicht wahr?“

      „Mag sein.“ Eolanee starrte auf den Boden ihres Zimmers und die Maserung des Holzes schien eine besondere Faszination auf sie auszuüben.

      Nehela wollte den neuen Tag nicht durch eine Rüge ihrer Tochter eröffnen. So strich sie Eolanee sanft über die langen Haare und legte dann den Arm um die schmalen Schultern. „Jedenfalls ist der Wind nun da und es wird ein arbeitsreicher Tag werden. Zieh dich also an, damit wir der Zeremonie der Baumhüterin beiwohnen und zeitig mit der Ernte beginnen können. Dein Vater und ich werden schon vorausgehen, denn wir helfen der Hüterin bei den Vorbereitungen. Beeile dich bitte.“

      Ein gehauchter Kuss auf Eolanees Wange und ihre Mutter verließ den Raum. Nehela hatte Verständnis für ihre Tochter. Sie war ein sehr aufgewecktes Kind und brachte die Eltern durch ihre Wissbegier immer wieder in Verlegenheit. Manche Dinge waren leicht zu erklären und Eolanee hatte ein instinktives Verständnis für alles, was die Bäume betraf. Aber manche Frage, die so einfach erschien, ließ sich doch nur schwer beantworten. Wie sollte man einer Fünfjährigen erklären, warum Wasser nass war und nicht trocken? Dann half gelegentlich nur der Hinweis, dass die Schöpferin der Dinge es halt so entschieden habe.

      Eolanee war ein kluges Kind und eben darin sah Nehela ein Problem. Jene Erklärungen, die für das Mädchen und die anderen Kinder so wichtig waren, begannen Eolanee rasch zu langweilen. Wenn das der Fall war, kam sie auf allerlei Ideen, die nicht unbedingt das Entzücken ihres Umfeldes hervorriefen.

      Auch jetzt, da ihre Mutter dabei war, das Haus und den Kegelbaum zu verlassen, beschäftigte sich Eolanee eher mit den Möglichkeiten des Zeitvertreibs und verschwendete nicht viele Gedanken an die Zeremonie. Sie kannte jedes der Worte, welches die Baumhüterin Neredia sprechen würde und hätte die rituelle Formel selbst aufsagen können. Es würde eine ebenso feierliche, wie langweilige Zeremonie sein. Eolanee konnte es kaum abwarten, dass die anschließende Ernte endlich begann.

      Die Fünfjährige seufzte entsagungsvoll, dann warf sie die Decke zurück und erhob sich. Erneut fröstelte sie. Der Baum spürte es und reagierte. Kapillargefäße im Boden dehnten und verengten sich in rasendem Wechsel. Die Reibung erwärmte die Flüssigkeit im hölzernen Boden und Eolanee registrierte die zunehmend angenehme Wärme eher unbewusst. Für das Mädchen war es nur zu selbstverständlich, dass sich der Kegelbaum ihren Bedürfnissen anpasste.

      Der Wohnbereich der kleinen Familie hatte die Form eines breiten Ringes. Die Außenseite wurde von der Rinde des mächtigen Stammes gebildet, die Innenseite vom zentralen Kernstamm, in dem sich das lebenswichtige Gefäßsystem der Pflanze und die Kochschlote jener Enoderi befanden, die den Kegelbaum bewohnten. Die einzelnen Wohneinheiten wichen voneinander ab und folgten dabei dem Wuchs des Zentralstammes und der großen Äste. Der Ring, in dem Eolanee und ihre Eltern lebten, war in drei verschieden großen Segmenten unterteilt. Das größte war der eigentliche Wohnraum mit der Küche, dann folgten die Schlafkammern der Eltern und ihre eigene. Eolanees Kammer war somit die kleinste, doch der Baum passte sich den Bedürfnissen des Mädchens an. Neben der Schlafstelle gab es eine Nische, in der es seine Kleidungsstücke aufbewahren konnte. Ein filigranes Geflecht kleinster Äste bildete ein Regal, das eigentlich Eolanees Spielsachen aufnehmen sollte, wenn sie diese nicht benutzte. Jetzt lagen viele der geschnitzten Tiere und Pflanzen auf dem Boden verstreut. Die Aufregung und die Vorfreude auf den bevorstehenden Erntetag waren einfach zu groß gewesen, Eolanee hatte lange nicht einschlafen können und sich mit den Figuren die Zeit vertrieben.

      Boden, Wände und Decke waren, wie fast alles Mobiliar, ein Bestandteil des lebenden Kegelbaums, dennoch wirkte der Raum nicht eintönig. Es gab helle und dunkle Schattierungen im Holz und die Maserungen bildeten die verschiedensten Muster. Die Farben des Bodens und der Decke waren ein wenig kräftiger, denn der Baum hatte sie mit seinem Saft überzogen und ihn aushärten lassen, bevor die Familie eingezogen war. Das machte das Holz besonders widerstandsfähig und hart.

      Eolanee trat an die Fensteröffnung und genoss den frischen Wind, der über ihr schmales Gesicht strich. Er vertrieb die letzten Reste ihrer