Tödliche Aussicht auf Festanstellung. Mala Dewa. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mala Dewa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737514224
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Tote hatte sie zwischen 09:08 und 09:32 gezählt, die irgendwo auf dieser Welt gestorben waren. Ob durch Anschläge, Verkehrsunfälle oder Amokläufe. Dieses, nennen wir es Journal, führte sie seit ungefähr 2 Monaten. Fein säuberlich sah sie sich jeden Tag nach Toten um. Klingt makaber – war es auch. Somit waren es zu diesem Zeitpunkt auch 2 Monate, in denen Maya in Selbstmitleid versank… und nebenbei tote Menschen zählte.

      Man fragt sich jetzt, was zu diesem äußerst eigenartigen Verhalten führte. Ist aber recht einfach zu beantworten: Vor rund zwei Monaten starb Mayas beste Freundin, ihre Schwester, ihre bessere Hälfte. Das war nicht so eine Art „in der zweiten Klasse bist du meine beste Freundin und in der nächsten dann eine andere“-Freundschaft. Die beiden verband mehr miteinander, etwas unerklärliches, fast schon, als wäre es vorherbestimmt gewesen. Sie lernten sich bereits während des Geburtsvorganges kennen, zumindest behaupteten sie das gerne. Denn ihre Mütter lagen im gleichen Krankenhaus, hatten zur gleichen Zeit Wehen und ihre Kreißsäle waren nur durch eine Schiebetür getrennt. Also schrien sie im Takt nacheinander. Angeblich zu "What a Feeling". Nachdem Maya um Punkt Mitternacht und Inca zwei Minuten nach ihr das Licht der Welt erblickt hatte und ihre Mütter auf das "Rooming" verzichtet hatten, um noch ein zwei Nächte schlafen zu können, bekamen sie ihre Einzelsuiten direkt nebeneinander. Und Maya behauptet nach wie vor, dass sie sich an Inca erinnern kann. Wie sie da so lag in ihre rosa Decke gewickelt. So wie alle Mädchen…

      Und weil Mayas Eltern kurz vorm Entbindungstermin zufällig in die gleiche Straße von Incas Eltern gezogen waren, war ihre Freundschaft besiegelt. Von nun an gingen sie durch dick und dünn, wie man so schön sagt. Und nicht nur im übertragenen Sinne. Zwischen ihrem 16. und 17. Lebensjahr hatten die beiden Grazien etwas zu viel auf den Rippen. Insgesamt haben sie wohl zusammen 20 kg zugenommen. Wobei nun nicht verraten wird, wie die genaue Aufteilung ausfiel. Aber im Grunde konnten sie ja überhaupt nichts dafür. Pubertät eben. Und sie hörten auf mit dem Sport. Leistungsturnen war damals ihre Leidenschaft, fünf mal die Woche.

      Ich meine auch nicht, dass sie ihn reduzierten: Nein.

      Nichts mehr, komplett auf null. Kein Sport mehr. Nada.

      Es wurde nur mehr geshoppt und gegessen. Gegessen und geshoppt. Wobei – sie aßen nicht mehr, immer noch viel, aber nicht mehr als zuvor. Nur verträgt ein Körper, der 5 Mal die Woche bewegt wurde auch tatsächlich eine Packung Chips am Tag. Und eine Tafel Schokolade. Wohingegen ein Kadaver, der es gerade einmal schafft sich für die Schule aufzuraffen, einen etwas geringeren Kalorienbedarf hat. Und dann gab es auch noch eine Sprachreise nach England, die noch einmal 8 kg mehr drauf gebracht hatte. Cookies, Burger, Fish’n’Chips, wer kann diesem widerlich guten Zeug auch nur ansatzweise widerstehen?

      An ihre Rückkehr aus England konnte sich Maya auch noch zu gut erinnern. Nachdem ihre Mama sie abgeholt hatte und sie so am Küchentisch saß, kam eben diese ohne Vorwarnung auf sie zu und meinte: “Wir müssen unbedingt etwas tun, du bist richtig dick geworden.” Tja, Konsequenz aus diesem zwar ehrlichen aber auch wirklich schonungslosen Kommentar war, dass Maya sich weinend in ihr Zimmer zurück zog und beschloss, nie wieder zur Schule zu gehen. Ihre Patentante wies Mayas Mutter dann entsetzt zurecht und meinte, so könne man das einem jungen Mädchen doch nicht sagen, wo sie es höchst wahrscheinlich doch selber wusste. Also zog Mayas Mama los und kaufte ihr ein paar neue Shirts, um das Drama wenigstens etwas zu kaschieren.

      Hat mehr oder eher weniger funktioniert.

      Ein weiterer Punkt, der den beiden besonders gefiel war, dass sie an unterschiedlichen Tagen Geburtstag hatten, auch wenn sich ihre Geburtstzeit nur um 2 Minuten unterschied. Somit feierten sie gleich zweimal oder einfach zwei Tage hindurch. Nicht selten endeten diese Geburtstage in Exzessen. Angefangen mit voll geschlagenen Schokoladebäuchen und Kotzorgien die Nacht darauf, bis hin zu vollkommen versauten Hauseinfahrten nach ihren 18. Geburtstagen. Wobei niemand dachte, dass diese beiden (nun wieder) zierlichen jungen Frauen so viel Mageninhalt haben könnten.

      Wie man sich täuschen konnte.

      Wenn sie gefragt wurden, was sie einmal werden möchten, so antwortete Maya immer mit Schauspielerin. Inca wollte Anwältin werden oder irgendetwas, bei dem man im schicken Kostüm und High Heels durch die Eingangshalle eines Bürogebäudes klackern konnte. Es wurde aus beidem nichts. Maya war viel zu sensibel für das Business und studierte Tiermedizin, Inca fand ihre Erfüllung im Studium der Zahmedizin. Wobei Erfüllung bedeutet, man konnte Menschen ohne schlechtes Gewissen ein paar Schmerzen zufügen und verdient Uuuuunmengen Kohle damit.

      Der Tag, an dem Inca starb, begann völlig harmlos, wie so viele Tage davor. Dieser war ein warmer Märztag, die Menschen sehnten sich schon den Frühling herbei. Mit Mitte Oktober hatte der Winter dieses Jahr aber auch etwas vorzeitig eingesetzt, Schnee konnte und wollte keiner mehr sehen. Manche behaupteten sogar, die Skiorte hatten schon genug. Wie dem auch sei. Es hatte angenehme 19.5 Grad. Die Sonne schien den ganzen Tag über und sogar einige Eisgeschäfte waren bereits geöffnet. An diesem Tag hatte es Maya überhaupt nicht eilig, irgendwo hin zu kommen. Sie ließ sich die Sonne auf der elterlichen Terrasse auf den Bauch scheinen und genoss den vorlesungsfreien Tag. Gestört wurde diese Ruhe nur durchs Klingeln ihres Handys. Wieso hatte sie wieder vergessen es lautlos zu schalten?

      Gut, wer störte? Inca, die störte aber nie. Sofern sie nicht mitten in der Nacht verheult und zugerotzt anläutete und getröstet werden musste, weil sie wieder einmal mit ihrem Freund Schluss gemacht hatte.

      Dieses Mal wollte sie nur wissen, ob Maya Lust auf Eis hatte. Natürlich hatte sie, was für eine Frage. Lieber war es ihr aber, wenn Inca doch zu ihr käme… mit Eis. Waffeln und Amaretto wollte Maya bereit stellen. Nach einer 10 minütigen Diskussion, in der Inca zu erklären versuchte, warum es im Eissalon viel schöner wäre, gab sie schlussendlich auf, da Maya sowieso immer recht behielt. Beziehungsweise, wenn sie sich nicht aus dem Haus bewegen wollte, dann tat sie das auch nicht. Komme was wolle. Das verdammte Ding hätte einstürzen können. Hatte sie sich vorgenommen drin zu bleiben, würde sie würdevoll damit untergehen.

      Also machte sich Inca auf den Weg zu Maya. Als sie zuletzt miteinander telefonierten, war es ungefähr 2 Uhr nachmittags. Vom Eissalon bis zu Maya benötigte Inca normalerweise ungefähr 20 Minuten, je nachdem, wie flott sie mit ihrer Vespa unterwegs war. Gegen 3 Uhr rief Maya dann noch einmal bei Inca an. Waffeln, Amaretto und geschlagene Sahne standen schon bereit. Auch Schokostreusel hatte sie gefunden. Fehlte nur noch das Eis. Und Inca. Aber es ging niemand ran, es war sogar ausgeschalten. War aber auch nichts Neues. Mayas beste Freundin konnte mit den neuen Smartphones nicht so wirklich und rief schon mal öfter unwillkürlich Leute an oder schaltete es aus Versehen einfach aus. Kam dann aber erst Stunden später drauf, wunderte sich dann aber wiederum auch etwas weniger, warum sie niemand angerufen hatte.

      Als die Sahne bereits in sich zusammen fiel und die Waffeln diesen eigenartigen Geschmack bekamen, wenn sie zu lange an der Luft waren, begann Maya sich dann doch Sorgen zu machen. Immer wieder hatte sie es auf Incas Handy versucht, sie aber nie erreichen können. Abends rief sie dann bei ihr zu Hause an. Vielleicht ist etwas dazwischen gekommen. Ihre Eltern könnten sie gebraucht haben, ein dringender Anruf von wer weiß wem. Aber auch dort ging niemand ran.

      Erst gegen 19 Uhr hörte Maya das erlösende Klingeln ihres Handys, ein spezieller Klingelton. Better Days von Citizen King. Das hörten sie und Inca einmal einen ganzen Sommer lang. Ausschließlich dieses Lied. Dazu mussten sie aber die Playstation laufen lassen, denn das war das erste Lied bei einem Skatespiel. Und Inca hatte ihre Memory Card verloren, also fingen sie jedes Spiel von neuem an. Jeden Tag. Sie waren beide äußerst schlecht, also stand ihr Skater nur herum und lauschte ebenfalls dem Lied. Sich bereits überlegend, welche lustige Meldung sie nun schieben könnte, ging Maya ans Telefon. Aber dort meldete sich nicht Inca. Es war ihre Mutter. Soweit sie die unter Tränen erstickten Worte verstehen konnte, hatte Inca einen Unfall mit der Vespa. Nachdem sie vom Eissalon weggefahren war, auf dem Weg zu Maya.

      Maya erfuhr an diesem Abend, dass ihre beste Freundin gestorben war. Von einem Auto erfasst. Die Eiscreme, die sie zwischen ihren Knien balanciert hatte, war über die Straße verteilt worden. Die Eiscreme, die Maya nicht im Eissalon essen wollte, weil sie sich für heute vorgenommen hatte, das Haus nicht mehr zu verlassen. Weil SIE, MAYA, das so beschlossen hatte. Und ihre beste Freundin dazu überredet hatte, zu ihr