Kinder und Jugendliche werden weltweit Einflüssen ausgesetzt, die unverantwortlich zu nennen sind.
Hierzu würde ich auch das Ergebnis einer Studie vom 12. Mai 2010 zählen. Wie bekannt, werden Jugendlichen, die ein Arbeitsangebot oder einen Ausbildungsplatz ablehnen, Hartz-IV-Bezüge in Teilen oder vollständig gestrichen. „Vor allem die komplette Streichung von Hartz-IV zwinge junge Leute oft zur Verschuldung oder fördere die Kleinkriminalität, heißt es in einer gestern veröffentlichten Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).“ (Ruhr Nachrichten, 13. Mai 2010) Befragt wurden ausführlich 26 Jobvermittler. Ergebnis: Im Jahr 2009 hatten die Arbeitsagenturen und Jobcenter 295 000 Sanktionen gegen junge Hartz-IV-Bezieher (bis zu 25 Jahren) festgesetzt. Komplett gestrichen wurde die Grundsicherung in 8279 Fällen.“ (Ruhr Nachrichten, 13. Mai 2010) Erwachsene haben schon Probleme mit dem Ausfüllen und dem Erfüllen der Grundlagen, um Hartz-IV-Bezüge zu erhalten. Außerdem fehlen in zahlreichen Berufsbereichen Ausbildungsangebote und Jobs. Von daher ist nachvollziehbar, dass angebotene Jobs oder Ausbildungsplätze nicht mit den Fähigkeiten der Hartz-IV-Empfänger kongruent sind. Weiter ist davon auszugehen, dass den Jugendlichen (und auch Erwachsenen) wenig bis gar nicht zugehört wird, wenn sie darauf hinweisen... Wie diese Jugendlichen im Leben weiterkommen sollen, ist schleierhaft. Denn die Eltern können in der Regel diese fehlende finanzielle Unterstützung für ihre Kinder nicht aufbringen. Die Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher verkehren und verfehlen in der Wirkung dasjenige, das beabsichtigt wurde: Jugendlichen wird Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive genommen. Sie stranden, wenn sie Glück haben, in einem Aushilfsjob, oder geraten auf eine kriminelle Ebene, um ihr Überleben zu sichern und/ oder verschönern sich das Leben mit Ideen aus Filmen oder Internet, wo sie Anleitung zu allen möglichen Gewalt- und Missbrauchstaten bis hin zum Bombenbau, Selbstmordplänen und sexuellen Missbrauch und Mobbing vorfinden... Manche Jugendliche landen tatsächlich in Ausbildungsplätzen oder bekommen einen Studienplatz an einer Universität. Einige landen vor Gericht und müssen sich verantworten, für die Lebensumstände, in die sie hineingeraten sind, die aber vor Gericht nicht gewürdigt werden... Noch weniger wird der kulturelle und konkrete Lebenshintergrund, wie er durch die Ökonomie festgelegt wird, mit einbezogen. Letztlich wird hier nur Familie und Genetik unterschwellig oder offensichtlich gesehen, die begründen soll, weshalb ein junger Mensch kriminelles Verhalten an den Tag legt.
Die wenigen Kinder und Jugendlichen, die einen Psychotherapieplatz bekommen, um zu verarbeiten, was sie erlebten und erleben, stehen dann, je nach dem, welcher Psychotherapeut welches psychotherapeutisches Verfahren anwendet und damit aufgefordert ist, einen Bericht an den Gutachter zur Übernahme der Kosten bei der Krankenkasse zu schicken, in der Gefahr, auch noch eine Neurose fürs Leben aufgrund zusätzlicher belastender Lebensumstände angehangen zu bekommen. Denn auch hier muss entlang der psychopathologischen Leitlinien eine personenbezogene Diagnose erklären, wieso der Betreffende Symptome ausbildet. Weniger werden Einflüsse Eingang in Berichte finden, die gesellschaftliche Hintergründe dezidiert mit einbeziehen: denn die gehören nicht zum Gegenstand der Begutachtung – mal abgesehen davon, dass die Seitenzahl der Berichte festgeschrieben ist. Also müssen hierüber Bücher geschrieben werden, die im konkreten Fall aber nicht zeitgleich helfen können, weil die Dimension Zeit diesbezüglich eine außerordentlich wichtige Variable darstellt. In der Zeit, in der exorbitante Gewinne eingefahren werden, werden andere Menschen in ihrer Existenz ge- und zerstört: Alles, was sie sich für ihr Leben wünschten, wird umgekehrt. Diejenigen, die keinen Psychotherapieplatz bekommen, werden sich entweder gleichfalls mit den Mitteln zu wehren lernen, die sie selbst erlitten haben oder aber seelisch soweit innerlich zurück gedrängt, bis sie nichts mehr sagen und sich nicht mehr wehren. Dies betrifft Kinder und Jugendliche ebenso wie Erwachsene und es betrifft Menschen in allen gesellschaftlichen Schichten. Es kann jeden treffen.
Generell ist die Geschwindigkeit der Mühlen der Bürokratie dem Menschen im Turbokapitalismus, und wie er sich inhaltlich und strukturell in Menschen wie ein Virus ausbreitet und fortpflanzt, nicht gemäß. Zerstörerische Verhaltensmuster verfestigen sich in Menschen wie Redewendungen: Sie setzen sich wie durch den Wind getragen fort und werden etabliert, indem Menschen Redewendung und/oder Verhaltensmuster ausprobieren. Wie bei Kindern, die etwas nachplappern, um dann langsam zu verstehen, was es bedeutet. Oder wie nach einem ersten Besuch bei einem Zahnarzt, wenn das Kind zu Hause mit Mama oder Papa nachspielt, was der Zahnarzt in der Praxis getan hat. Das Kind verarbeitet so, was es erlebt hat. Die emotionale Verarbeitung in Erwachsenen dauert gleichfalls an, und bis offiziell klar ist, dass etwas schädlich ist und dann auch noch als wissenschaftlich nachgewiesen gilt, vergehen oftmals Jahre, ja Jahrzehnte! Gesetze, die Schädliches ausmerzen, sind noch schwieriger und langwieriger auf den Weg zu bringen.
Ein Grund für Ausbreitung statt Aussetzung von Menschen schädigendem Verhalten mag darin zu finden sein, dass eben nicht in Veröffentlichungen und Diskussionen der kapitalistische Kern und in der Identifikation mit ihm, der extreme Tunnelblick (Skopophilie) zur Verwirklichung von Profit benannt wird, sondern hier von allgemeinen Machtstrukturen die Rede ist. Nicht gesagt wird, Profit ist geil. Nein, plötzlich ist gesellschaftlich Seriosität und Ehrfurcht im Raum. Es wird von Eliten gesprochen, die es zuwege bringen, unvorstellbare Gewinne zu erwirtschaften. Bestaunt, bewundert und mit Understatement wird referiert, was errungen wurde. Das Aufzeigen von Zusammenhängen, wie der Profit sich hochschrauben konnte, kommt oftmals zu kurz oder aber wird als selbstverständlich und daher nicht besonders ethisch und moralisch mitteilenswert vorausgesetzt und daher vom Tisch gefegt: Denn schließlich und endlich wird gerade deshalb, weil es für Menschen schädlich ist, darüber (nicht) gesprochen. Das „Wie es zu Profiten kommt“ bleibt im Nebel und gleichfalls wird der Nebel über die Entwicklung von Menschen, nämlich „Wie Menschen so werden“ verströmt.
Insofern können sich Menschen, die kapitalistische Ziele verfolgen und andere Menschen für ihre Ziele manipulieren und einsetzen, ebenso wie Manager oder Geschäftsführer von den Inhalten distanzieren und vor sich selbst wie vor der Welt sagen, dass auf sie nicht zutrifft, was analysiert und dargestellt wird. Stattdessen wird die Methodik in vielen Variationen in wunderbaren Geschäftsideen gewinnträchtig umgesetzt und harmlos getan. In den vorliegenden Büchern beziehe ich mich auf Scham und Schamlosigkeit als emotionale Phänomene, die kapitalistische Lebenswirklichkeiten schaffen, die direkt mit dem kapitalistischen Kern und dessen verwirklichter Identifikation und folgender Manifestation verbunden sind.
Mir selbst ist das Buch von Hirigoyen erst im November 2008, als meine Bücher fertig geschrieben waren, mit einer E-Mail einer ehemaligen Klientin, die sich bei mir coachen ließ, zur Kenntnis gelangt, so dass ich nur sehr spärlich darauf Bezug nehmen kann – aber die Struktur perverser Gewalt, wie die französische Autorin Marie-France Hirigoyen sie nennt, decken sich mit klinischen und persönlichen Erfahrungen und mit den in Deutschland auffindbaren Umgangsformen, wie sie in den Medien Darstellung finden und im vorliegenden pars pro toto Buch aufgegriffen werden. Die von ihr aufgezeigten Motive und Verhaltensmuster lassen sich als Phänomene und Symptome aus dem klinischen Bereich der Schamtheorien, die immer in Verbindung