Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (BAuA) in Dorstfeld (Dortmund) lässt verlautbaren, Dauerstress im Job kann psychisch krank machen, sprich, Depressionen nach sich ziehen. Dabei ergibt sich der funktionelle Zusammenhang über die Höhe der Arbeitsbelastung: „Je höher die Arbeitsbelastung, umso eher erkranken beschäftigte an der Seele.“ (Ruhr Nachrichten: „Dauerstress bei der Arbeit macht depressiv.“ 16.7. 2010) Untersucht wurden in dieser Studie 517 Beschäftigte von Banken und Versicherungen, Gesundheitswesen und Öffentlichen Dienst. Beurteilt wurde dieses Mal mittels objektiver arbeitswissenschaftlicher Kriterien, und nicht die Aussagen der Betroffenen. „Psychische Probleme und vor allem Depressionen führen laut anderer Studien immer häufiger zu Krankschreibungen. Wie berichtet, waren nach dem jüngsten DAK-Gesundheitsreport im letzten Jahr fast 17 Prozent mehr psychische Erkrankungen als 2008 die Folge des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks.“ (Ebda.) Neben dem Offenbaren dieses funktionellen Zusammenhanges der untersuchten Variablen, ist doch eines schmunzelnd zu erfragen: Wie sieht es denn dann in den Etagen der Manager aus, die ja nicht zuletzt so extrem gut honoriert werden aufgrund des unterstellten Gefüges von Fachwissen und Arbeitsbelastung, sprich Stress... oder bei Ministern, die ja ständig unterwegs sind und sich gleichfalls ständig öffentlich äußern und regieren müssen... Nun gut, ich denke, es gehören weitere Merkmale zu einer depressiven Erkrankung, die als Variablen für Untersuchungen zugrunde gelegt werden müssen – dennoch ist das obige Untersuchungsergebnis bedenklich... Denn, so teilt Thorsten Schenk, ein Experte für berufliche Rehabilitation, mit, sprechen Studien „von ca. 8 Millionen Deutschen mit behandlungsbedürftigen psychischen Störungen“ und „mittlerweile gehörten diese zu der vierthäufigsten Ursache für Arbeitsunfähigkeitbescheinigungen.“ Und weiter: „Die meisten Rehabilitanden haben inzwischen eine psychische Erkrankung, die allerdings häufig erst durch eine weitere gesundheitliche Einschränkung ausgelöst wird. Die psychische Erkrankung ist dann das vorrangige Hemmnis bei der Integration in Arbeit.“ (Quelle: .zweite-chance.info 210/2, S. 5)
Wenn man als Mensch jeden Tag zwischen 7 bis 10 und manchmal mehr Stunden mit dem Schicksal von Menschen in klinischer Praxis so nah und intim mit Psyche, Seele, Körper und Leben von Menschen beschäftigt ist, wie es für Psychologische Psychotherapeuten üblich ist, dann fällt es nicht nur schwer über die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Hintergründe und Einflüsse dieser Entwicklungen hinwegzusehen. Sondern es scheint zur kulturellen Verpflichtung wie Aufforderung zu werden, über die übliche Krankheitslehre und Berufsidentität hinaus die Bedingungen, die zu solchen Symptomen, wie sie einschlägig als krankmachend beschrieben werden, als Phänomene für Ursachen zu benennen und Einfluss bezüglich einer menschenwürdigen Änderung durch deren Benennung zu werden. Wird dies nicht getan, wird denjenigen Menschen zum Symptom und Leid auch noch die Verursachung gesellschaftlich zugeschoben. Dies käme einem Verhalten gleich, wie es ohnehin quer durch die Gesellschaft hinsichtlich der Schuld- und Ursachenverschiebung Gang und Gäbe ist. Damit wären Menschen und Menschsein völlig dem ausgeliefert, was Kern und primäre Intention – und jetzt kommt es – des Kapitalismus ist: Funktion ausführen, Geld machen. Zum Geldmachen wird einfach alles benutzt und in erster Linie der Mensch – so, wie der Mensch sich selbst dann für das Geldmachen selbst benutzt und eben nicht mehr den Abstand oder die Freiheit hat, zu sagen: So nicht! Aber meistens geht es nicht anders als so, weil alles Mögliche an Gesetzen, Verordnungen und Leitlinien im Wege steht, um anders zu leben und zu arbeiten!
Dennoch besteht meine Absicht nicht darin, eine Vollständigkeit bezüglich der krankmachenden Phänomene anzustreben, sondern Beispiele, Strukturen wie Hypothesen aufzuzeigen, die unmissverständlich dem Zweck dienen, das menschliche Wesen in den Mittelpunkt des Lebens, der Wirtschaft und der Kultur zu stellen, und zwar ausschließlich mit dem Ziel, es zu schützen. Dafür ist es notwendig, die negativen Entwicklungen in der Gegenwart aufzuzeigen. Kein Interesse besteht daran, irgendeinem politischen Parteiendenken zu- oder abzuschreiben. Auch geht es mir nicht um Pro oder Kontra Kapitalismus, auch wenn ich hier über ihn zwangsläufig schreiben muss, weil er als Verursacher vielfältiger Missstände und menschlicher Unwürdigkeiten unverblümt in Erscheinung tritt. Kapitalismus könnte aus dieser Perspektive heraus auch völlig anders heißen: Es ist egal. Wichtig ist, was er im Kern wirklich will, wie diese Interessen durchgesetzt werden und was er in Menschen bewirkt und wie er Leben, Mensch und Seele prägt. Dabei muss klar gestellt und daran erinnert werden, dass es immer Menschen sind, die sich mit dem kapitalistischen Kern identifizieren oder eben nicht. Der Mensch hat eine Wahl.
Unter anderem ist es eine Wahl hinsichtlich der Identifikationsrate mit Kapitalismus, die bei turbokapitalistischen Managern bei vermuteten 100 Prozent liegen dürfte. Die kapitalistische Identifikationsrate bringt politisch ein Meer an Möglichkeiten von inhaltlichen Grenzziehungen hervor, die ökopolitisch eine systemimmanente Meinungsvielfalt spiegelt, die suggeriert, man könne mit dem demokratischen Mittel der Abstimmung für Gleichheit und Gerechtigkeit sorgen, ohne über die inhaltlichen Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens zu sprechen und diese zu schützen. Dabei wird übersehen, dass die fehlende Reflexion kapitalistischer Grundlagen und Auswirkungen zu unzähligen Missständen führen, denen man wirtschaftlich und politisch nicht mehr habhaft wird, wie man in der Gegenwart täglich erleben, lesen und hören kann. Beim Aufzeigen der notwendigen Beseitigung von Missständen wird immer auf fehlendes Geld politisch verwiesen. Politische Unterstützung wird denjenigen Menschen gewährt, die dieses System bestrebt sind zu erhalten und genau diese Missstände für Millionen von Menschen hervorbringen.
Diese Wahl hinsichtlich der kapitalistischen Identifikationsrate ist systematisch mittels Erzeugung extremer existenzieller Abhängigkeiten sukzessive eingeschränkt worden. Diese existenzielle Enge geht jedoch tiefer: Sie greift die Seele an und fordert die Psyche auf, mit gezielt egoistisch eingesetzten Kommunikationsstrukturen, juristisch fixierten vertraglichen Spitzfindigkeiten, politischen Notwendigkeiten und generell menschlicher Unanständigkeit umzugehen, die regelmäßig in Ohnmachtgefühlen durch permanentes Verlieren in Menschen münden. Selbst Rechtsbeistand nützt kaum etwas, um Recht zu bekommen. Nach drei, vier Versuchen wird dieser Versuch aufgegeben, weil es billiger ist, die Forderung zu begleichen als den Rechtsweg zu beschreiten. Geschäftsgebaren und Geschäftsideen rücken bedenklich in die Nähe kriminellen Verhaltens, das einzig darauf gerichtet ist, Menschen zu übervorteilen, sie über das Ohr zu hauen und ihnen damit das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Nachweis ist oftmals äußerst schwierig für Betroffene und spiegelt im Gegenzug die immer größer werdende und generalisierende Sicherheit auch in seriös erscheinenden Unternehmenskulturen wider, die immer unverfrorener Leistungen bezahlt wissen möchten, die sie oftmals nicht erbracht haben. Die Betrogenen und Übervorteilten haben noch nicht die geschäftliche Kälte, die ihnen um die Ohren und ins Haus saust, generell als die Absicht erkannt, die sie als Erkenntnis über Wettbewerb im Kapitalismus zu notieren hätten. Aber es wird eben nicht „nur“ die Geldbörse, sondern tiefer, Seele und Leib des Menschen angegriffen. Die Permanenz des Angriffs lässt das Leben bröseln. Seitens der Politik wird zugesehen, wie Menschen von vielen Mühlrädern gleichzeitig durch unterschiedliche Branchen zerrieben werden. Hauptsache, die Gewinne bei den Firmen stimmen.