Es klingt ungewohnt, wenn ich nun ergänzend hinzusetze, dass das Wirtschaftssystem des Kapitalismus in wichtigen Teilen seiner Auswirkungen auf Menschen tabuisiert wurde und ist, obwohl gerade in den letzten Jahren soviel über ihn geschrieben und gesprochen wurde. Man könnte meinen, es ist alles gesagt und nun wüsste man, wo es langgehen könnte.
Wie sich in Diskussionen jeglicher Art oder Medienberichterstattung und politischen Diskussionsrunden oder wirtschaftlichen Entscheidungen international tätiger Firmen zeigt, weiß man es nicht. Oder man weiß es, lässt es unausgesprochen und unberücksichtigt unter den Tisch fallen, weil das wieder mehr Profit verspricht. Gesprochen wird über alles Mögliche, aber nicht darüber, wie es mit dem menschlichen Wesen weitergehen soll, noch darüber, was diese ökopolitischen Strukturen in Menschen bewirken. In diesem Zusammenhang spreche ich in den Büchern zur Heillosen Kultur von psychoökonomischen Einflüssen und Auswirkungen auf Menschen, die spezifische Reaktionen und unterschiedliche Symptome aufgrund gleicher ökokultureller Einflüsse und Ursachen und tiefer, Geschichte, hervorbringen. Die Verbindungen, wie man vom Einzelmenschen zum Wirtschaftssystem, von der Seele zur materiellen Basis gelangt, erscheinen einerseits wie kilometerlange Darmwindungen, wenn man das gesellschaftliche System nun mal als Organismus begreift, denen man keine Lust hat zu folgen, noch Interesse, diese wirklich zu erkunden und zu verstehen. Schließlich sind in der Gegenwart wichtigere Probleme, als seelische Nöte, psychische Symptome und körperliche Gebrechen aufzuzeigen, nämlich, wie Banken und Wirtschaft wieder zu Geld und Leben in Saus- und Braus gelangen, zu lösen.
Es nützt offenbar nicht viel, ausschließlich Sach- und Fachbücher zu schreiben, Statistiken zu erstellen und auf Versorgungsmängel im Gesundheitswesen des Kapitalismus hinzuweisen. So schrieb zum Beispiel eine französische Kollegin ein außerordentlich gutes Buch mit dem Titel „Die Masken der Niedertracht“ (Hirigoyen, 1999). Es ist seit über 10 Jahren in Deutschland auf dem Markt. Im gleichen Zeitraum gab es unzählige und weitere Bücher, die letztendlich aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren. Perverses Verhalten und Gewalt (Hirigoyen) in Wirtschaft, Sozialleben und Privatleben nahm jedoch zusehends und für jeden Menschen spürbar zu und breitete sich schnell wie ein Virus aus. Danach gilt, sich soviel einzuverleiben, wie irgend möglich und soviel an Macht und/oder Geldzuwachs in einem Zeitintervall daraus zu ziehen, wie es geht. Ob das Objekt, der Mensch, die Natur, das Tier, die Beziehung oder das Land dabei zerstört wird und vor die Hunde geht, ist dabei unerheblich. Dieser Prozess ist zu tolerierende Folgeerscheinung. Es scheint, es macht sich generell ein Stil in der Wirtschaft breit, der sich dem von Hedgefond-Managern angleicht, und darüber hinaus Denken und Zielsetzungen auch im politischen und psychosozialen Bereich ergreift und beeinflusst: Informationen über Mängel im Kapitalismus werden hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Systeme und Informationen genutzt und ausgebaut, statt eingestellt und abgebaut. So will man Arbeitskraft immer billiger einkaufen und für Kapitalzwecke nutzen, so wie sich das Volk gleichfalls völlig materiell und existenziell eingeschränkt als lebensfähig erweisen muss, damit ohne Scham weiterhin abgesahnt werden kann. Dies gilt auch für das Gesundheitswesen, in dem sich Patienten und Behandler kaum noch ohne Rechtsanwalt zur Wahrung ihrer Interessen und/oder gegenüber Krankenkassen durchsetzen können. Zusätzlich steht die Schweigepflicht in Gefahr, völlig unterlaufen und abgebaut zu werden. Vordergründig aufgrund der Anti-Terror-Gesetze, hintergründig durch neue Zusatztarife der Krankenkassen, die gern an Versicherten verdienen möchten. Eine Eigenschaft, die in unserer Gesellschaft an erster Stelle genannt wird, nämlich Toleranz, scheint in jeder Hinsicht in Gefahr zu stehen, zur Unart und Untugend zu verkommen. Dies ist dann der Fall, wenn Toleranz zur Schutzhaltung entartet, die Verantwortung reduziert oder gar ausschließt. Gesteigert, wenn zu Toleranz (und Vertrauen) aufgerufen wird und die zur Toleranz und Vertrauen Aufgeforderten verführt werden, nicht mehr über Folgen von wichtigen Gesetzen, die außer Kraft gesetzt oder eingeführt werden, zu reflektieren. Damit wird zu einem Bild in der Gesellschaft beigetragen, dass nur der schweigende und angepasste Bürger und Mensch ein guter Bürger und Mensch sei! Werte, die eine Gesellschaft und Kultur stabilisieren, werden unterlaufen und aufgelöst.
Perverse Gewalt setzt sich als Reflex bis in alle Bereiche der Gesellschaft durch. Sie zeitigt Beziehungsstrukturen.
Beispiel: „Anklage: Kind mit Internet-Mobbing in den Tod gerieben.“ Eine amerikanische Mutter, Lori Drew, ihre Tochter und ein Freund der Familie machten sich anonym einen Spaß daraus, einem 13jährigen, depressiven Mädchen in der Nachbarschaft unter Vorgaukelung eines virtuellen Freundes per Internet das Folgende mitzuteilen: „Ohne dich wäre die Welt schöner.“ Das Mädchen nahm sich daraufhin das Leben. Der Staatsanwalt O’Brien kommentierte: „Drew habe es drauf angelegt, das Mädchen ‚zu erniedrigen, sich über es lustig zu machen und es zu verletzen’, sagte O’Brien vor der Jury.“ (Ruhr Nachrichten, 21.11.2008)
Es konnte nachgewiesen werden, was aufgrund anderer Mobbingstrukturen, oftmals nicht so einfach gelingt. Hier lag der E-Mailverkehr unverblümt vor. Zerstörerisches, rücksichtsloses Verhalten hält ungehindert Eintritt in das Leben von Menschen. Das Schlagwort Mobbing beinhaltet nichts anderes als Techniken der Angst, um Seele und Leib von Menschen zu schädigen und zu zerstören, um eigene, meist finanzielle Vorteile oder sadistische Freude daraus zu ziehen und Macht zu etablieren. Rechtsstrukturen können nicht so schnell reflektiert und angepasst werden, wie Wandel zum Schutz von Menschen und Stärkung eines Rechtsbewusstsein in solchen Fällen von Nöten wäre. Am 3. September erhielt ich die folgende Nachricht per E-Mail: „’Zwei Mio. deutsche Schüler Opfer von Cybermobbing. Angriffe verlagern sich immer stärker ins Netz.’ Mobbing verlagert sich zunehmend ins Web (Berlin (pte/02.09.2009/13:45) - In Deutschland sind mittlerweile rund zwei Mio. Schüler Opfer von Cybermobbing. Laut einer aktuellen Studie des Zentrums für empirische pädagogische Forschung (zepf) an der Universität Koblenz-Landau sind insgesamt etwa fünf Mio. Kinder und Jugendliche regelmäßig von Mobbingattacken betroffen. Ein beachtlicher, immer größer werdender Anteil davon hat sich inzwischen in die virtuelle Welt verlagert, wie die Zahlen deutlich zeigen. Im Zuge der Untersuchung gaben 40,5 Prozent der Befragten an, von direktem Mobbing - offline sowie online - betroffen zu sein.“ (Huber, M., E-Mail-Verteiler 3.9.2009: Zwei Mio. deutsche Schüler Opfer von Cybermobbing. Block: M.E.)
Mobbing bei Kindern und Jugendlichen dringt tief in die Psyche ein und prägt für’s Leben. Wird ein Kind gemobbt, verändert dies sein Leben und das Leben der Eltern. Michael Stoessinger, Michael Streck und Mareike Foecking zeigen in ihrer Veröffentlichung „Klassenkampf“ in der Wochenzeitschrift Stern im September 2009 anhand von Einzeldarstellungen auf, wie tief Mobbing geht. (Stern, Nr. 38, 10.9.2209, Seite 56-66) Die Schule wird zum System der Angst für alle Beteiligten, ob für Schüler, Lehrer und Eltern. Inzwischen dürfte die Mehrzahl heutiger Schüler Mobbing selbst erlebt haben oder selbst an entsprechenden Aktionen beteiligt gewesen sein. Im deutschen Ärzteblatt im Mai 2010 schreibt Marion Sonnenmoser über die „Verabredung zum Selbstmord“ via Internet. Im Internet sind nicht nur Beratungsforen zu finden, die Hilfestellungen bei suizidalen Menschen geben, sondern auch Foren repräsentiert, die zum Suizid animieren! Wie Sonnenmoser berichtet, „existieren Websites im Internet, in denen nicht nur beschrieben, sondern auch anhand von Bildern und Filmen genau gezeigt wird, wie man sich effektiv umbringt.“ (In: Deutsches Ärzteblatt, PP, heft 5, Mai 2010, S. 224). Dass Eltern oder Lehrer diese „Unterhaltung“ zu Verabredungen von Jugendlichen oder Kindern mit anonymen Internetbesuchern nicht mitbekommen (oder es auch gar nicht mitbekommen können, da es Internetcafes gibt...), muss nicht besonders ausgeführt werden.
Dass wir in unserer Kultur Lichtjahre von Einsteins Aussage, dass wir als Menschheit nicht weitergekommen sind, so lange noch ein trauriges Kind unter uns lebt, entfernt leben und die Entfernung von diesem das menschliche Wesen eichende Ziel täglich vergrößert wird, ist ebenso unnötig, auszuführen: Am 11. Mai war