Vater nimmt uns an die Hand führt uns auf den zweiten Hof, wo sich bei wärmeren Temperaturen die Hühner und anderes Federvieh tummeln. Die sind jetzt im warmen Stall eingesperrt, scharren im Heu und erschrecken das immer nervöse Pferd, wenn sie nach dem Eierlegen anfangen zu gackern.
Jetzt steht zwischen dem Stalltor und dem dicken Stamm des Maulbeerbaumes eine hohe Schneeschanze, mit Stufen an der Rückseite. Zum bequemen Hochsteigen. Vater hat inzwischen den Schlitten aus der Kammer geholt und nimmt ihn mit nach oben. Wir stapfen hinterher. Vater setzt uns beide auf den Schlitten und gibt dem Gefährt einen kleinen Schubs. Mein Bruder klammert sich an mich, und ich spüre es, daß er an mir vorbeilugt, während wir nach unten gleiten. Kurz vor dem Hühnerhofzaun kommt der Schlitten zum Stehen. Vater steht schon neben uns und schaufelt noch rasch eine Auffangmauer aus Schnee vor den Maschendrahtzaun. Falls wir doch mal schneller runterkämen als eben, sagt er.
Die Schanze ist unsere Spielwiese für die nächsten Tage, das Wetter ist stabil, sonnig und kalt. Es ist klar, daß wir anfangs nicht die Stufen an der Rückseite der Schanze nehmen, wenn wir wieder nach oben wollen, sondern versuchen es an der Schräge. Vater hatte den Schnee aber so fest zusammengeklopft, daß es sich an der Oberfläche bald eine dünne Eisschicht bildet und das Hochkommen immer schwieriger wird. Irgendwann benutzen wir dann doch die Stufen. Vater grinst verstohlen im Vorbeigehen, sagt aber nichts. Als Ausdruck seiner stillen Freude darüber, daß er uns wiederum eine solche Freude bereitet, tätschelt er anstelle unserer Köpfe den Rücken des Pferdes, das sich jetzt im Stall langweilt. Er wirft dem Hengst eine Decke über und dreht ein paar Runden mit ihm im Hof.
Die Existenz unserer Schneeschanze spricht sich in der Straße schnell herum, unsere Jubelschreie sind über mehrere Höfe zu hören. Jeden Tag kommen neue Kinder dazu und als die Kapazität der Schanze erschöpft ist, bietet Vater den Nachbarn an, auch bei ihnen so etwas zu bauen. Den meisten Vätern ist es nur recht, die sind froh, die Winterruhe ohne Belästigung durch die Kinder zu genießen und überlassen Vater die Aufgabe, deren Kindern das gleiche Vergnügen zu verschaffen wie uns. Meinem Bruder und mir ist es auch recht, weil die ständig wachsende Kinderschar unseren Spaß verkürzt hat.
Nun gehört die Schanze wieder ausschließlich uns beiden und wir binden einen Stoffetzen, der aus Großmutters Restekiste stammt, an einen Stock, stecken den Stock zum Zeichen der Wiedereroberung unserer Spielstätte, wie eine Fahne an einer Burgspitze, in den Schnee. Abends sind wir von der frischen Luft und der Bewegung so müde, daß Mutter keine Mühe hat, uns ins Bett zu stecken. Wir gehen freiwillig schlafen, weil dann der nächste Tag, den wir wieder draußen verbringen können, schneller herbeigeeilt kommt.
Auch der Frühling kommt schnell herbei, schneller als uns lieb ist und verwandelt unsere stolze Schneeschanze in einen kläglichen Haufen gräulich-weißen Matsches, der in der Sonne täglich ein Stück mehr in sich zusammensackt und eines Tages als plätscherndes Wasser in der Bodenrinne des Hühnerhofes davonfließt. Das aber kümmert uns nicht mehr, jetzt gibt es andere Dinge zu tun.
Der Lenz ist da
Die Geschäftigkeit, die im Frühling einsetzt, steckt alle an. Großmutter sortiert das Saatgut für Korn, Kartoffeln, Mais, Frühgemüse und Blumen. Vater baut seine Wärmebeete zum Vorziehen von Tomaten und Paprikapflanzen. Dazu vermischt er Stallmist mit Stroh und schaufelt das Ganze zu Hochbeeten, die sehen aus wie große gelbe Betten. Er setzt Holzrahmen darauf, deren hintere Seite höher ist als die vordere. Auf das Beet streut er Gartenerde, darauf die Samenkörner, gießt alles und deckt die Beete schließlich mit kleineren Holzrahmen ab, die mit Sprossen unterteilt sind. Wie die Fensterscheiben im Haus. Nur sind diese Holzrahmen viel größer, sie haben quadratische Scheiben und man kann jede Scheibe einzeln hochschieben. »Die sind zum Lüften da, wenn es nötig ist«, sagt Vater.
Das Strohgemisch von unten und die reichliche Sonne im März von oben erwärmen die Beete, die Temperaturen sind wie im Treibhaus. Große Wassertropfen sammeln sich auf der Innenseite der Glasscheiben, und wenn sie schwer genug sind, rollen sie langsam hinunter. Der Boden ist immer feucht in den kleinen Wärmebetten, und nach ein paar Tagen schieben die ersten Keimlinge die Erde hoch und schauen sich in der Welt um. Es dauert nicht lange, und es grünt unter den Scheiben. Mit zunehmender Wärme werden die Scheiben immer öfter hochgeschoben oder mal ein ganzer Rahmen abgenommen. Bald sind die Pflanzen so groß, daß sie die Scheiben erreichen, also müssen sie auseinandergepflanzt werden.
Pikieren nennt man das, sagt Vater und bringt kleine Erdwürfel an, die er aus der Wiese hinter dem Haus gestochen hat. In jeden Würfel setzt er eine Pflanze und die Würfel dicht nebeneinander in eine Kiste. Wir dürfen ihm dabei helfen, im Garten die Beete anzulegen. Den Rest bringt er auf die Felder, und was übrigbleibt verkauft meine Mutter auf dem Markt oder gleich von zu Hause aus. Nicht jeder im Dorf macht sich die Mühe mit den Glashäusern.
Großmutter kündigt den Frühjahrsputz an. Mutter und Vater sind längst schon auf den Feldern, also muß Großmutter alles alleine machen. Was sie bei jeder Gelegenheit laut beklagt. Die Betten aus der guten Stube, die fast nie benutzt werden, hängen zum Lüften über der Wäscheleine. Die Dielen in Stube und Wohnküche werden wieder weißgescheuert.
Überflüssig, kommentiert Mutter unsere Mühe, die gute Stube würde Großmutter sowieso nur zum Abstellen der Möbel nutzen.
Nach den Wohnräumen kommen Korn- und Speisekammer an die Reihe. Großmutter inspiziert die Vorräte an Korn, gemahlenem Mehl und zählt die noch vollen Einmachgläser und Tontöpfe mit Fett und Rippchenfleisch. Wurst, Schinken und ein paar kleinere Speckseiten hängen noch in der kleineren Kammer, in der eigentlichen Speisekammer, von der großen Kornkammer mit einer Gittertür abgeteilt.
Die Katze wird für die Nacht in der Kammer eingesperrt, weil die Mäuse sich über Winter vermehrt haben. Großmutter mag keine Haustiere, sie duldet sie nur, wenn sie von Nutzen sind. Wenn also der Fall eintritt, daß die Mäuse in der Kammer oder auf dem Dachboden fröhliche Hochzeiten feiern und für unzähligen Nachwuchs sorgen, ist die Katze für Großmutter ein liebes Tierchen. Das hält sie aber nicht davon ab, den Nachwuchs der Katze, wenn diese ihn vor Großmutter nicht gut genug versteckt hat, im Hanfdeich zu ertränken. Mit viel Betteln und Bitten kann ich erreichen, daß Großmutter in diesem Jahr der Katze ein Junges läßt. Dieses Junge ist ein Kater und weil die Mutter im kommenden Sommer von einem Jagdausflug nicht mehr heimkommt, haben wir einen Kater zum Mäusefangen und müssen den Tod von Katzenbabies nicht mehr befürchten.
Jetzt ist aber erst März, der kleine Kater noch nicht geboren und die Mutterkatze mit dem dicken Bauch Nacht für Nacht in der Kornkammer fleißig. Morgens präsentiert sie Großmutter die erlegten Mäuse, sie legt sie in eine Reihe und wartet auf Belohnung. Großmutter hat angesichts des Jagderfolgs ein Einsehen und gibt der Katze außergewöhnlich gute Sachen zu fressen.
»Immer nur Mäuse ist auch nichts«, rechtfertigt sie ihre Entgleisung.
Während Großmutter die gute Stube lüftet, die Schranktüren öffnet und die Mottenkugeln erneuert, darf ich den Inhalt der beiden großen Schubladen ihrer Kleider- und Wäscheschränke inspizieren. In einer finde ich zusammengerollte Schnittmuster, die Ränder durch Mäusezähne ausgezackt. Ich zeige sie Großmutter und sie schimpft gleich los. Sie nimmt die Schublade heraus und schüttet voller Abscheu den gesamten Inhalt auf die Dielen, die sie eben blankgescheuert hat. Das ärgert sie zusätzlich, weil außer den angenagten Papierrollen Kleinstschnipsel und die Hinterlassenschaft der fleißigen Nager in Form von kleinen schwarzen Krümeln aus der