Heute kommt es öfter vor, dass Leute auf der Suche nach Arbeit in eine andere Region umsiedeln müssen. Das kommt einer familiären Katastrophe gleich. Erst letztens hat mir eine Bekannte heulend mitgeteilt, dass ihre Familie nun endgültig entzweit ist. Die Tochter und Enkel sind nach München zogen. München liegt gerade mal 600 km entfernt. Mit dem Auto ist man in knapp vier Stunden dort. Mit amerikanischen Verhältnissen gemessen, ist das direkt um die Ecke. In Deutschland, wo die längste Distanz 1.000 km beträgt, ist das jedoch ein Umzug ans Ende der Welt.
Deutschland – Volk auf engen Raum
Die Enge unseres Landes machte seine Bewohner erfinderisch. Wie alle Menschen auf der Welt, haben auch wir Deutschen dank unseres Erbgutes bestimmte Verhaltensweisen angeboren, die mit unserer modernen Lebensweise schwer vereinbar sind. Unsere Vorfahren fristeten über Jahrtausende als Bauern und Viehzüchter ihr Dasein. Deshalb ist bei vielen von uns der Wunsch nach eigenem Grund und Boden sehr ausgeprägt. Der moderne Mensch hört das nicht gern. Wer gibt schon gern zu, genetisch vorprogrammiert zu sein. Das Leben in Großstädten gehört jedenfalls nicht dazu. Gezwungenermaßen leben aber immer mehr Menschen dort. Sie haben gar keine andere Wahl und sich irgendwie damit arrangiert. Vielleicht hegen deshalb die meisten Großstädter den Wunsch, zu den Wurzeln ihrer Vorfahren zurückzukehren. Sie nutzen jede Gelegenheit, der städtischen Enge zu entfliehen und sei es nur eine Parkanlage. Nirgends gibt es soviel Kleingärten, wie in Deutschland. Und wer es sich leisten kann, hat ein Grundstück auf dem Land. Wie alle Menschen in Großstädten, leben auch Deutsche in Massenbehausungen und gehen zur Nahrungssuche in den nächsten Supermarkt. Dabei interessiert es sie wenig, wie diese lebensnotwendigen Dinge dort hinkamen, geschweige wie sie erzeugt werden. Trotzdem träumen viele davon, ihr eigenes Gemüse anzubauen. Mein Vater züchtet seit Jahren auf seinem zweieinhalb Quadratmeter großen Balkon Tomaten. Er ist fest der Überzeugung, dass es nirgends auf der Welt wohlschmeckendere Nachtschattenfrüchte gibt, als in seinen Blumentöpfen. Das höchste Lebensziel, wenn auch für die meisten unerreichbar, ist ein eigenes Haus. Dafür ist man bereit, sich jahrzehntelang zu verschulden. Da in Deutschland Grund und Boden sehr knapp bemessen sind, scheitert dieses Unterfangen meist schon beim Erwerb des Baugrundes. In bestimmten städtischen Regionen ist dieser teilweise mehr Wert ist, als das Haus, was darauf steht. Für diejenigen, die weder genügend Geld noch die notwendigen Fähigkeiten besitzen, sich ein eigens Haus zu bauen, wurde das Reihenhaus erfunden. Keine deutsche Idee, aber im Gegensatz zu amerikanischen oder britischen Reihenhäusern, mit kaum mehr Fläche, als der, worauf es steht. Ein Bekannter hat sich diesen Traum erfüllt und stolz zur Einweihung eingeladen. Nachdem ich zwanzig Minuten lang einen Parkplatz gesucht hatte, da es am Haus keine Stellflächen gab, betrat ich dieses Wunderwerk deutscher Architekturkunst. Die hat es fertig gebracht, auf gerade mal sechzig Quadratmetern Grundfläche alle Funktionalitäten eines Eigenheimes unterzubringen. Die Besichtigung begann im Keller und endete im 3. Obergeschoss. Ich hatte vierzig Stufen überwunden, auf Treppen, die kein Mensch nutzen kann, der breiter als ein Meter ist. Am Hintereingang, etwa neun Meter vom Vordereingang entfernt, ist eine Terrasse, die genau so breit ist wie das Haus. Diese ist so dimensioniert, dass genügend Fläche vorhanden ist, vier Stühle und einen Tisch aufzustellen, Dann folgt eine Rasenfläche, die immerhin die Möglichkeit eröffnet, zwei Liegen aufzustellen, vorausgesetzt sie befinden sich parallel nebeneinander. Für diejenigen, denen diese Beschreibung zu kompliziert ist: Es ist dort möglich, einen Sonnenschirm von drei Meter Durchmesser so aufzustellen, ohne an einer Stelle die Grundstücksgrenze zu überschreiten, aber nur dann, wenn der Schirmständer sich direkt in der Mitte des Rasens befindet. Bei günstigem Sonnenstand, kann so gleich der Rasen des Nachbarn mit beschattet werden. Damit dieses nicht geschieht, befindet sich an den Grundstücksgrenzen zu den beiden Nachbarn eine drei Meter hohe Hecke, deren Schatten das Aufstellen eines Sonnenschirmes erübrigt. Es gibt Mitbürger, die das Glück haben, ein Eigenheim zu besitzen, welches mehr Grund und Boden aufweist, als ein modernes Reihenhaus. Eintausend Quadratmeter sind aber auch hier schon eher die Ausnahme. In der Regel ist es weniger als die Hälfte. Demzufolge sind die darauf stehenden Häuser eher eine Miniaturausgabe amerikanischer Häuser.
Die Mehrheit der Städter lebt in einem dieser endlosen Mietshäuser, wo man immer weiß, was der Nachbar zum Mittag zubereitet. Auch sonst nimmt man hautnah am Leben seiner Mitbewohner teil, ohne die eigenen vier Wände zu verlassen. In solchen Häusern leben Menschen jahrelang Tür an Tür, ohne sich jemals begegnet zu sein. Aber gerade bei diesen Menschen besteht der Wunsch, einmal seine eigenen Möhren anzubauen. Dieses muss schon unsere Vorfahren sehr beschäftigt haben, die in noch engeren Mietshäusern hausten. Sonst hätte nicht vor über einhundertfünfzig Jahren ein Bürger meiner Heimatstadt die grandiose Idee gehabt, allen Landlosen Land zu verschaffen, was ihnen zwar nicht gehört, aber auf dem sie so tun können, als hätten sie welches. Immerhin war dieses eine friedvollere Idee, als die jenes Diktators, der unter dem Slogan „Volk ohne Raum“, seine Armeen in Bewegung setzte, um unseren Nachbarn genau dieses zu rauben. Jedenfalls besagter Landsmann setzte sein Vorhaben um, ganze Landstriche zu verunstalten, indem er größere Flächen in viele kleine Einheiten, Bienenwaben ähnlich, aufteilte. Diese Flecken nannte er Parzellen und verteilte sie an Landlose wie mich, mit der Vorgabe, dort Möhren anzubauen. Damit hatte er, ohne es zu ahnen, die deutsche Kleingartenbewegung gegründet, die heute überall in Deutschland anzutreffen ist und zum Spiegelbild unserer kleinbürgerlichen Kultur wurde. Prinzipiell gibt es dagegen nichts zu sagen, wenn nicht damit dem deutschen Biedermann neue, ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet wurden. Gemäß dieser unnachahmlichen deutschen Beschränktheit, wurden erst einmal umfangreiche Regeln aufgestellt, welche bis heute Bestand haben und gedankenlos umgesetzt werden. Und damit diese eingehalten werden, gibt es selbsternannte Wächter in Gärtnerkluft, die sich Vorstand nennen und sich regelmäßig selbst wiederwählen. So muss jede dieser Miniparzellen mit einem unüberwindbaren Zaun umgeben sein, einer Mauer gleich, welche die Hoheitsgebiete der jeweiligen Nutzer abgrenzen. Dann wurde genau festgelegt, was auf diesem Boden wachsen und vor allem, was dort nicht wachsen darf. Es wurde dem Nutzer zwar das Recht eingeräumt, eine Behausung zu errichten, die in ihrer maximalen Größe eher einem Hühnerschlag gleichkommt. In der darf sogar ein Bett stehen, sofern es nicht zur Übernachtung dient, denn das wiederum ist verboten. Damit alles seinen deutschen Gang ging, wurde sogar ein Gesetz verabschiedet, welches Land auf, Land ab, bis heute brave deutsche Parzellenbesitzer gängelt. Schlimmer als dieses ist jedoch die Tatsache, dass mit der Erfindung des Kleingartens, die Saat für Zwist und Kleinkrieg auf engstem Raum gestreut wurde. Ich kenne keinen Gartenverein in dem nicht irgendwo, selbsternannte Hüter der Ordnung sich im Kriegszustand mit Möhrenzüchtern und Rosenliebhabern befinden, wo Intoleranz so unbarmherzig ausgelebt wird, wie zwischen Gartenzäunen. Leider muss ich gestehen, auch so einen Garten zu besitzen. Mich erreichen in regelmäßigen Abständen Schreiben, die darauf verweisen, dass ich gerade wieder gegen irgendetwas verstoße habe. Damit verbunden sind Auflagen, meinen Garten so zu verändern, wie es andere gern haben möchten. Ich habe bis heute, trotz Androhungen von Enteignung, nicht darauf reagiert, weil er mir gefällt, wie er eben ist.
Korruption und andere Fremdwörter
Ich kenne niemanden, der nicht schon einmal ein Geschenk entgegennahm, wo klar war, dass dafür eine Gegenleistung erwartet wurde. Damit verbunden ist ein uraltes in unseren Genen verankertes Prinzip, immer dann ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man etwas bekommt ohne vorher etwas gegeben zu haben. Diese angeborene Schwäche wird oft ausgenutzt, um uns zu Handlungen zu bewegen, die wir normalerweise nicht tun würden. Jeder hat schon mal etwas gekauft, was eigentlich zu teuer war oder gar nicht gebraucht wurde Das geschah im Gefühl jemanden verpflichtet zu sein, nur weil der uns zuvor etwas geschenkt hatte. Schon in meinen frühesten Kindertagen hat meine Oma das ausgenutzt, indem sie mir Schokolade schenkte und dafür eine Umarmung erwartete. Das tat ich immer sehr widerwillig, da ich sie nicht besonders mochte. Im Laufe meines weiteren Lebens wurde ich regelmäßig damit konfrontiert, Geschenke zu erhalten, die nur einen Zweck hatten, mich zu bewegen, etwas zu tun, wozu ich nicht bereit war. Heute betrachtete ich diese