Deutschland, das ist der größte multikulturelle Staat in Europa. Wie das denn? Multikulturell hat doch etwas mit Ausländern zu tun. Und trotzdem ist Deutschland multikultureller als andere Staaten, auch ohne Zuwanderer. Gemeint sind nicht die mehr als acht Millionen Menschen, welche nach und nach in Deutschland einwanderten und sich zu anderen Kulturkreisen bekennen. Es sind auch nicht jene zigtausend Personen, welche sich überhaupt nicht zu erkennen geben, weil sie illegal im Land und damit nicht existent sind. Nein, die Deutschen selbst bilden eine große multikulturelle Gesellschaft und das seit mehr als einhundertfünfzig Jahren, als sie gewaltsam gezwungen wurden, zusammenzuleben. Bis zum Jahre 1871 gab es auf dem heutigen deutschen Staatsgebiet, eine Unzahl miteinander in Fehde liegender kleiner Staaten, hervorgegangen aus Germanischen Stämmen, die alle eine eigene Kultur und Sprache pflegten. Mit Eisen und Schwert wurde das geformt, was wir heute Deutschland nennen. Seit dieser Zeit müssen alle Bewohner Deutschlands versuchen, miteinander auszukommen. Wäre nicht Hochdeutsch zu einer Art Amtssprache deklariert worden, würden die meisten sich bis heute nicht richtig verständigen können. Fragen Sie einen Deutschen woher er kommt, wird er neben seinem Wohnort oft sein Herkunftsland genannt. Damit wird stellt er klar, ob er zum hiesigen Stamm oder nicht gehört. Denn egal, wohin es ihn verschlägt, er bleibt für immer mit seinen Wurzeln verbunden. Meist muss er das gar nicht sagen, denn an seinem dialektgefärbten Hochdeutsch ist für Einheimische seine geografische Zuordnung relativ einfach auszumachen. Reist er ins Ausland, wird er immer Deutschland angeben. Denn außer mit Bayern kann jenseits unserer Grenzen keiner etwas mit unseren regionalen Eigenheiten anfangen. Darin spiegelt sich der Minderwertigkeitskomplex der Deutschen gegenüber der Größe ihres Landes wider. Denn Deutschland ist gerade mal halb so groß, wie der US-Bundesstaat Texas. Befindet er sich im Inland, sieht die Welt ganz anders aus. Dort legt der Deutsche sehr wohl Wert auf seine Identität und die ist nicht deutsch, sondern bayerisch oder sächsisch. Heute besteht Deutschland territorial aus fünfzehn Bundesländern und drei Stadtstaaten. Deren Geschichte ist nicht mal fünfzig Jahre alt. Diese Ländern, administrativ geschaffen, spiegeln weder eine ethnische Volksgruppen, noch deren Siedlungsgebiet wider. Entweder sind sie das Produkt kriegerischer Auseinandersetzungen oder politischer Willkür, mit der Konsequenz, dass in diesen Gebilden unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zum Zusammenleben gezwungen werden, was nichts anderes bedeutet, als dass sie dieses nicht freiwillig tun. Folglich gibt es bis heute innerhalb dieser Bundesländer Rivalitäten, die vermutlich nie überwunden. Gott sei Dank werden diese nicht mehr gewaltsam ausgefochten. Mit dem Schreiben dieser Zeilen ziehe ich mir gerade den Missmut deutscher Nationaltheoretiker auf mich. Das sind jene Menschen, die seit je her bemüht sind Beweise ins Feld zu führen, um nachzuweisen, dass wir alle den gleichen Stammbaum haben. Das bestreite ich auch nicht ab. Laut Kirche beginnt dieser bei Adam und Eva. Es käme einer europäischen Katastrophe gleich, würden sich die Deutschen der Tatsache bewusst, was man ihnen antat. Denn bis heute schielen viele in Richtung Schweiz und trauern der verpassten Chance nach, es den dortigen deutschsprachigen Brüdern nicht gleich getan zu haben. Die Schweizerdeutschen haben ihre nationale Souveränität bis heute verteidigt, in Wohlstand und Freiheit. Dort hat man noch den Nationalstolz, der den restlichen deutschen Ländern abhanden kam. Würden die Historiker ihre deutsche Nationalentheorie umfassend anwenden, bekämen wir mit unseren Nachbarn erheblichen Ärger. Holländer, Belgier, Franzosen, Tschechen, Österreicher und Italiener würden auf den Plan treten, wenn wir wieder mal mit dem Gedanken spielen, die deutsche Nation neu zu definieren. Denn dort befindet sich ein erheblicher Teil derer, die sich einstmals unter dem Dach des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zusammenfanden, einem Gebilde, das sich quer durch Europa zog.
Als ich Kind war, kam regelmäßig meine Großtante aus dem Land der Schwaben. Meine Mutter war eine multikulturelle Ehe mit Sachsen eingegangen. Bis zu ihrem Ableben hatte ich Probleme, sie nur annähernd zu verstehen. Bis heute habe ich nicht richtig erraten, was sie mir so alles mitteilen wollte. Da ich als 6-jähriger eher an ihrer Schokolade, als an ihren Worten interessiert war, ist die Sache konfliktfrei abgelaufen. Jedenfalls konnte ich mich bei ihr bedanken, nicht zuletzt durch die Übersetzungen meiner Großmutter. Auch heute werden in vielen Landesteilen die alten Traditionen und Sprache gepflegt. Im Ausland denken viele wir wären Bayern, rennen mit Lederhose und hauen uns dständig auf die Schenkel. Damit wir uns überhaupt verständigen können, gibt es eine Amtssprache, genannt Hochdeutsch. Deren Handhabung nimmt bis heute teilweise groteske Formen an, zumeist dann, wenn derjenige seine eigentliche nationale Zugehörigkeit verbergen möchte. Als Stammesangehöriger der Sachsen kann ich ein Lied davon singen. Uns gelingt es beim besten Willen nicht mittels Hochdeutsch unsere Identität zu verschleiern. Dabei stellen selbst die Sachsen ein buntes Völkergemisch dar alle ihre regionale Riten und Sprache pflegen. Ich kenne Leute, die haben vergeblich versucht, in einer anderen deutschen Region sesshaft zu werden. Irgendwann sind sie entnervt wieder abzogen, weil sie selbst nach Jahren, wie Aussätzige behandelt wurden. Da wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, welche Torturen ein Ausländer in Deutschland durchleben muss, der weder die richtige Sprache noch Hauptfarbe hat.
Kleinstädte und Kleinbürger
Deutschland ist nicht gerade ein großes Land und mit über 80 Millionen Menschen dicht besiedelt. Obwohl die Mehrzahl der Einwohner in Städten wohnt, gibt es dennoch keine Megastädte. Zwar besuchen wir gern Riesenstädte wie Paris, London oder New York, leben möchten die meisten dort aber nicht. Deutsche Städte, egal welcher Größe, sind relativ übersichtlich, meist ähnlich angelegt und oftmals steril langweilig. Auch wenn sie oft mehrere hundert Jahre alt sind und vielen verschiedenen Einflüssen unterworfen waren, so ist davon, bis auf ein paar Ausnahmen, meist wenig übrig geblieben. Dafür haben nicht zuletzt fleißige Stadtplaner gesorgt, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, so viel Individualität wie möglich zunichte zu machen, um dann ihre ganz eigene Auffassung von Stadtgestaltung durchzusetzen. Nun will ich nicht abstreiten, dass solche Leute auch ihre Existenzberechtigung haben, denn es kann ja nicht sein, dass jeder macht, was er will. Deutsche Stadtplaner sind jedoch von einer besonderen Sturheit beseelt, die nur eine Auffassung verträgt, die eigene. Ich bin mit solchen Menschen öfters kollidiert und habe letztendlich immer den Kürzeren gezogen. Das lag aber nicht daran, dass sie die besseren Argumente in Feld führten, sondern dass sie sich ihrer Behördenallmacht bedienten, um klarzumachen, dass es nur eine städtebauliche Meinung gibt. Der Versuch, ein Gebäude, das noch nicht einmal an einer Straße lag und kaum einzusehen war, grau zu streichen, endete mit der Erkenntnis, dass in meiner Stadt alle Häuser seit Jahren nur beige gestrichen werden. Und tatsächlich, nachdem mir dieser Hinweis schriftlich zugegangen war, musste ich feststellen, dass dem so ist. Diese Leute haben es fertig gebracht, einer ganzen Stadt ihren Willen aufzudrücken und zwar einen beigen. Wäre ich in einer anderen deutschen Stadt gewesen, hätte ich mein Haus bestimmt blau anstreichen müssen, nur weil es dort Stadtplaner gibt, die sich auf solch eine Farbe festgelegt haben. Warum soll es deutschen Städten anders ergeben, als deren Bewohnern? Deutsche Städte sind über Jahrhunderte gewachsen, leider nicht kontinuierlich. In regelmäßigen Abständen übten sich unsere Vorfahren im Kriegshandwerk. Das führte dazu, dass Stadtplaner immer wieder die Gelegenheit erhielten, von vorn zu beginnen. Manchmal fiel diesen kriegerischen Auseinandersetzungen auch der Stadtplaner zum Opfer. Heute muss man bis zu dessen Pensionierung warten. Stadtplaner in Deutschland sind nicht gerade sehr einfallsreich. Kleinere Städte und Ortschaften in einer bestimmten Region sehen sich sowieso sehr ähnlich. Selbst die Kirchen, oftmals das einzig nennenswerte Bauwerk, machen da keine Ausnahme.
Deutschlands größte Stadt Berlin bringt es gerade mal auf etwas mehr als drei Millionen Einwohner. Das ist für Deutschland sehr groß. Die Mehrzahl der Deutschen hat es von jeher vorgezogen in kleinen bis mittleren Städten zu wohnen und davon gibt es eine ganze Menge, was bei einer Einwohnerzahl von 80 Millionen bedeutet, dass sie ziemlich eng beieinander liegen. Wer heute in bestimmten Teilen Deutschlands unterwegs ist, hat den Eindruck, dass Dörfer und Städte nahtlos ineinander übergehen. Es gibt Regionen, da stehen Ortsausgangs- und -eingangsschild von zwei Gemeinden direkt nebeneinander. Die Reisedauer zwischen zwei Orten dauert oftmals nur wenige Minuten. Deshalb haben die Deutschen auch ein sehr eigenwilliges Entfernungsgefühl entwickelt. Ist der Weg zum nächsten Supermarkt länger als zwei Kilometer, wird das als unzumutbar eingestuft. Die Bewältigung einer 100 km-Distanz