Winnetou Band 2. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772039
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Sekretär hat sie mir unter dem Siegel der

       Verschwiegenheit mitgeteilt. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich stets des besonderen Vertrauens

       derjenigen erfreue, welche zeitweilig bei mir wohnen.«

       »Das glaube ich Ihnen. Ihre feinen Manieren, Ihre zarten Umgangsformen lassen das als ganz natürlich

       erscheinen,« flunkerte ich mit der größten Unverfrorenheit.

       »O bitte!« meinte sie, trotz der Unbeholfenheit dieser Adulation geschmeichelt. »Die Geschichte hat mich

       fast zu Thränen gerührt, und ich freue mich, daß es dem unglücklichen jungen Manne gelungen ist, noch

       zur rechten Zeit zu entkommen.«

       »Entkommen? Das klingt ja genau so, als ob er verfolgt werde!«

       »Es ist auch wirklich der Fall.«

       17

       »Ah! Wie interessant! Ein so hochbegabter, genialer Dichter, und verfolgt! in meiner Eigenschaft als

       Redakteur, gewissermaßen also als Kollege des Unglücklichen, brenne ich vor Verlangen, etwas Näheres

       zu hören. Die Zeitungen repräsentieren eine bedeutende Macht. Vielleicht wäre es mir möglich, mich

       seiner in einem Artikel anzunehmen. Wie schade, daß Ihnen diese interessante Geschichte nur unter dem

       Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt worden ist!«

       Ihre Wangen röteten sich. Sie zog ein nicht ganz reines Taschentuch, um es im Falle des Bedürfnisses

       sofort bei der Hand zu haben, und sagte:

       »Was diese Diskretion betrifft, Sir, so fühle ich mich jetzt nicht mehr zu ihr verpflichtet, da die Herren

       abgereist sind. Ich weiß, daß man das Zeitungswesen eine Großmacht nennt, und würde ganz glücklich

       sein, wenn Sie dem armen Dichter zu seinem Rechte helfen könnten.«

       »Was in meinen Kräften steht, soll ja ganz gern geschehen; nur müßte ich von den betreffenden

       Verhältnissen unterrichtet sein.«

       Ich muß gestehen, daß es mir Mühe kostete, meine Aufregung zu verbergen.

       »Das werden Sie, denn mein Herz gebietet mir, Ihnen alles mitzuteilen. Es handelt sich nämlich um eine

       ebenso treue, wie unglückliche Liebe.«

       »Das habe ich mir gedacht, denn eine unglückliche Liebe ist das größte, herzzerreißendste,

       überwältigendste Leiden, welches ich kenne.«

       Natürlich hatte ich von Liebe noch nicht die blasse Ahnung.

       »Wie sympathisch Sie mir mit diesem Ausspruche sind, Sir! Haben auch Sie dieses Leiden empfunden?«

       »Noch nicht.«

       »So sind Sie ein glücklicher Mann. Ich habe es ausgekostet bis fast zum Sterben. Meine Mutter war eine

       Mulattin. Ich verlobte mich mit dem Sohne eines französischen Pflanzers, also mit einem Kreolen. Unser

       Glück wurde zerrissen, weil der Vater meines Bräutigams keine Coloured-Lady in seine Familie

       aufnehmen wollte. Wie sehr muß ich also mit dem bedauernswerten Dichter sympathisieren, da er aus

       demselben Grunde unglücklich werden soll!«

       »So liebt er eine Farbige?«

       »Ja, eine Mulattin. Der Vater hat ihm diese Liebe verboten und sich schlauerweise in den Besitz eines

       Reverses gesetzt, in welchem die Dame unterschrieben hat, daß sie auf das Glück der Vereinigung mit

       William Ohlert verzichte.«

       »Welch ein Rabenvater!« rief ich erbittert aus, was mir einen wohlwollenden Blick von der Dame eintrug.

       Sie nahm sich das, was Gibson ihr weisgemacht hatte, mächtig zu Herzen. Gewiß hatte die sprachselige

       Lady ihm von ihrer einstigen unglücklichen Liebe erzählt, und er war mit einem Märchen bereit gewesen,

       durch welches es ihm gelang, ihr Mitgefühl zu erregen und die Plötzlichkeit seiner Abreise zu erklären.

       Die Mitteilung, daß er sich jetzt Clinton nenne, war mir natürlich von der größten Wichtigkeit.

       »Ja, ein wahrer Rabenvater!« stimmte sie bei. »William aber hat ihr seine Treue bewahrt und ist mit ihr

       bis hierher entflohen, wo er sie in Pension gegeben hat.«

       »So kann ich doch noch nicht ersehen, warum er New Orleans verlassen hat.«

       »Weil sein Verfolger hier angekommen ist.«

       »Der Vater läßt ihn verfolgen?«

       »Ja, durch einen Deutschen. O, diese Deutschen! Ich hasse sie. Man nennt sie das Volk der Denker, aber

       lieben können sie nicht. Dieser erbärmliche Deutsche hat sie, mit einem Reverse in der Hand, von Stadt

       zu Stadt bis hierher gejagt. (Ich mußte innerlich lachen über die Entrüstung der Dame gegen einen Herrn,

       mit dem sie soeben recht gemütlich verkehrte.) Er ist nämlich Polizist. Er soll William ergreifen und nach

       New York zurückbringen.«

       »Hat der Sekretär Ihnen diesen Wüterich beschrieben?« fragte ich, gespannt auf weitere Mitteilungen

       über mich selbst.

       18

       »Sehr genau, da ja anzunehmen ist, daß dieser Barbar die Wohnung Williams entdecken und zu mir

       kommen wird. Aber ich werde ihn empfangen! Ich habe mir schon jedes Wort überlegt, welches ich zu

       ihm sagen werde. Er soll nicht erfahren, wohin sich William gewendet hat. Ich werde ihn grad nach der

       entgegengesetzten Richtung schicken.«

       Sie beschrieb nun diesen ›Barbaren‹ und nannte auch seinen Namen - - es war der meinige, und die

       Beschreibung stimmte sehr gut, wenn sie auch in einer für mich sehr wenig schmeichelhaften Weise

       vorgetragen wurde.

       »Ich erwarte ihn jeden Augenblick,« fuhr sie fort. »Als Sie mir gemeldet wurden, glaubte ich, er sei es

       bereits. Aber ich hatte mich glücklicherweise getäuscht. Sie sind nicht dieser Verfolger der Liebenden,

       dieser Räuber süßesten Glückes, dieser Abgrund von Unrecht und Verrat. Ihren treuherzigen Augen sieht

       man es an, daß Sie in Ihrer Zeitung einen Artikel bringen werden, um den Deutschen niederzuschmettern

       und die von ihm Gejagten in Schutz zu nehmen.«

       »Wenn ich das tun soll, was ich allerdings sehr gern möchte, so ist es freilich notwendig, zu erfahren, wo

       William Ohlert sich befindet. Ich muß ihm jedenfalls schreiben. Hoffentlich sind Sie über seinen

       gegenwärtigen Aufenthalt unterrichtet?«

       »Wohin er gereist ist, das weiß ich allerdings; aber ich kann nicht sagen, ob er sich noch dort befinden

       wird, wenn Ihr Brief ankommt. Diesen Deutschen hätte ich nach dem Nordwesten geschickt. Ihnen aber

       sage ich, daß er nach dem Süden ist, ins Texas. Er beabsichtigte, nach Mexiko zu gehen und in Veracruz

       zu landen. Aber es war kein Schiff zu haben, das sofort die Anker lichtete. Die Gefahr drängte zur

       größten Eile, und so fuhr er mit dem ›Delphin‹, welcher nach Quintana bestimmt war.«

       »Wissen Sie das genau?«

       »Ganz sicher. Er hatte sich zu beeilen. Es gab grad noch Zeit, das Gepäck an Bord zu bringen. Mein

       Portier hat das besorgt und ist an Deck gewesen. Dort sprach