Karl May
Winnetou Band 2
Winnetou ist die wohl berühmteste Gestalt aus den gleichnamigen Romanen des deutschen Autors Karl May (1842–1912).
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Inhaltsverzeichnis
I. Als Detektive
Kaum ist der erste Band von Winnetou ausgegeben worden, so gehen von den Lesern desselben schon
zahlreiche Fragen nach dem weiteren Verlaufe der Ereignisse bei mir ein. Dieser wurde ein ganz anderer,
als ich damals dachte.
Wir kamen nach einem wahren Parforceritte an die Mündung des Rio Boxo de Natchitoches, wo wir
erwarteten, einen von Winnetou zurückgelassenen Apachen vorzufinden. Leider ging diese Hoffnung
nicht in Erfüllung. Freilich Spuren von Menschen, welche dagewesen waren, fanden wir, aber was für
welche! Nämlich die Leichen der beiden Traders, welche uns Auskunft über das Dorf der Kiowas
gegeben hatten. Sie waren erschossen worden, und zwar von Santer, wie ich später durch Winnetou
erfuhr.
Santers Kanoefahrt war so rasch vor sich gegangen, daß er die Mündung des genannten Flusses zugleich
mit den Händlern erreicht hatte, obgleich diese eher als er das Zeltlager Tanguas verlassen hatten. Er war
gezwungen gewesen, auf die Nuggets Winnetous zu verzichten, und also mittellos; da stachen ihm die
Waren der Traders in die Augen, und um sich derselben zu bemächtigen, erschoß er die zwei
ahnungslosen Männer, höchst wahrscheinlich aus dem Hinterhalte. Hierauf machte er sich mit ihren
Mauleseln aus dem Staube. Dies las Winnetou aus den Spuren, welche er bei seiner Ankunft an der
betreffenden Stelle vorfand.
Der Mörder hatte sich nichts Leichtes vorgenommen, denn der Transport so vieler Packtiere über die
Savanne ist für einen einzelnen Menschen mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Dazu kam, daß er zur
größten Eile gezwungen war, weil er die Verfolger hinter sich wußte.
Unglücklicherweise trat ein mehrtägiger Regen ein, welcher alle Spuren verwischte, so daß Winnetou
sich nicht mehr auf sein Auge, sondern nur auf Kombinationen verlassen konnte. Höchst wahrscheinlich
hatte Santer, um seinen Raub zu verwerten, eine der nächstliegenden Niederlassungen aufgesucht, und so
blieb dem Apachen nichts anderes übrig, als diese Ansiedelungen nacheinander abzureiten.
Erst nach einer Reihe von verlorenen Tagen fand er auf Gaters Faktorei die verschwundene Spur wieder.
Santer war dagewesen, hatte alles verkauft und sich ein gutes Pferd erworben, um auf der damaligen Red
River-Straße nach dem Osten zu gehen. Winnetou verabschiedete alle seine Apachen, die ihm nun nur
hinderlich sein konnten, schickte sie in ihre Heimat zurück und nahm die weitere Verfolgung nun allein
auf. Er hatte genug Goldkörner bei sich, besaß also die nötigen Mittel, im Osten längere Zeit existieren zu
können.
Da er uns infolgedessen am Natchitoches keine Weisung hinterlassen hatte, wußten wir nicht, wo er sich
befand, konnten ihm also nicht folgen und wendeten uns nach dem Arkansas hinüber, um auf dem
geradesten Landwege nach St. Louis zu kommen. Es tat mir außerordentlich leid, den Freund jetzt nicht
wiedersehen zu können, doch dies zu ändern, lag ja nicht in meiner Macht.
Es war eines Abends, als wir nach langer Reise in St. Louis ankamen. Ganz selbstverständlich suchte ich
sofort meinen alten Mr. Henry auf. Als ich in seine Werkstatt trat, saß er bei der Lampe an der Drehbank
und überhörte das Geräusch, welches ich beim Öffnen der Tür verursacht hatte.
» Good evening, Mr. Henry!« grüßte ich, als ob ich erst gestern zum letztenmal bei ihm gewesen sei.
»Seid Ihr mit dem neuen Stutzen bald im Geschick?«
Bei diesen Worten setzte ich mich auf die Ecke der Bank, grad so, wie ich es früher oft getan hatte. Er
fuhr von seinem Sitze auf, starrte mich eine Weile wie abwesend an und schrie dann vor Freude förmlich
auf.
3
»Ihr - Ihr - - Ihr seid es? Ihr seid da? Der Hauslehrer--der - - der Surveyor -- der - - der - der verteufelte
Old Shatterhand!«
Dann warf er seine Arme um mich, zog mich an sich und küßte mich wiederholt hüben und drüben auf
die Wangen, daß es nur so klatschte.
»Old Shatterhand! Woher kennt Ihr diesen Namen?« fragte ich, als der Ausdruck seiner Freude ruhiger
geworden war.
»Woher? Das fragt Ihr noch? Es wird ja überall von Euch erzählt, Ihr Schwerenöter! Seid ein Westmann
geworden, wie er im Buche steht! Mr. White, der Ingenieur von der nächsten Sektion, war der erste,
welcher Nachricht brachte; war voll des Lobes über Euch; das muß ich sagen. Die Krone hat Euch
Winnetou aufgesetzt.«
»Wieso?«
»Hat mir alles erzählt - alles!«
»Was? Wie? War er denn da?«
»Natürlich war er da - natürlich!«
»Wann denn, wann?«
»Vor drei Tagen. Ihr hattet ihm von mir erzählt, von mir und dem alten Bärentöter, und da konnte er nicht
hier sein, ohne mich zu besuchen. Hat mir wohl gesagt, was für ein Westmann Ihr geworden seid.
Büffelbulle, Grizzlybär und so weiter, und so weiter! Habt sogar die Würde eines Häuptlings erhalten!«
In diesem Tone ging es noch lange Zeit fort, und es half nichts, daß ich ihn verschiedene Male unterbrach.
Er umarmte mich wieder und immer wieder und freute sich riesenhaft darüber, daß er es gewesen war, der
meinem Lebenswege die Richtung nach dem wilden