Der Wunderschönste Zufall. Marcel Schmeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marcel Schmeyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750235182
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Atem.

      “Du machst sicher nur Witze. Warum solltest du das vorhaben?”, fragte Lara entsetzt.

      “Du denkst vielleicht, ich hätte nur weggeschaut, seit es die Menschen gibt”, fing Gott an zu erzählen: “Aber ich habe es gesehen, und ich sehe es noch immer. Deutlicher als es mir lieb ist. Ich sehe, wie sehr die Menschen leiden, Tag für Tag. Ich sehe Menschen, die das verlieren, das sie am meisten brauchen, und welche Schmerzen es ihnen zufügt. Ich sehe Menschen, die gefoltert werden bis sie aufzugeben bereit sind. Ich sehe Menschen, die alle Hoffnung verloren haben und sich so sehnlichst wünschen, dass alles endlich endet. Ich sehe Menschen, die so schrecklich verzweifelt sind, dass sie anderen Wesen diese Dinge antun. All das sehe ich jeden Tag überall auf der Erde und obwohl Gnade zu gewähren nicht in meiner Natur liegt, muss sich mir einfach die Frage stellen, warum ich sie nicht alle erlösen sollte.”

      Ein Windhauch wehte Laras Haare sanft über ihr Gesicht. Gott sah eine Spinne auf der Bank krabbeln und hielt ihr einen Finger hin. Das Tier machte einen großen Bogen um den Finger als hätte es fürchterliche Angst davor.

      “Warum siehst du das?”, fragte Lara entzürnt.

      “Na, ich bin Gott”, sagte Gott etwas verwundert über Laras Frage.

      “Nein, ich meine, warum siehst du nur das?”, fuhr Lara fort: “Wieso siehst du nur die ganzen negativen Dinge, huh? Warum nicht all das Glück, all die Liebe und all die Freude, die ebenso jeden einzelnen Tag verspürt werden, von Menschen überall auf der Welt? Wie kann Gott bitte eine so negative Sicht auf das Leben haben?”

      Gott schien tatsächlich kurz darüber nachzudenken. Er zerquetschte die Spinne und sprach: “Eben dafür hab ich mich dir offenbart. Du sollst mir erklären, warum so viele Menschen nicht aufgeben und so erbittert am Leben festhalten.”

      “Ich soll dir erklären…? Man, überhaupt kein Druck oder so. Wenn ich versage, wird ja auch nur die Menschheit ausgelöscht.”, meinte Lara und begann zu schwitzen.

      “Ja, so ungefähr könnte man es ausdrücken”, sagte Gott und wirkte amüsiert: “Keine Angst, ich lasse dir auch genug Zeit und höre aufmerksam zu.”

      Lara seufzte angesichts der Situation, in der sie nun steckte. Natürlich hatte sie Angst, Gott könnte am Ende die Menschheit vernichten. Dass sie dann eine Mitschuld trug, beunruhigte sie seltsamerweise mehr, als der Gedanke, dass dann sie und jeder den sie kannte für immer verschwunden wären.

      “Ich kann dir nicht erklären, wie wertvoll das Leben ist”, sagte Lara zu Gottes großer Überraschung. Sie ließ die Möglichkeit, zur Rettung der Menschheit beizutragen, einfach aus?

       “So etwas muss man selbst erleben”, sprach Lara und lächelte: “Ich werd dir das Leben zeigen.”

      Kapitel 5 Ich sitze im Park und führe ein Gespräch über das Leben

      “Wo fangen wir an?”, fragte Gott neugierig.

      Lara dachte nach. Sie dachte lange nach; so lange wie bei der letzten Physikklausur.

      “Also...bei...wie wär's mit…”, stammelte sie.

      “Ja?”, fragte Gott ungeduldig.

      “Man, das ist gar nicht so einfach”, rechtfertigte sich Lara und entschied sich, einfach ihr Herz zu fragen: “Ähm, sag mal, kannst du eigentlich Liebe empfinden, so als Gott? Das ist zwar irgendwie total klischeehaft und ultra kitschig, aber du kannst nicht den Wert eines Menschenlebens verstehen, ohne Liebe zu kennen.”

      Lara fragte sich wirklich, ob es irgendetwas gab, das Gott Glück schenkte. Als sie ihn noch für den ganz gewöhnlichen Jungen Leon hielt, machte er schon den Eindruck, er könne menschliche Emotionen empfinden. Aber warum wollte er dann alles beenden?

      “Ich glaube nicht”, sagte Gott nur.

      “Wenn du dir nicht sicher bist, dann kennst du wahre Liebe auch nicht. Wie traurig”, sagte Lara und bemerkte, dass sie gerade Mitleid mit dem wohl mächtigsten Wesen im Universum hatte.

      “Ich fand es nie traurig”, meinte Gott und hörte sich fast ein wenig beleidigt an.

      “Was macht dich denn glücklich?”, wollte Lara wissen: “Ich meine, du kannst doch nicht Milliarden von Jahren existieren und nichts empfinden. Was hat dich motiviert, weiterzuleben?”

      “Ich weiß nicht genau”, sprach Gott: “Lange Zeit habe ich nur zerstört. Das schien mir so etwas wie eine Aufgabe zu sein, auch wenn es mir im Nachhinein nicht besonders sinnvoll erscheint. Dann irgendwann erschuf ich die Welt und sah, wie sie sich entwickelte. Und ich fand es spannend. Ich spürte etwas wie Neugier, also beobachtete ich weiter, was passieren würde. Leben entstand; nicht so welches, wie das meine, aber doch war es Leben. Später dann hatte ich plötzlich das erste Mal Angst. Angst, dieses Leben könnte sich selbst wieder beenden und würde mich wieder alleine in der Welt lassen. Aber ich war mir sicher, ein Grund für mein weiteres Dasein würde sich schon finden.”

      “Man, dass dir in dieser Unendlichkeit nie langweilig wurde”, meinte Lara: “Nun, wir Menschen amüsieren uns anders. Wir erschaffen keine Welten.”

      Neugier blitzte in Gottes Augen auf. Anscheinend war er nicht allwissend.

      “Was macht ein Mensch denn, wenn er sich amüsieren will? Jahrmarkt? Laser Tag?”, fragte Gott.

      “Woher kennst du denn Laser Tag?”, fragte Lara verblüfft.

      “Nun, bevor ich dich traf, habe ich schon hier und da die Menschen beobachtet. Schnell lernte ich ein paar Sprachen und ich eignete mir sogar Humor an. Ich schnappte viele Geschichten auf, die ihr euch erzählt. Irgendwann passte ich mich so sehr an, dass ich sogar die Gestalt eines Menschen annahm, wer hätte das gedacht?”

      “Dann ist es also genau umgekehrt”, sagte Lara leise vor sich hin.

      “Was meinst du?”, fragte Gott. Man, war Lara froh, dass er anscheinend keine Gedanken lesen konnte.

      “Naja”, sagte Lara: “Es heißt doch immer, Gott habe die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen, aber tatsächlich hat er sein Aussehen den Menschen angepasst. Verrückt.”

      Gott musste lachen. Lara hatte gerade Gott zum Lachen gebracht, das musste doch was wert sein. Soll Philipp nochmal erzählen, er sei der Witzigere.

      “Ja, ich habe einige eurer Geschichten über Gott gehört”, sprach Gott amüsiert. Nun, wenn man die Wahrheit kennt, ist es wirklich amüsant, dachte sich Lara.

      “Magst du die Geschichten, die du hörst?”, fragte Lara: “Nicht die über Gott oder so, sondern die, in denen es um Menschen geht.”

      “Ich kann zumindest verstehen, warum ihr euch einige davon erzählt”, antwortete Gott und schien zu versuchen, sich an Geschichten zu erinnern: “Es ist unterhaltsam, ihnen zu lauschen.”

      “Nun, und einige dieser Geschichten erinnern uns an das Leben. Sie haben herzzerreißend schöne Momente, zu Tränen rührend traurige Momente und Momente, in denen wir einfach froh sind, da zu sein. Und da ist es egal, ob die Geschichten voller atemberaubender Magie, voller fantastischer Technik oder einfach voller faszinierender Menschen sind; denn immer kommen Liebe darin vor, oder Freundschaft oder das Überkommen der eigenen Schwächen. All die Dinge, die eine gute Geschichte ausmachen, aber auch ein gutes Leben.”

      Lara redete gerne, aber selten kam etwas aus ihrem Mund, das sie für so weise und clever hielt. Wahrscheinlich weil sie vorher nie jemandem das Leben erklären musste.

      “Das macht mich neugierig”, meinte Gott gelassen: “Aber eigentlich wolltest du mir doch erklären, was du machst, um dich zu amüsieren.”

      Lara bemerkte, wie schnell sie vom Thema abgekommen waren. Auch fand sie, dass Gott ein besserer Gesprächspartner war als die meisten Menschen. Und er hat nie jemanden zum Reden gehabt.

      “Nun, es wäre schwierig gewesen, dir Sachen wie die Liebe und so ein Gedöns zu