Ohne weitere Worte zog der Chavala ein Dossier aus dem Schreibtisch und schmiss es in Richtung Layla. Die fing es geschickt auf. Der Teniente machte ein ungeduldiges Zeichen mit der Hand, fast so, als ob Layla seiner Meinung nach das Dossier schon aufgeschlagen und gelesen haben sollte. Layla schlug das Dossier tatsächlich auf, wurde blass und ließ es fast fallen. Gerade konnte sie noch verhindert, dass sie ihre Hände entsetzt vor den Mund hielt. Aus dem Augenwinkel sah sie jedoch das sadistisch anmutende Grinsen von Marco Chavala und deshalb zwang sie sich zur Beherrschung. Sie sah wieder ins Dossier. Dort war ein riesiges Farbfoto von der toten Blondine zu sehen. Laylas Mageninhalt wollte sich selbständig machen. Wie konnte so etwas nur geschehen? Sie war als Journalistin ja einiges gewohnt, aber dieses Bild war so furchtbar, dass es sie zu tiefst erschütterte.
Die Frau war nur noch mit Mühe als solche zu erkennen. Wie sie es hinbekommen hatten, daraus ein brauchbares, das heißt erkennbares Photo für die Zeitung zusammenzustellen, war Layla ein Rätsel. Es gab wohl keinen Quadratzentimeter an ihrem Körper, der nicht blutete. Der Körper war vom Unterleib bis zum Brustansatz regelrecht aufgefetzt. Die Kehle wurde ihr herausgerissen, sodass der Kopf nur noch mit wenigen Zentimeter Haut mit dem Torso verbunden war. Das rechte Bein lag in unnatürlichen Winkel fast senkrecht neben dem Körper. An den Händen und Unterarmen hatte sie schreckliche Wunden, fast so, also ob sie die Hände zum Schutz ausgesteckt hatte und direkt in ein Rührwerk gefallen wäre. An beiden Seiten des Oberkörper waren tiefe Löcher, fast so, als wäre sie dort mit einem Fleischerhacken fixiert worden, bevor ihr der Körper zerfleischt wurde.
„Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass ich so etwas getan haben könnte?“
„Warum nicht. Wenn Sie wüssten, was ich schon alles gesehen habe in meiner langen Laufbahn. Ich hoffe, Sie haben ihre Zahnbürste mitgebracht, denn es kann etwas länger dauern, bis Sie dieses Gebäude wieder verlassen!“
„Ich bürge für sie!“
Erschrocken drehte sich Layla zur Tür um, wo der Sprecher stehen sollte. Vor ihr stand… Pater Bishop! Laylas Herz machte trotz der prekären Lage, in der sie sich befindet einen Doppelschlag auf einmal und eine wollige Wärme breitete sich in ihr aus. Beschämt schlug Layla die Augen nieder. Sie war im Begriff, sich in einen Priester zu verlieben. „Mensch, reiß Dich zusammen!“ rief sich Layla selbst zur Ordnung.
„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“
„Ich bin Pater Mark Bishop, Stellvertretender Leiter des Convento Santo José!“
„Und was haben Sie mit der Frau zu tun!“
„Sie steht unter meinem persönlichen Schutz!“
„Aha, und das soll mich beeindrucken!“
„Teniente Chavala, jetzt hören Sie mir mal genau zu. Sie wissen genau so gut, wie ich, dass diese Frau nichts mit dem Tod des bedauernswerten Opfers zu tun hat. Also lassen wir die Spielchen! Dagegen weiß ich ganz genau, wer sie gefördert hat, dass sie überhaupt in diese Position kommen konnten. Ich weiß auch ganz genau, dass dies eigentlich gar nicht ihr Büro ist und dass sie heute Morgen einen Anruf erhalten haben, der ihnen mitteilte, dass sie hier heute morgen nach dieser Frau Ausschau halten sollten und sie gleich hier einschüchtern sollten!“
Der Teniente war leichenblass geworden und bestätigte damit die Richtigkeit der Aussage. Trotzdem wollte er nicht so leicht aufgeben und schrie, dass ihm die Speichelfäden aus dem Mund spritzten:
„Ich werde Sie alle beide festnehmen lassen. Das werden wir sehen, wer hier am längeren Hebel sitzt!“
Pater Bishop ignorierte ihn jedoch total. Er wusste, dass er gewonnen hat. Er legte Layla die Hand auf die Schulter und sagte sanft:
„Kommen Sie, Layla, ich glaube wir sind hier fertig!“
Layla spürte eine ohnmächtige Wut in sich. Am liebsten hätte sie einen Knüppel genommen und die Scheiße aus diesem korrupten Scheißkerl vor ihr geprügelt. Solche Individuen waren schuld am schlechten Image der Mexikanischen Bürokratie. Der Pater schien ihre Wut zu spüren und bevor Layla was Dummes tun konnte, dass sie später bereuen würde, schob er sie aus dem Büro. Dabei wurden sie nicht aufgehalten. Niemand schien Notiz von ihnen zu nehmen. Ganz im Gegenteil. Die Leute schienen ihren Blicken geradezu auszuweichen.
Draußen angekommen stießen die beiden fast mit Lupi und Daniel zusammen. Als sie die immer noch leicheblasse Layla sahen, war ihnen der Schock ins Gesicht geschrieben und sie wollten Layla auch gleich mit Fragen bestürmen. Aber das musste noch warten. Der Pater schuldete ihr noch einige Erklärungen. Deshalb hob sie abweisend die Hand in Richtung der beiden und sagte:
„Pater, woher wussten Sie, dass ich hier bin?“
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich immer in Ihrer Nähe sein werde!“
„Und woher wusste Sie all die Dinge von Teniente Chavala!“
„Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Marco Chavala ist das Verbindungsglied von Sergio Alcazar zur Polizei. Immer wenn es etwas zu vertuschen gibt, dann taucht er plötzlich auf!“
„Und was gibt es jetzt zu vertuschen?“
„Ist das nicht offensichtlich?“
„Der Tod der Frau!“
„Genau!“
„Warum sollte mir der Mord angehängt werden?“
„Das war nicht die Absicht. Nicht mal hier in Mexiko kann so eine lächerliche Anklage aufrechterhalten werden. Es soll Ihnen nur Angst eingejagt werden!“
„Das wird denen nicht gelingen. Ich werde am Ball bleiben. Jetzt erst Recht! Jetzt geht es schon um wahrscheinlich zwei Tode, wobei ich immer noch hoffe, dass Mercedes noch am Leben ist!“
„Das wird sie wohl nicht mehr sein, aber Sie haben sich da drinnen wirklich ausgezeichnet gehalten. Grosses Kompliment!“
Layla musste jetzt letztendlich doch lächeln. Das Kompliment des Paters hatte ihr gut getan. Lange blieb das Lächeln aber nicht auf ihrem Gesicht, dafür war die ganze Situation einfach zu grausam und traurig. Sie fragte den Pater:
„Wissen Sie, was mit der armen Frau passiert ist!“
„Ja, aber Sie würden es mir nicht glauben!“
„Versuchen Sie es!“
„Aha, haben Sie sich also der ungewohnten Situation also schon etwas mehr geöffnet. Das letzte Mal haben Sie mich noch weggejagt, wie einen räudigen Hund!“
Layla war peinlich berührt. Sie war wirklich unfair dem Pater gegenüber gewesen, der ihr ja offensichtlich nur helfen wollte. Aber bis zum gestrigen Abend konnte sie sich viele Dinge noch nicht einmal vorstellen, die sich mittlerweile in ihrem Kopf als mögliche Wahrheit manifestierten.
„Entschuldigen Sie bitte mein Verhalten von gestern! Es war unfair.“
„Schon gut. Ich verstehe Sie ja. Also ich bin überzeugt davon, dass die Frau ein Opfer von Antonio Gonzales López wurde. Eigentlich wolle er ja Sie, aber als Sie ihm entwischt sind, da konnte er seinen Hunger nicht mehr kontrollieren und ist über die Frau hergefallen!“
„Meinen Sie, dass wenn ich mit Antonio Gonzales López gefahren wäre, wäre ich so geendet!“
„So, oder ähnlich. Aber erst wären Sie Sergio Alcazar vorgeführt worden!“
Layla wurde wieder leichenblass. Sich nur vorzustellen, dass sie die Frau auf dem Foto gewesen wäre, ließ sie leicht schwanken. Daniel stützte sie ab und sah Pater Bishop vorwurfsvoll an. Oh, die Armen wussten ja noch nicht, um was es ging, also stellte Layla den Pater