Layla wollte dies Pater Bishop gerade sagen, als ihr Handy viermal piepte, was eine einkommende SMS oder MMS ankündigte. Sie drückte auf den Empfangs – Knopf und das Handy lud das Bild. Als das Bild dann auf dem Display sichtbar wurde, ließ Layla das Handy vor Schreck beinahe fallen. Bestie war fast noch untertrieben für das Monster, das auf dem Bild zu sehen war. Zu sehen war der fellbewachsene Kopf eines wolf- oder hundeähnlichen Tieres. Es konnte aber auch eine große Wildkatze sein. Nur so sah kein ihr bekanntes Tier aus. Das vorderste Merkmal der Bestie war die Schnauze. Die überlangen Fangzähne waren gefletscht. Es sah fast so aus, als ob die ganze Schnauze nur aus Fangzähnen bestehen würde. Nein, es sah eher aus, als ob das ganze Bild nur aus Fangzähnen bestehen würde. Es schien fast so, als ob die Bestie jeden Moment aus dem Bild springen und zubeißen konnte. Das Fell war beige bis schmutzig braun und struppig. Es war sicher kein Fell, das man kraulen möchte. Fast genau so schlimm, wie die Zähne waren die Augen. Sie schienen durch das Bild direkt in Laylas Seele zu blicken und hinterließen dort eine triste Winterlandschaft. Trotz der stickigen Hitze im Flughafengebäude begann sie zu frieren. Die Augen waren in einem verwaschenem Ockergelb an den Rändern waren sie fast braun. Die Form der Augen sah eher aus, wie bei einer Katze, als wie bei einem Hund. Die schlitzartigen Pupillen ließen auf eine gute Nachtsichtigkeit schließen.
„Das Bild der Bestie. Es ist das Zeichen von Sergio Alcazar. Er hat Mercedes holen lassen!“
„Oder sie selbst geholt. Er war in Basel.“
„Waaaaaas? Sergio Alcazar war selbst in Basel? Er muss dem Verschwinden von Mercedes und ihrem Treffen mit Ihnen sehr viel Wichtigkeit eingeräumt haben. Oder, aber…nein, das kann nicht sein!“
„Was kann nicht sein!“
„Layla lassen sie mich bitte diesen Gedanken erst noch mal überdenken und einige Dinge abklären. Ich verspreche Ihnen, dass ich es Ihnen erzähle, wenn ich Klarheit habe!“
Layla sah Pater Bishop misstrauisch an, aber sie merkte, dass sie im Moment wohl nicht weiterkam, wenn sie nachbohrte, also ließ sie es vorerst dabei bewenden, aber eines war klar, sie würde da irgendwann eine Erklärung einfordern.
„Was ist das für eine Bestie?“
„Es ist ein Werwolf“
„Sie glauben doch nicht, dass ich diesen mythologischen Unsinn glaube. Werwölfe gibt es nur in Legenden und unlogischen, billigen Hollywood Filmen!“
„Und in Aguas Verdes“
„Pater, jetzt habe sie das letzte Restchen Vertrauen, dass ich noch zu Ihnen hatte, verspielt. Es gibt keine Werwölfe, oder wollen Sie mir jetzt auch noch erklären, dass Sergio Alcazars Neffe Graf Dracula ist?“
„Es gibt viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir uns auch nur annähernd vorstellen können. Warum sind wir Menschen immer so selbstherrlich, dass wir glauben, schon alles zu kennen, alles zu wissen? Wir wissen noch nicht mal 0,1% von dem, was tatsächlich um uns herum stattfindet. Übrigens: Graf Dracula gab es wirklich, aber er war kein Vampir. Layla um Gottes Willen, glaube mir. Dein Leben hängt davon ab!“
„Und wie soll ich mich dann schützen? Etwa mit Silberkugeln?“
„Das würde nichts nützen. Es schwächt sie zwar, aber sie erholen sich dann auch genau so schnell wieder. Auch Weihwasser ist Bullshit. Das tut ihnen nur kurz weh, macht sie dann aber nur noch wütender. Es gibt nichts, dass einen Werwolf aufhalten, geschweige denn zerstören kann! Nur wenn Du ihn in seiner menschlichen Gestalt antriffst, hast Du überhaupt eine Chance, zu überleben. In der menschlichen Gestalt kann er auch verletzt, aber ebenfalls nicht getötet werden. Die Wunden heilen schnell wieder.“
„Pater, jetzt hören Sie mir mal genau zu. Ich weiß nicht, warum sie sich über mich lustig machen wollen. Ich kann mir auch nicht erklären, warum sie mich aus der Story rausekeln wollen. Mercedes hat mich nun einmal mit hineingezogen und ich werde bestimmt nicht einfach aufgeben, bevor ich etwas herausgefunden habe. Ich werde mich in Aguas Verdes umsehen und zwar alleine. Punkt. Da gibt es keine Diskussion! Ich werde Sergio Alcazar interviewen. Ich habe sein Wort, dass er mich nicht hindern wird!“
„Ich sehe, ich kann Dich nicht aufhalten. Ich hoffe, ich unterschreibe nicht Dein Todesurteil, aber ich gebe Dir meinen Segen. Ich werde niemals weit von Dir entfernt sein, ich kann Dir aber nur bedingt helfen. Einen Tipp gebe ich Dir jedoch. Wenn Du in Aguas Verdes bist, nehme mit Ana Maria Kontakt auf!“
„O.K. Wie kann ich diese Ana Maria finden?“
„Ich lasse sie wissen, dass Du kommst. Sie wird Dich finden!“
Layla schaute dem Pater nochmals tief in die eindrucksvollen Augen. Es war tiefe Sorge, vielleicht sogar Traurigkeit darin zu sehen. Sorge um sie? Wie gerne würde sie dem Pater trauen. Wie gerne würde sie einfach nur mit ihm gehen, ihm die Führung überlassen. Aber alles in ihr weigerte sich, an Werwölfe zu glauben. Diese mythologischen Wesen konnte es einfach nicht geben. Nicht in dieser modernen, aufgeklärten Welt. Layla nahm ihr Gepäck und machte sich auf den Weg in Richtung Busbahnhof. Als sie sich nochmals umdrehte, war Pater Mark Bishop verschwunden. Layla spürte, wie sie dieses Verschwinden zu tiefst bedauerte.
*
Natürlich war es am Busbahnhof genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Hunderte gestresste Personen auf dem Weg, den richtigen Bus zu finden. Schreiende Kinder, wütende Väter, heulende Mütter. Alte, gebrechliche Greise, die schienen, als würden sie sich am liebsten hinlegen und sterben. Lachende, lärmende Jugendliche. Es war ein totales Chaos. Ein Jugendlicher schrie ihr auf Spanisch zu:
„Hey mamacita, ¿porque tan solita? ¿No necesitas un guarda espaldas?“ Hey, Baby (eigentlich „Mütterchen“, was aber hier als Anmache zu verstehen war), warum so alleine, brauchst Du keinen Bodyguard.
„Si no desapareces ahora mismo, tu mismo vas a necesitar un guarda espaldas“ Wenn Du nicht augenblicklich abhaust, brauchst Du selbst einen Bodyguard.
Seine Freunde lachten, während der junge Möchtegern – Gigolo rot wurde. Endlich hatte Layla die Schlange vor dem Bus nach Puebla gefunden. Der Schaffner war schon am Einchecken. Layla bekam noch einen guten Platz ungefähr in der Mitte des Busses. Jetzt wollte sie nur noch schlafen. Zwei Stunden Fahrt lagen vor ihr bis Puebla. Sie freute sich auf die Geburtsstadt ihres Vaters. Für sie war es eine der schönsten Städte der Welt. Ganz besonders das Zentrum, mit den berühmten Azulejos, den wunderschönen blauen Kacheln, mit denen die Häuser dort geschmückt waren. Ganz besonders freute sie sich aber auf ihre Großmutter, bei der sie die erste Nacht übernachten wollte. Sie hatte ihre Großmutter seid dem Tod ihres Vaters vor fünf Jahren nicht mehr gesehen. Er war bei einem Besuch in Monterrey im Norden von Mexiko in die Schiesserei zwischen zwei verfeindeten Drogenkartellen geraten und dabei getötet worden. Ihre Mutter hatte diesen Verlust niemals überwunden und war ihrem Mann ein Jahr später gefolgt. Da sie keine Geschwister hatte, kämpfte sich seither Layla alleine durchs Leben. Dabei war die Arbeit ihr Ein und Alles. Da war sie mit vollen Herzen und mit all ihrer Seele dabei. Gut, es hatte auch schon Liebhaber gegeben, aber, wie gesagt, den einen „Richtigen“ hatte sie dabei noch nicht getroffen. Männer taten immer so stark, dabei waren sie eigentlich unglaublich schwach. Und wenn sie auf eine so starke Persönlichkeit, wie Layla trafen, dann zogen sie sehr schnell, den Schwanz ein und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Layla merkte, wie sie langsam in den Schlaf hinüber glitt. Aber gerade, als sie am Punkt ankam wo sie ganz loslassen konnte, musste sie an Antonio Gonzales López denken. Wie er an ihr gerochen hatte und sie damit in den Alptraum getrieben hatte, wie er sie mit seiner unheimlichen