Der Herr des Krieges Teil 4. Peter Urban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Urban
Издательство: Bookwire
Серия: Warlord
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742788757
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Sein Schwager Pakenham besaß zwar ein paar gute Anlagen, ging aber noch bei Sir Thomas in die Lehre, kämpfte mit dem Handikap, eigentlich Kavallerieoffizier zu sein und ließ sich mehr von Gefühlen als von der Raison leiten. Vielleicht war Ned ja einfach noch zu jung, um schon mit dem Unabwendbaren zu leben! Er wollte die Welt und die Gesetze des Krieges ändern. Er mußte sich die Hörner zuerst abstoßen, dann würde man weitersehen ... Alle anderen Divisionskommandeure konnte man getrost vergessen: Dalhousie und Oswald waren militärische nutzlos, Clinton plagte glücklicherweise ständig seine schwache Gesundheit. Er war zu krank, um Katastrophen und Rohrkrepierer auszulösen ... nichtsdestoweniger, Coles sträfliche Verzögerung in der Übermittlung wichtiger Informationen an sein Hauptquartier ließ Arthur innerlich überkochen: Die Pyrenäenregion war kein übersichtliches Schlachtfeld, wie Salamanca oder Vitoria. Er hatte seinen Divisionskommandeuren strengstens befohlen, mindestens einmal am Tag Kuriere zu ihm zu schicken. Er war, entlang einer 40 Meilen langen und fast 1000 Quadratmeilen großen Front von ihren Informationen abhängig, um seine Entscheidungen treffen zu können. Jede Verzögerung, die ihre Unlust, Unfähigkeit oder Gedankenlosigkeit mit sich brachte, bereitete ihm – sowohl auf der strategischen, als auch auf der taktischen Ebene – größte Schwierigkeiten!

      Das Bastan-Tal und Pamplona lagen in Hills Verantwortung. Trotzdem war es ein Bäuerchen gewesen, das mit einem Korb voll Gemüse zu Miss Mary gelaufen kam, um ihr zusammen mit den Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln das Gerücht zu bringen, daß es am Paß von Maya schon den ganzen Tag über laut zuging und Schüsse durch die Berge krachten. Wellington wußte um dieses Gerücht, denn Mary hatte es Rob erzählt, der war damit zu Jamie Dullmore gelaufen und dieser hatte es Sir George Murray zugetragen, der es ihm selbst schließlich – zwischen Tür und Angel – an den Kopf werfen konnte, noch bevor er Reitumhang und Handschuhe abgelegt hatte. Dieser Informationsweg entsprach nicht so ganz Arthurs Auffassung von lateralen Kommunikationslinien etc. Auch gutgemeinte Gerüchte halfen nicht, wenn es um eine großangelegte Truppenkonzentration ging, die im Falle der Pamplona-Variante auf ein Schlachtfeld direkt vor der belagerten Stadt führen sollte. Der Ire verfluchte innerlich seinen Freund Sir Rowland und die Tatsache, daß keine schriftlichen Mitteilungen der Zweiten Division bis zu diesen späten Stunden des 25. Juli ihren Weg nach Lesaca gefunden hatten. Es war kurz vor Mitternacht! Er konnte nichts tun, außer wie ein Tier, das man in den Käfig gesperrt hatte, in der Küche auf und ab zu laufen, die Wände anzustarren, seine Uhr zu fixieren und ungeduldig abzuwarten.

      Erst um zwei Uhr morgens erlöste Sarahs kleiner Bruder, Lord March, Englands Feldmarschall von seinen Leiden. Er stürmte durch die Tür des Hauptquartiers. Sir Rowland hatte keine Zeit gehabt, eine Depesche zu diktieren. Alles war nur mündlich, aber es waren genau die Worte, die sein General ihm aufgetragen hatte! Der Adjutant sah erbarmungswürdig aus. Er hatte nicht nur die Nachricht durch die Nacht getragen. Er hatte den ganzen Tag über im feindlichen Feuer gestanden. Hill hatte 800 Leoparden verloren und kurzfristig den Paß von Maya aufgeben müssen. Aber eine alliierte Flankenoperation hatte die Adler vertrieben. Die Zweite Division stand in starken und sicheren Stellungen und wartete auf das Morgengrauen.

      Wellington atmete auf. Er ließ sich von Lord March auf der Ferraris-Karte genau zeigen, wo Sir Rowland stand. Dann schickte er den jungen Offizier ins Bett. Generalquartiermeister Murray hatte die ganzen bangen Stunden über dösend am Feuer vor dem Kamin des Wehrturms verbracht. Er war zwar genausonervös, wie Lord Wellington, doch die Müdigkeit hatte ihn schlimmer geplagt als alle Ungewißheiten des Krieges. Arthur riß ihn aus dem Halbschlaf: „Sir George, holen Sie Papier und Feder! Wir müssen die Marschbefehle für die Pamplona-Variante ergänzen. Der Angriff gegen Hill am Paß von Maya ist der eindeutige Beweis dafür, daß Soult San Sebastian nicht entsetzen will, sondern zuerst gegen die Festung im Süden vorrückt!“ Er schickte John Dunn ins Turmzimmer, um den Papierstoß von seinem Arbeitstisch in die Küche zu holen. Dann wurden seine Adjutanten unsanft aus ihren Betten geschmissen und der Kurierdienst sattelte die Pferde. Es hatte sich gelohnt, sorgfältig vorzuplanen. In weniger als 40 Minuten waren die Befehle ergänzt und um drei Uhr morgens machten Campbell und Antonio sich zu den am weitesten entfernten alliierten Divisionen auf den Weg, die Kuriere stoben los, um verstreute Einheiten ausfindig zu machen und auf ihre Positionen zu leiten: Ned Pakenham und die Sechste Division verstärkten Hill. Die Siebte unter Dalhousie schloß sich an Pakenhams Flanke, bei Sumbilla mit der Sechsten zusammen. Die Leichte Division wurde ganz vorne, entlang des linken Bidassoa-Ufers, zwischen San Esteban, Yauci und Lesaca positioniert. Die Spanier erhielten Befehl, den Schlüssel zum Tal des Bastan zu sichern: Sie sollten San Esteban besetzen und verteidigen! Alle Partisaneneinheiten und die 33. Infanterie würden aus der Gegend um Lesaca einen Nachtmarsch ins Tal des Bastan vornehmen und die Verbindung zwischen Hill und der Leichten Division sicherstellen!

      Dann befahl Wellington, man möge seinen Hengst satteln. Nur von Lord Fitzroy Somerset begleitet, verschwand er in der Nacht, um die schwierigste und gefährlichste Schlacht seines Lebens zu schlagen. Der 26. Juli 1813 war kaum vier Stunden alt.

      Kapitel 2 Neun endlos lange Sommertage

      Neun endlos lange Tage hörte man hoch in den Bergen in Lesaca nur das Donnern der Geschütze und den fernen Lärm blutiger Zusammenstöße zwischen den Leoparden und den Adlern. Doch Lord Wellington stand mit seiner Armee im Felde und keine präzisen Nachrichten fanden ihren Weg zu den Zurückgebliebenen. Von Zeit zu Zeit drang ein Gerücht an die beunruhigten Ohren von Mary Seward oder John Dunn. Manchmal brachten sie schwerverwundete Leoparden in das große Lazarett, das Sir James McGrigor im Dorf installiert hatte: Es waren die, denen draußen auf den blutigen Schlachtfeldern nicht geholfen werden konnte; die verzweifelten und hoffnungslosen Fälle. Meist waren es nicht einmal Soldaten, die ihre Kameraden zu den Ärzten brachten, sondern Bauern aus den Bergen. Sie wußten nichts um den Verlauf des Ringens zwischen Soult und Englands Feldmarschall. Sie kannten auch nur Gerüchte. Die Verwundeten waren in einem schlimmen Zustand; fiebernd, am Rande des Deliriums, kaum noch bei Sinnen. Sie hatten oft tagelang im Regen und in der Kälte in den Bergen ausgeharrt, bis irgendein Bauer sich ihrer erbarmte. Die meisten, die in Lesaca ankamen, starben Hume, Hale, Freeman und Dr. Lennox unter den Händen weg. Sie starben, wie die Fliegen! Je grauenhafter die Verletzungen waren, um so pessimistischer wurde die Stimmung der Zurückgebliebenen. Einen hatten vier Bergbauern in einer Decke vom Paß von Roncesvalles bis nach Lesaca geschleppt. Zu Fuß und im strömenden Regen hatten sie für die 38 Meilen nur zwei Tage gebraucht, aber der arme Mann hatte schon seit den frühen Stunden des 25. Juli halbtot in einer Lichtung gelegen. Er gehörte zu einem der Hochlandregimenter aus Lowry Coles Division. Sein linker Arm fehlte. Er war ihm genau am Gelenk, oben aus der Schulter herausgerissen worden. Die französische Kugel mußte ihn sehr präzise getroffen haben, denn Sarahs erster Eindruck war, der Soldat sei vielleicht ohne dieses Körperteil zur Welt gekommen. Die Wunde war völlig verdreckt. Nachdem sie mit viel Mühe den Schmutz ausgewaschen hatte, hob sich ihr Magen: Seit sechs Jahren schon versorgte sie die Opfer dieses grauenvollen Krieges, den ihr Land mit Frankreich führte. Sie war sicher gewesen, alles gesehen zu haben, was Kugeln, Bajonette, Splitter und Blankwaffen verursachen konnten. Doch beim Anblick dieser Verletzung wurde ihr speiübel. Innen drin war es lebendig! Fette Maden hatten sich im rohen Fleisch eingenistet. Sie versuchten sich vor ihrer Pinzette zu verstecken und verschwanden immer tiefer im Leib des Patienten. Sarah dankte dem Himmel, daß der Leopard in einem Zustand war, in dem er nicht mehr spürte, was ihm geschah. Er glühte vor Fieber: Seine Augen waren geschlossen. Die Zunge hing ihm seitlich aus dem Mund. Der Kiefer war völlig verkrampft. John Dunn, der Soldat, ihr bewährter Helfer in so vielen schweren Stunden, der alte Kämpfer – er fiel einfach um! Sarah hatte kein Recht darauf, in Ohnmacht zu fallen, oder ihrem Ekel und ihrer Hilflosigkeit nachzugeben und aus dem Gebäude ins Freie wegzulaufen und den Mann seinem Schicksal zu überlassen. Sie würgte den Anfall von Übelkeit hinunter und zog mit zittrigen Fingern eine fette Made aus dem Fleisch, die sie angewidert in einen Eimer schmiß. „Tommy“, flüsterte sie leise Trommler Meadows zu, der mit den Baumwolltupfern und Kompressen neben ihr stand, „schütte John bitte einen Eimer Wasser über den Kopf und hilf dem alten Mann nach draußen an die frische Luft! Und hole Miss Mary. Ich brauche jemanden, der mir zur Hand geht!“

      Der Fünfzehnjährige war heilfroh, daß die gute Lady Lennox ihn gehen ließ. Er war kreidebleich. Nur seine Jugend und seine robuste Kondition