Der Herr des Krieges Teil 4. Peter Urban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Urban
Издательство: Bookwire
Серия: Warlord
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742788757
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er es konnte und ohne Probleme in wenigen Wochen am Ardour, am Nivelle und an der Nive stehen würde, denn wenn es zu einem Friedensschluß im Norden kam ...

      „Irgendwann einmal, mein Sohn, wenn Sie diesen Krieg überleben sollten, kommt aber der Tag, an dem Sie unweigerlich mit ähnlichen Dilemmata konfrontiert werden wie ich heute abend!“ Ein bißchen Spott schlich sich in die blauen Augen des Iren. „Dann müssen Sie Ihre eigenen Entscheidungen treffen und dürfen keine Fehler machen ... Es wird sicher nicht in Spanien sein, und Ihr Gegner ist dann möglicherweise kein Franzose mehr, sondern ein Preuße oder ein Russe oder ein Inder oder Gott weiß wer! Leider bestimmen Gewalt und Blutvergießen den Lauf der Welt! Dieser Krieg hier ist noch der meine. Der nächste wird Ihrer sein und der von Somerset und Campbell und Colborne und Wallace und Jung-Hill!“ Arthur war von der Balustrade aufgestanden. Er warf Dullmore einen sanften Blick zu. Dann strich er ihm mit einer kurzen Bewegung, fast flüchtig übers Haar: „Passen Sie gut auf sich auf, Junge! Führen Sie unser Regiment ordentlich!“ Er machte kehrt und eilte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren die Treppe hinunter, durch die Küche in den Stall des Hauptquartiers, sattelte Kopenhagen und verschwand durch die Abenddämmerung nach San Sebastian.

      Nachdenklich blieb Jamie auf den Zinnen des alten Wehrturmes von Lesaca zurück.

      Der Sturm gegen San Sebastian schlug fehl. Mehr als 1000 Männer fielen auf den Schanzen vor der Stadt und der Festung. In dem Augenblick, in dem Wellington den Befehl erteilte, die schwere Belagerungsartillerie vorläufig wieder einzuschiffen, erreichte ein Kurier des Earls of Dalhousie das Hauptquartier von Lesaca. Er überbrachte ein Gerücht über eine französische Truppenkonzentration auf dem Paß von Maya und den Lärm von Gefechten in den Bergen. Der Generalquartiermeister Sir George Murray dachte nur einen kurzen Augenblick lang nach. Englands Feldmarschall war irgendwo in oder um San Sebastian unerreichbar. Damit war er der ranghöchste Offizier vor Ort. Sein Geschäft war zwar das Zählen und Verwalten, doch er vermochte auch sehr logisch und klar zu denken und Entscheidungen zu fällen. Er rannte in das Turmzimmer. Auf Wellingtons Tisch fand er, was er erhofft hatte: Der Oberkommandierende schrieb immer alles auf! Es war ein Glücksfall, daß er sich nie auf eine einzige Variante gegen die Adler versteifte. Fein säuberlich getrennt lagen zwei Haufen Papier auf Wellingtons Arbeitstisch. Einer trug die Aufschrift ‚San Sebastian’, der andere ‚Pamplona’. Murray griff nach ‚Pamplona’ und überflog die Gedanken seines irischen Herrn. So schnell wie er nach oben geeilt war, kam er wieder in die Küche zurück. Er hatte nicht das Recht, an Wellingtons Stelle Befehle zu erteilen. Also zog er ein Stück Papier mit dem Briefkopf des Generalquartiermeisters hervor und schrieb: „Die Siebte Division und die Leichte Division werden in Alarmbereitschaft versetzt. Die Männer bereiten sich auf einen möglichen Abmarsch vor!“ Er warf einen kurzen Blick auf die Ferraris-Karte, die man in der Küche auf ein großes Holzbrett genagelt hatte: „Der Chestnut Troop der Royal Horse Artillery rückt von Santa Barbara nach Sumbilla vor und bezieht unverzüglich Stellung!“ Anstatt den Adjutanten des Earls of Dalhousie loszuschicken, übergab er die Befehle einem jungen Mann aus seinem eigenen Stab. Sollte er einen Fehler gemacht haben, dann war er alleine verantwortlich und Sir Arthur wußte, wenn er zur Rechenschaft ziehen konnte.

      Am späten Abend kehrte der Ire aus San Sebastian ins Hauptquartier zurück und Murray hatte gerade noch die Zeit, seine Entscheidungen darzulegen und sich von seinem Vorgesetzten ein zustimmendes Kopfnicken und ein bewunderndes „Sehr guter Reflex, Sir George! Ich hätte genau die gleichen Dispositionen angeordnet!“ abzuholen, als ein atemloser Reiter in die große Küche stürzte. Wellington erkannte ihn sofort. Es war einer der feinen, jungen Männer aus Sir Galbraight Lowry Coles Stab: General Byngs Brigade aus der Vierten Division war gegen zehn Uhr morgens auf dem Paß von Roncesvalles angegriffen worden. Doch die Leoparden hatten ihren Gegner erfolgreich zurückgeschlagen!

      Im Reflex durchfuhr es Arthur, daß der alte Fuchs Soult eine Diversionsbewegung gegen seine rechte Flanke startete, um ihn zu verwirren und von einem Hauptstoß gegen San Sebastian abzulenken. Innerlich beglückwünschte er sich zu seiner Entscheidung, Tom Grahams Belagerungsapparat wieder eingeschifft zu haben. Noch nie war eine britische Kanone den Adlern in die Hände gefallen! Doch fast gleichzeitig mit diesem sehr logischen Reflex schlich sich ein ganz unlogischer Zweifel in sein Gehirn und malträtierte ihn hinterhältig: „Vergiß San Sebastian! Dieser Adler ist total verrückt! Der schickt seine Männer wirklich über die gefährlichsten und schwierigsten Pässe der ganzen Pyrenäenkette, weil er felsenfest davon überzeugt ist, das die Vierte Division vom Hauptheer isoliert steht. Da will ein ganz Schlauer eine Flanke aufrollen, ohne genau zu wissen, ob es auch wirklich eine ist!“ Picton und die Dritte Division befanden sich in Olague. Die Gegend war von Guerilleros so verseucht, daß kein französischer Aufklärer lebend weiter kam, als an den Paß von Roncesvalles. Wenn Soult nun wirklich nicht wußte, wie die alliierte Ordre de Bataille aussah und wo seine Divisionen standen?

      „Major, setzten Sie sich! Ich muß Sie da ein paar Dinge fragen!“ Wellington hatte es sich bereits bequem gemacht. Der feine junge Mann folgte seiner Aufforderung mit einem Ausdruck der Erleichterung im Gesicht.

      „Sagen Sie, wie kommt es, daß die Adler heute um zehn Uhr morgens angreifen, Byng sie zurückschlägt und Sir Galbraiths Meldung erst um neun Uhr am Abend hier aufschlägt?“ Acht Stunden für 25 Meilen schienen dem Iren ein bißchen viel, insbesondere in Anbetracht der teuren, schnellen Vollblüter, die Coles junge Verwandte ritten.

      Der Major wurde rot im Gesicht: „Äh, General Lowry Cole hat es – nachdem Byng die Adler vertreiben konnte – für vernünftiger gehalten, sich mit der gesamten Vierten Division auf General Picton und Olague zurückzuziehen. Ich bin erst nach dem gelungenen Rückzug zu Ihnen geschickt worden, Mylord!“

      Sir Galbraith hatte also die Last der Verantwortung nicht ertragen und sich zum ranghöheren Sir Thomas geflüchtet, um alle weiteren Entscheidungen dem alten Offizier aus Wales aufzulasten.

      „Ist Byng auf so starkß feindliche Kräfte gestoßen, das ihr euch mit fast 6000 Mann auf dem Paß in die Hosen gemacht habt ...?“ Cole war kein begnadeter Stratege, aber auf dem Schlachtfeld war er ein Löwe! Sein Angriff hatte Beresford den Tag von Albuera gewonnen, bei Salamanca und Vitoria hatten die Vierte Division und ihr Kommandeur gezeigt, welcher Mut und Elan doch in ihnen steckte. Alle war sie kampferprobte Veteranen, von Sir Galbraith bis hinunter zum letzten Mann. Die Spanier von Morillo waren bei Byng. Gemeinsam hielten sie jetzt seit drei Wochen Roncesvalles und das Lindus-Plateau.

      Der Major nickte: „Mylord Wellington, es waren verdammt viele! Ehrlich! Nicht oben auf dem Paß ... aber unten, auf der französischen Seite. Wir hatten Späher über der Grenze. Gute Männer! Zuverlässige Männer! Sie hatten knapp 40.000 Adler geschätzt – sie kamen aus zwei Stoßrichtungen auf uns zu. Marschall Soult war bei ihnen und wir konnten General Reille identifizieren!“

      „Reiten Sie zu Cole und Picton zurück! Die beiden können machen, was sie wollen, aber im Namen des Allmächtigen, wenn sie auf die Idee kommen, sich aus Angst oder Unsicherheit auch nur einen Yard in Richtung Pamplona zu bewegen, dann reiße ich ihnen den Kopf ab. Picton soll seine Flanke nach links ausdehnen! Ich komme vorbei, sobald ich Neuigkeiten von Hill habe!“ Wenn Sir Galbraith unter Arthurs direktem Befehl stand und keine eigenen Entscheidungen treffen mußte, war er die Selbstsicherheit in Person. Auf dem Schlachtfeld führte er seine Männer mit Geschick. Doch wenn er auf sich alleine gestellt war und in strategischen Kategorien denken mußte, bekam er es regelmäßig mit der Angst zu tun. Konnte man es einem Mann verdenken, Angst zu bekommen, wenn er mit insgesamt 13.000 Soldaten in unbefestigten Positionen unerwartet über 40.000 Gegnern stolperte, die durch den Pyrenäennebel mit lautem Trommelwirbel auf ihn zu marschierten? Arthur zuckte die Schultern. Er konnte sich vorstellen, was Sir Galbraith durchgemacht hatte, als er dieser gigantischen Übermacht gewahr wurde. Solche Situationen hatte er selbst in seinem langen Soldatenleben schon oft durchlebt: Mit einer Handvoll Leoparden einem drei-, vier- oder fünfmal stärkeren Feind entgegenzutreten ... Er hatte sich am Anfang ja auch ins Hemd gemacht und weiche Knie bekommen ...! Irgend wann war die Angst dann aber verschwunden und von einem Fatalismus abgelöst worden, der ihm immer geholfen hatte, ruhig in der Defensive auszuharren und die Fehler des Feindes abzuwarten ... Er hatte sich bereits vor langer Zeit damit abgefunden, daß nur Hill diesen hilfreichen Fatalismus im Angesicht einer Übermacht