Der Herr des Krieges Teil 4. Peter Urban. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Urban
Издательство: Bookwire
Серия: Warlord
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742788757
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auf San Sebastian, oder auf Pamplona. Was wirklich zählte, wie immer, wenn der Ire sich dazu durchrang, ein Schlachtfeld zu betreten, waren die lateralen Kommunikationslinien, die hinter der eigentlichen Front seine einzelnen Truppenteile sicher miteinander verbanden.

      Es war Soults Vorrecht, ihn zu jeder beliebigen Zeit und an jedem beliebigen Ort, ohne Vorwarnung anzugreifen. Danach würde der Franzose auf einen ständig wachsenden, alliierten Widerstand stoßen: Irun, Maya und Roncesvalles waren die Haupteinfallstraßen nach Spanien. Es waren die einzigen Wege, die Kolonnen mit schwerem Gerät guten Gewissens nutzen konnten. Nach den Bergen ging es hinunter in die Täler und immer weiter ins Landesinnere von Navarra. Es war ein beschwerlicher und ungewisser Weg!

      Arthur hatte sich seine Karten für das große Spiel gut gelegt. Wie ein baskisches Fangeisen für Bären würde die Falle zuschnappen, wenn Soult es am wenigsten erwartete. Es gab nur eine Sorge, ein großes Problem: Die Falle hatte keinen Automatismus! Er mußte im Gebüsch versteckt liegen und im richtigen Augenblick an der Schnur ziehen, um den schrecklichen Mechanismus auszulösen und die französische Tatze zu zermalmen. Darum wollte er unbedingt wissen, an welcher Stelle die Adler sich herumtrieben. Schließlich mußte er sich verstecken, um sie abzupassen!

      In den Augen des Iren war der Weg über Irun gegen San Sebastian die militärisch vernünftigere Lösung. Er war Soult einige Male auf dem Schlachtfeld begegnet und hatte die Probleme und Unzulänglichkeiten seines Kontrahenten ganz ordentlich analysiert. Der Mann war ein großartiger Organisator, aber wie man eine Schlacht führte, wußte er doch nicht so recht! Sich einer solchen Unzulänglichkeit bewußt seiend und dann ausgerechnet den schlimmsten Weg nach Spanien zu wählen – die Pässe –, um sich alle 50 Yards mit einem Haufen bösartiger und zähnefletschender Leoparden herumzuprügeln, die sich in den Bergen viel besser zurecht fanden, als all seine Adler zusammen, grenzte an kriminellen Leichtsinn. Als Soult damals am Coa kampflos aufgegeben hatte, hatte er sehr verantwortungsbewußt und vernünftig gehandelt. Mußte man daraus nicht einfach die Schlußfolgerung ziehen, daß der berühmte Soldat es dieses Mal wieder so anging und sich nicht von Emotionen, sondern von seinem rationalen Geist leiten ließ?

      Er schrieb eine Depesche an Sir Thomas Graham. Darin empfahl er seinem General den Sturm der Festung zu versuchen. Dies, obwohl er Zweifel an den Breschen hatte! Doch Zeit war ein rares Gut: Die Leoparden hatten das Convento de San Bartolomeo genommen und auch Santa Catalina und eine Vorstadt. Die Trommeln des Krieges schlugen laut von der anderen Seite der Grenze nach Spanien hinein. Er konnte sie fast genausogut hören wie das Grollen der Kanonen vor San Sebastian. Vielleicht geschah ja ein Wunder! Im Krieg gab es keine Gewißheiten, nur Hoffnungen, Wünsche und Träume. Obwohl die Spannung fast unerträglich wurde, beschloß Englands Feldmarschall um seines Glaubens an ein Wunder Willen, Sir Thomas noch 24 Stunden Galgenfrist einzuräumen, bevor er seinem Feldheer endgültige Befehle bezüglich ihrer Dispositionen zukommen lassen wollte. Er schrieb für jede der beiden Varianten – Irun oder die Pässe – entsprechende Marschbefehle nieder, ordnete sie sorgfältig und legte sie mit einem Deckblatt ‚Pamplona’ und einem Deckblatt ‚San Sebastian’ gut sichtbar auf seinen Arbeitstisch. Im Ernstfall wollte er nicht, daß irgend jemand lange herumsuchen mußte. Dann stieg er zu den Zinnen des Wehrturms hinauf, setzte sich auf die Balustrade, starrte in Richtung Atlantik und hörte dem Grollen der Kanonen zu.

      „Mylord!“, riß eine vertraute Stimme ihn Stunden später aus seinen Gedanken, „Sie sollten wenigstens versuchen, etwas zu essen!“ Sir James Dullmore hatte den Weg bis hoch zur Spitze des Hauptquartiers gemacht. Sergeant Dunn hatte ihm Kaffee und einen gefüllten Teller auf ein Tablett gestellt.

      Dankbar nahm Arthur die Tasse. Das Abendessen verweigerte er, so wie er seit Tagen schon alles ablehnte, was der besorgte, alte John in ihn hineinzustopfen versuchte. Soult lag ihm wie ein Stein im Magen: „Es hat keinen Sinn, mein Junge!“

      Der Oberst wollte kehrtmachen und wieder die Treppen hinunter steigen, um Englands Feldmarschall mit seinen Gedanken alleine zu lassen. „Nein, Jamie! Bleiben Sie ruhig! Nur das Essen hat im Moment keinen Sinn!“, holte Wellington ihn zurück.

      Dullmore stellte das Tablett auf die Stufen und setzte sich neben ihn auf die Balustrade. Lange schwiegen die beiden Soldaten sich einfach an. Der Kommandeur der 33. Infanterie lauschte den Kanonen genausogebannt wie sein Vorgesetzter, und bei jedem Schlag, der durch die Berge dröhnte, krampfte sein eigener Magen sich genausoschmerzhaft zusammen wie der von Sir Arthur. Der Oberst hatte San Sebastian, als er noch bei den Partisanen gewesen war, gründlich studiert. Er wußte, wie sinnlos Sir Thomas Grahams Unterfangen war. Und er wußte, daß Sir Arthur es auch wußte, obwohl der nichts anderes tun konnte, als seiner Chimäre nachzujagen, in der Hoffnung, vielleicht doch Glück zu haben. Jeder dumpfe Knall bedeutete Blut, Tod und Verwüstung!

      „Was geht Ihnen durch den Kopf, Jamie?“, fragte Wellington irgendwann. Seine Stimme hatte einen traurigen Klang. Er fühlte, genau wie sein junger Oberst, daß jeder Schuß gegen die Wälle vergeudetes Pulver und – noch schlimmer – vergeudetes britisches und alliiertes Blut war!

      Dullmore wendete sich Sir Arthur zu. Mit der Rechten mußte er sich an einer der Zinnen festhalten, um sein Gleichgewicht auf der uralten, brüchigen Balustrade nicht zu verlieren. Seit er seinen Partisanenbart abrasiert hatte und das Haar wieder militärisch kurz geschoren trug, fiel dem Iren auf, wie jung der Schotte eigentlich war. Als ob sich seine Reitsporen noch in der Schürze der Amme verhedderten, wenn er nicht aufpaßte. Der kalte Schleier hob sich über seinen Augen. Er liebte diesen brillanten, jungen Offizier wie einen eigenen Sohn. Es gab Augenblicke, da wünschte er sich, das Jamie und Fitz und Colin und Antonio seine richtigen Söhne wären und nicht diese beiden unbekannten Kinder in einem fernen Land zu denen er keine Beziehung hatte und für die er nichts empfand, außer einem Gefühl der Pflicht!

      „Mylord, ich bin heute früh nach San Sebastian geritten. Die Bresche ... Sie werden es nicht schaffen! Es wäre das Vernünftigste, sich mit San Bartolomeo zufrieden zu geben und wie in Pamplona einfach abzuwarten! Rey wird eines Tages nachgeben müssen.“

      Arthur nickte: „Sie haben heute immer noch genauso recht wie vor zwei Wochen, als wir zusammen bei Sir Thomas waren, mein Sohn! Aber vielleicht haben wir ja Glück ...!“ Er zuckte ein wenig hilflos die Schultern. „Der Krieg ist ein großes Spiel ... Manchmal geschehen Wunder, die wir nicht erwarten ... Vauban ist eine Sache, der Mut der Verzweiflung eine andere! In unserem Geschäft haben beide hohen Stellwert! Nur wenn ich weiß, wohin Soult sich bewegt, werde ich entscheiden, ob wir den Belagerungsapparat wieder einschiffen und vorerst die Aktionen gegen San Sebstian einstellen. Kommt er über Irun, schlagen wir uns vor der Stadt. Der Geschützpark ist eine feine Sache gegen die Adler! Es sind wieder einmal mehr als wir Leoparden haben ... Kommt er über die Pässe, schlagen wir uns im Tal des Baztan und in den Bergen. Dann sind die Kanonen hinderlich. Im Landesinneren brauche ich Infanterie, Infanterie und noch mehr Infanterie ... Aber bevor ich den Befehl zum Abbruch gebe, muß der alte Fuchs den ersten Zug tun! Er spielt weiß. Und wenn die Adler sich aus Versehen nicht rühren sollten, werden wir einfach weitermachen und belagern, belagern, beschießen, graben etc. ... Entweder bis diese verdammte Festung fällt, oder bis ich Neuigkeiten aus Germanien erhalte. Im Augenblick hängt nicht alles von meinem Willen ab, Jamie: Werden die Russen und die Preußen sich wegen dieses unglücksseligen Vertrages von Pläswitz mit Bonaparte ernsthaft an den Verhandlungstisch setzen ...? Der politische Imperativ mischt wieder einmal im Krieg mit. Er macht uns allen Probleme und Sorgen, aber wir müssen mit ihm leben. Um der Österreicher in der Sechsten Koalition Willen, ist es ein Blutopfer von Zigtausenden vor San Sebastian wert ...“

      Jamie las in Wellingtons Augen eine sonderbare Mischung aus Trauer, Verzweiflung und Angriffslust.

      „Ich möchte heute abend nicht an Ihrer Stelle sein, Mylord!“, sagte er leise. Früher hatte er immer geglaubt, der Krieg sei eine Sache, die sich mit dem Mut der Männer auf den Schlachtfeldern entschied. Dann hatte er angefangen die Geschichte zu studieren. Je mehr er las, um so mehr verstand der junge Offizier, daß ihr Geschäft nur eine Fortsetzung der Politik oder der Wirtschaft mit blutigen Mitteln war und die Männer im roten, grauen, weißen, schwarzen oder im blauen Rock nichts als Marionetten in den Händen ihrer Herren in den Regierungspalästen der Hauptstädte waren. Sir Arthur konnte sich nicht an den Ebro zurückziehen. Politisch