Eines Abends, als ihn sein Opa fragte ob er ihm eine Geschichte vorlesen solle, deutete er auf den Stein an der Wand, der jetzt kaum zu sehen war zwischen all den Ketten. „Wo kommt dieser Stein dort her“?
„Welcher Stein? Ach der grüne da.“
Sein Opa war vom Bettrand aufgestanden und hatte das Lederband mit dem Stein daran vom Haken genommen.
„Den hat deine Omi vor vielen Jahren von einer .. mmh... von einer Fee“, er lächelte versonnen, “nein, sie war mehr eine Hexe, oder besser, sie hat ihn von einer Kräuterhexe geschenkt bekommen.“
Er setzte sich wieder zu Peter auf das Bett und sah im warmen Licht der Nachttischlampe wie der junge Mann von damals aus.
„Es passierte auf der letzten Etappe unserer Heimreise von Indien. Deine Omi und ich haben zwei Jahre in diesem außergewöhnlichen Land gelebt und mitgeholfen, die Universität von Madras aufzubauen. Wir waren noch jung, idealistisch, wir wollten die Welt verbessern. Ich habe als Dozent für Maschinenbau gearbeitet, deine Omi als Praktikantin im Hospital. Kannst du dir vorstellen.....“
Jetzt geriet er so richtig in Fahrt. Peter hörte gerne die Geschichten aus all den Ländern, in denen sein Opa gearbeitet hatte, obwohl er die meisten schon kannte.
„Opa, du wolltest von dem Stein erzählen“, versuchte Peter ihn zu bremsen.
„Natürlich, der Stein....“ Mit einem glückseligen Seufzer löste sich Peters Opa aus seinen Erinnerungen.
„Also, wir sind dann am Ende unserer Mission mit unserem alten, klapprigen VW-Bus quer durch das Land gezuckelt und...“ Jetzt bekamen seine Augen einen ganz besonderen Glanz , „....und haben dann noch ein paar Wochen in Goa , in einer Hippie-Kolonie verbracht, bevor wir auf einem halb verrosteten Frachter von Bombay , heute heißt es ja Mumbai, zurück nach Genua geschippert sind.“
„Was ist aus eurem Klapperbus geworden“? unterbricht Peter ihn neugierig, er war überhaupt nicht mehr müde.
„Den haben wir natürlich mitgenommen, der war ja voll von Erinnerungen“, schmunzelte sein Opa.
„Wir sind dann über Milano gemütlich Richtung Heimat gefahren und haben von unserem restlichen Geld endlich wieder italienisches Essen genossen.
Deiner Omi ging es plötzlich gar nicht gut. Wir dachten, anscheinend hatte sie den Fisch oder die Muscheln nicht vertragen, vielleicht war es die Mayonnaise im Krabbensalat am letzten Abend. Jedenfalls musste sie sich während der ganzen Fahrt oft übergeben. Ich wollte eigentlich durchfahren bis München, aber dann hat deine Omi wegen des hohen Flüssigkeitsverlustes auch noch Fieber bekommen. Da bin ich einfach von der Hauptstraße abgebogen, um ein Dorf, ein Hotel oder einen Campingplatz zu finden. Es dämmerte bereits und es fing auch noch an zu regnen. Irgendwann wusste ich nicht mehr, wo wir uns befanden. Kein Licht aus einem Fenster, kein Kirchturm, damals wurden sie noch nicht beleuchtet. Deine Omi neben mir stöhnte im Fieber, nuschelte etwas von Händen, die nach ihr greifen, ich verstand es nicht, bekam aber immer mehr Angst. Ich stoppte an einer Abzweigung, ich dachte ich hätte ein Licht gesehen. Als ich ausstieg, um nach einen Wegweiser zu suchen, stand sie plötzlich vor mir.
Ich war so erschrocken, dass ich kein Wort herausbrachte. Sie war klein, zierlich in ihrem langen, dunklen Umhang, aber ihre Augen funkelten unter ihrer Kapuze, dass ich einen Schritt zurück von ihr wegstolperte. Sie fragte mich mit einer so sanften Stimme ob ich mich verirrt hätte, dass ich ihr, trotz dieser dunklen, allwissenden Augen, unsere ganze Geschichte erzählte.
„Da hast du Glück gehabt“, sagte sie und holte aus den vielen Falten ihres Umhanges eben diesen Stein hervor. Ich sollte ihn meiner Liebsten auf die Stirn legen und wieder zurück zur Hauptstraße fahren. Es gäbe nur ein unbewohntes Haus hier in der Gegend.
Ich habe anscheinend so verdattert geguckt, dass sie mich mit blitzenden Augen anfuhr: „Tu was ich dir sage, fahr nach Hause, deiner Frau wird es besser gehen, sie wird etwas Wunderschönes träumen.“
Als ich mich stotternd bedanken wollte, nahm sie meine Hand, in der der Stein immer heißer wurde, fest in ihre kleinen aber kräftigen Hände und knurrte mit ihrer heiseren eindringlichen Stimme:
„Du brauchst dich nicht zu bedanken, aber vergiss nicht, etwas Gutes dafür zu tun, dann kommt er irgendwann wieder zu mir zurück und der Kreis wird sich schließen.“
„Ich habe es ihr versprochen bei allem was mir lieb und heilig war.“
„Und..was habt ihr getan?“, hatte Peter neugierig gefragt.
„Eigentlich nichts.“ Verlegen blickte er auf den Stein und schnaufte tief durch.
„Ach, die Geschichte hatten wir schnell vergessen. Obwohl, deiner Omi ging es auf der Weiterfahrt besser und sie hat bis nach Hause mit dem Stein auf ihrer Stirn geschlafen und geträumt.
Wie sich später herausstellte hatte deine Omi einen Malariaanfall. Sie hatte sich in Indien, trotzt der Tabletten, die wir regelmäßig jeden Tag einnahmen, die Malaria eingefangen. Sie hätte in dieser Nacht sterben können.
Den Stein hat sie dann, wie eine Arznei, oder wie ein Wundermittel immer bei sich getragen. Sie hatte ihn zwei Mal verloren und schon aufgegeben, aber er ist immer wieder an den unmöglichsten Orten aufgetaucht. Später hat sie dann ein Loch durch den Stein bohren lassen und ihn an dem Lederband um den Hals getragen, bis ich ihr irgendwann eine schicke Goldkette geschenkt habe.“
Als Peters Mama nach zehn Uhr mit ihrem Sportwagen viel zu schnell, mit quietschenden Reifen, in die Einfahrt einbiegt, sitzt Peter mit saurem Gesicht auf seinem knallroten Trolley vor der Garage.
„Jetzt ist es viel zu spät, wir können zu Hause bleiben, ich will sowieso nicht in das blöde Camp.“
„Es tut mir leid, aber ich konnte nicht früher weil......ach was soll´s, komm steig ein, wir schaffen das schon.“
Während Peter seinen Trolley auf den Rücksitz wuchtet, kommt Selma aus dem Haus gelaufen. „Hier sind für jeden zwei Sandwiches und zwei Flaschen Mineralwasser, da braucht ihr unterwegs nicht anzuhalten.“
Sie drückt Peter an sich, der seine Arme um ihre runde Taille schlingt und gibt ihm einen Kuss auf sein Haar.
„Tschüss mein Liebling, pass gut auf dich auf“!
Peter rutscht auf den Beifahrersitz und schnallt sich an. Er fummelt an dem Schloss zwischen den Sitzen herum, damit keiner seine Träne sieht, die ihm über die blasse Wange kullert.
“Ciao Selma“. Er weiß, dass er sie am meisten vermissen wird.
Sieben
„Du kannst ruhig schneller fahren, auf den Autobahnen in Italien ist hundertdreißig erlaubt. Übrigens hat dein Auto einen Tempomat, wir können locker mit hundertvierzig cruisen.
„Du hast es aber eilig, in dein geheimnisvolles Tal zu kommen.“ grinst Nikos Opa ohne zu ahnen, was ihn dort alles erwartet.
Die beiden haben ein inniges Verhältnis zueinander. Sein Opa ist der Ruhepunkt in seinem bisweilen turbulenten jungen Leben, auf seinen Opa kann er sich verlassen.
Niko hat viel Zeit bei seinen Großeltern verbracht. Schon als Baby, noch mehr, als seine Mama ihren Traumjob in Indien annahm. Erst vor kurzem hatten sie, als sie auf dem Dachboden nach Papas alter Dampfmaschine