Langsam biegen sie in den schmalen, holprigen Weg ab. Peter hat sich wieder hingesetzt, denn das Cabrio schaukelt und rumpelt durch die Löcher und über die Steine wie ein Schiff bei starkem Seegang.
„Ich glaube wir sind falsch abgebogen, mein schönes Auto, ich kann hier ja nicht einmal wenden.“
Die Äste der Sträucher rechts und links am Wegrand kratzen bei jedem Ausweichmanöver quietschend über den Lack und Peters Mama wird nun richtig wütend.
„Mist, Mist, Mist!“, faucht sie“, es musste ja dieses blöde Camp sein!“
„Ich wollte nicht hierher, ich wollte mit euch ans Meer!“ faucht Peter zurück.
„Dein Vater hat immer so komische Ideen.... So, wer will denn jetzt `was von mir, hast du mein Handy gesehen.“ Nervös fingert sie an den Taschen ihrer schicken Lederjacke herum.
„Hier !“ Peter reicht seiner Mama das Handy aus der Mittelkonsole.
„Hallo - ich bin noch unterwegs - wo - das würde ich selber gerne wissen - ja, ich komme heute noch ins Büro – bis heute Abend. Peter kannst du irgendwo den Treffpunkt erkennen“?
Der Weg wird plötzlich breiter, die Sträucher weichen zurück, eine bunt blühende Wiese liegt vor ihnen. Trotz des Fahrtwindes hören sie das Rauschen eines Flusses.
„Da vorne, ich sehe ein Brückengeländer und auf der anderen Seite steht der große Baum“, ruft Peter ganz aufgeregt.
„Na endlich, ich habe schon befürchtet, dass wir umkehren müssen.“, atmet Peters Mama auf und gibt etwas mehr Gas, sodass die Holzbohlen der schmalen Brücke unter den Rädern rattern.
Die mächtige Eiche steht mitten auf dem Weg, der sich teilt, um auf beiden Seiten an ihr vorbei zu führen.
„Das ist ja ein richtiger Kreisverkehr, schau und hier zweigt der Weg zu deinem Camp ab. Aber wo ist denn der Bus, der euch abholen soll? Es ist auch niemand da, wir sind die einzigen“, lacht Peters Mama unsicher.
„Entweder sind wir zu früh, oder der Bus hat die erste Fuhre schon abgeholt“.
Ihr fallen die Sandwiches ein, die Selma ihnen eingepackt hat. Sie hebt die Kühltasche aus dem Cabrio, zieht ihre Lederjacke aus, breitet sie unter dem Baum auf der Wiese aus, schaut auf ihre Armbanduhr und lässt sich mit einem erleichterten Seufzer neben der Kühltasche in die Wiese fallen.
„Komm` mein Schatz, wir machen jetzt Picknick, bis der Bus kommt, wir haben ja noch ein bisschen Zeit.“
„Mmmh, Selma macht die besten Sandwiches der Welt“, stöhnt Peter. Er hat seine zwei und einen von seiner Mama verdrückt, die zum wiederholten Male nervös auf ihre Armbanduhr schaut.
„Ich hätte nie gedacht, dass Wasser so viel Lärm machen kann, aber ich glaube der Bus kommt. Hörst du auch die Motorengeräusche“?
„Ja!“ Peter setzt sich auf “Aber sie kommen aus der Richtung wo wir herkamen.“
In diesem Augenblick taucht schaukelnd ein Jeep aus den Sträuchern auf und kommt über die Brücke auf sie zu.
„Schau Julia, da ist schon jemand. Das haben wir ja super geschafft.“ Julias Vater parkt seinen Allrad hinter dem Cabrio und steigt frohgelaunt aus.
„Tolle Leistung mit dem Cabrio auf diesem Trampelpfad hierher zu kommen“, grinst er und schüttelt Peters Mama kräftig die Hand.
„Mädchen, auch das noch“, knurrt Peter und schielt in Richtung Julia, die barfuß aus dem Jeep gesprungen ist, in die Wiese läuft und in einem Bogen auf ihn zukommt.
„Ich heiße Julia und du“? In ihren grau grünen Augen funkelt so viel Selbstbewusstsein, als sie ihm ihre schmale braun- gebrannte Hand entgegenstreckt, die Peter zögernd mit ausgestrecktem Arm nimmt.
„Mein Name ist Peter.“ Abweisend, hochnäsig schaut er Julia von oben bis unten an und entzieht ihr seine Hand, als sie ihm kräftig die seine schüttelt.
Aufgedrehte Zicke, denkt er sich und wendet sich in Richtung der Eltern ab.
„Arrogantes Weichei.“ Julia mag keine weichen, feuchten Hände.
Inzwischen haben sich die beiden Eltern bekanntgemacht und Peters Mama schlüpft in ihre Jacke, wobei sie schon wieder eilig auf ihre Armbanduhr schaut. Als sie Peter auf sich zukommen sieht, eilt sie ihm entgegen.
„So mein Schatz, jetzt bist du nicht mehr alleine. Da schaffe ich meinen Termin heute Abend noch. Komm, gib Mama noch einen Abschiedskuss“, sie geht leicht in die Knie, breitet die Arme aus und spitzt ihren lippenstiftroten Mund.
„Maamaa, das ist peinlich“, flüstert Peter und gibt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Ich muss noch meinen Trolley aus dem Auto holen“, und ist schon auf dem Weg zum Cabrio, bevor sie ihn umarmen kann.
Zornig holt sie Luft, um Peter zurechtzuweisen, in diesem Moment klingelt ihr Handy. „Ja, ich bin schon auf dem Weg zurück – das mit dem Termin geht in Ordnung – ciao.“
Mit seinem Trolley an der Hand steht Peter neben dem Auto.
„Mach´s gut, mein Großer und viel Spaß“, tätschelt ihm seine Mama die Wange mit zusammengekniffenen Augen, steigt ein, schaut zu Julia und ihrem Vater: „Wir sehen uns hier wieder, in drei Wochen, beim Abholen, tschüss.“ Sie fährt los, winkt ohne sich umzuschauen und verschwindet nach der ersten Kurve zwischen den Sträuchern.
Peter schaut ihr nach und fühlt sich alleingelassen. Mit einem beklemmenden Gefühl im Bauch wendet er sich zu Julia und ihrem Vater, die gerade Julias Rucksack und die Wanderschuhe aus dem Jeep holen.
„Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten fast gar nichts verändert. Das Dorf scheint genau so unbewohnt wie damals. Wenn ich mich richtig erinnere, müssen wir nach dem Dorf rechts in das Tal hinein abbiegen. Euer Camp ist wirklich am Ende der Welt. Es gibt noch Gegenden, die wurden einfach vergessen. Die Jungen ziehen weg, weil es keine Arbeit gibt und die Alten sterben.“ Nikos Opa blickt versonnen auf die Bergkämme, die rechts und links das Tal säumen.
„Das Tal ist deshalb so schwierig zu finden, weil es die Form einer Flasche hat. Der Taleingang ist so eng wie ein Flaschenhals, aber je weiter man in das Tal hineingeht, umso breiter wird es. An den Südhängen wurde früher sogar Wein angebaut.
Schau, die Frau in dem roten Cabrio hat bestimmt auch gerade ihr Kind zum Treffpunkt gebracht.“
Beide lachen, winken, die Frau winkt zurück und gibt Gas.
„Das ist ja wirklich ein holpriger Flaschenhals“, ächzt Niko und schaut gespannt nach vorn. Zuerst sieht er Julia, die im seichten Wasser am Ufer des Flusses steht, dann Peter, der gelangweilt auf seinem Trolley unter der Eiche sitzt.
Julias Vater steigt aus seinem Jeep und alle drei schauen sie auf die Neuankömmlinge.
„Jetzt sind sie schon zu dritt.“ Julias Vater geht auf Nikos Opa zu und schüttelt ihm herzlich die Hand. Auch ihm brennt die Zeit unter den Nägeln, er will rechtzeitig am Hof sein, um dem Tierarzt zu helfen, das Kälbchen zur Welt zu bringen.
Nikos Opa schaut sich um: „Hier sollen die Kinder also abgeholt werden, das Camp liegt wohl am Ende des Tales. Hoffentlich kommt der Bus, bevor sich das Wetter ändert. Sehen Sie die Wolken, die sich da hinten über den Berg schieben, das kann hier in den Bergen ganz schnell gehen.“
Julia balanciert mit ausgebreiteten Armen über die Steine im Fluss zum Ufer. „Ich bin Julia “, ruft sie in Richtung Niko.
Als Peter sich auf seinem Trolley