„Ich habe doch Ferien!“
„Aber eine Vier, vielleicht sogar eine Fünf im Zeugnis.“
„Kann ich wenigstens dort reiten?“
„Hier, schau dir die Website an, Reiten, Tennis, Klettern, Kanufahren - volles Programm. Also, langweilig wird es dort bestimmt nicht.“
Papa schiebt ihr den Laptop über den Tisch.
„Schau dir bitte die Termine auf der letzten Seite an, das Beste, nach meiner Meinung wäre die zweite, dritte und vierte Augustwoche. Ich werde dich auch zu dem Sammelpunkt bringen, wo dann alle mit dem Camp-Bus abgeholt werden. Nächstes Jahr fahren wir wieder gemeinsam in den Urlaub, versprochen!“, ruft ihr Papa Julia hinterher, als sie mit dem Prospekt aus der Küche verschwindet und die Treppe hinauf in ihr Zimmer springt.
„Und....?“ Julias Mama schaut ihren Mann fragend an, als sie ihre Einkaufstasche auf den Küchentisch wuchtet.
„Ich denke, Julia findet unseren Vorschlag gar nicht so schlecht und die drei Wochen weg von Mamas Rockzipfel werden sie noch selbstständiger machen.“
„Deine kleine Prinzessin wird dir schon am zweiten Tag fehlen“, lacht Julias Mama und umarmt ihren Mann. „Vor allem dürfen wir dein Versprechen für nächstes Jahr nicht vergessen.“
Vier
Die Spielsaison ist fast zu Ende. Niko hat bei den letzten Punktspielen immer durchspielen dürfen. Anfangs saß er oft auf der Reservebank und wurde beim Durchwechseln nur für kurze Zeit auf den Platz geschickt. Als er aber dann ein Spiel gegen ihren Angstgegner mit gezielten Pässen und einigen Dreier-Würfen noch im letzten Viertel kippte und zum knappen Sieg führte, war er endlich als der Playmaker vom Trainer und der Mannschaft, bis auf Siegfried, anerkannt worden. Mit diesem Erfolgsgefühl ist er von Spiel zu Spiel besser geworden.
Heute war das vorletzte Training vor den großen Ferien. Der Trainer hat zehn Minuten früher aufgehört und in der Umkleidekabine Prospekte für ein Basketballcamp an alle Spieler verteilt.
„Falls ihr noch nicht wisst, was ihr in den Ferien so macht, wäre das ein Vorschlag. Die haben da einiges zu bieten, nicht nur Basketball. Andererseits könnt ihr euch in den zwei Wochen wirklich verbessern, denn ihr werdet dort von echten Profis aus der amerikanischen Basketball-Liga betreut.“
„Da kann ja unser neuer Playmaker endlich `mal was lernen“, feixt Siegfried und grinst wie ein Frettchen.
Niko schluckt seine bissige Antwort hinunter, denn seit er die Nummer Eins auf der Position als Spielmacher geworden ist und Siegfried nun öfters auf der Reservebank sitzen muss, mögen sie sich noch weniger als zuvor. Siegfried, der bestimmt einen Kopf größer ist aber mehr Fett als Muskeln an seinem weichen Körper hat, lässt keine Gelegenheit aus, Niko zu provozieren oder während des Trainings zu foulen.
Die fröhliche Stimmung in der Umkleidekabine ist verflogen, alle anderen kramen stumm in ihren Sporttaschen herum oder beeilen sich mit einem Tschüss die Halle zu verlassen.
Auch Niko stopft das verschwitzte T-Shirt eilig in seine Tasche, ruft “Ciao!“ in der Hoffnung, dass sein Vater am Halleneingang schon auf ihn im Auto wartet.
Als er vor die Tür tritt, ist weit und breit kein Auto zu sehen. Gewöhnlich fährt er immer mit dem Fahrrad zum Training, doch dieses Mal hat ihm sein Vater angeboten ihn mitzunehmen, da er zu einer Gemeinderatssitzung fuhr und die Sporthalle sich auf dem Weg dorthin befindet.
„Ich hole dich auch rechtzeitig wieder ab, wir können uns dann auf der Fahrt unterhalten, oder? Wir haben doch so wenig Zeit füreinander.“
„Ich habe es geahnt, dass er wieder zu spät kommt“, murmelt Niko in dem Moment als Siegfried neben ihm auftaucht.
„Hat dich dein Mamilein versetzt, der Kleine fürchtet sich wohl im Dunklen nach Hause zu laufen.“
„Lass mich in Ruhe!“, fährt ihn Niko an. Aus den Augenwinkeln sieht er wie Siegfrieds Freund an seiner Sporttasche, die er neben den Eingang auf den Boden gestellt hat, als er nach seinem Vater Ausschau hielt, zu schaffen macht. Wütend dreht er sich um. „Gib meine Tasche her!“
Er macht einen Schritt zu seiner Tasche hin und fällt über Siegfrieds ausgestrecktem Fuß.
„Das ist die verkehrte Richtung“, grinst Siegfried über ihn gebeugt.
„Jetzt langt es!“, zischt Niko wütend durch seine zusammengepressten Zähne, springt auf und landet, aus der Drehung heraus, seine geballte Faust direkt auf Siegfrieds kurzer, dicker Nase.
Die Nase zwischen beiden Händen haltend läuft Siegfried jammernd hin und her.
„Das wirst du büßen, das wirst du büßen.......“
Erstaunt über seinen mutigen Wutausbruch wartet Niko mit klopfendem Herzen, dass nun die beiden über ihn herfallen werden. Doch Siegfried, der im Halleneingangslicht seine Hände betrachtet, ruft mit weinerlicher Stimme:
„Meine Nase blutet, du hast mir bestimmt mein Nasenbein gebrochen. Das werde ich meinen Eltern sagen, die gehen zum Rechtsanwalt, wir werden dich verklagen.“
Zu seinem Freund gewandt: „Nimm meine Tasche, du musst mein Fahrrad schieben, ich bin verletzt.“
Bevor sie im Halbdunkel den schwach beleuchteten Fahrradständer erreichen, dreht er sich noch einmal um. „Das gibt Rache!“
Seine Stimme klingt jetzt so gehässig, dass Niko ein flaues Gefühl im Magen spürt und er zitternd seine Fäuste sinken lässt.
„Was war das denn?“ Nikos Vater springt über das niedrige Mäuerchen, welches den Parkplatz vom Kiesweg zur Sporthalle trennt.
„Sorry, ich habe mich etwas verspätet, die Sitzung hat doch länger gedauert. Hast du mit dem Jungen Zoff gehabt?“
„Ach Papa, warum bist du nie pünktlich wie versprochen.“ Niko kann ein leichtes Zittern seiner Stimme nicht unterdrücken.
„Es tut mir leid, aber ich musste unbedingt noch mit den Herren vom Bauausschuss wegen unserer Einfahrt sprechen.“
Seit Nikos Mama ihre Karriere an erste Stelle gesetzt hat, lebt er mit seinem Papa alleine in ihrem neu gebauten Haus. Als sie damals gemeinsam ihr Heim planten, durfte er sein Zimmer, sein Reich selbst entwerfen. Vor allem akzeptierten seine Eltern seinen Wunsch, in der Nähe seiner Großeltern zu wohnen. Die Einzugsparty war ein Riesenfest. Er durfte sogar mit einem fast vollen Glas Prosecco auf ihrer aller Glück anstoßen. Als es leer getrunken war, hat er wie aufgedreht, die ganze Gesellschaft unterhalten, Witze aus der Schule erzählt, die Funktionen seines neuen I-Phones erklärt und Papas Haevy-Metall-CD`s aufgelegt, bis er dann glücklich, müde auf der Couch, seinen Kopf in Mamas Schoß, eingeschlafen war. Nächte darauf, als er aufwachte um schlaftrunken auf die Toilette zu schleichen, hörte er seine Eltern durch die halboffene Schlafzimmer Tür zärtlich flüstern. Es wäre doch jetzt Zeit, dass er ein Schwesterchen oder Brüderchen bekommen sollte. Sonst würde der Abstand zu groß und sein Papa meinte lachend, dass Mamas biologische Uhr auch schon ticken würde. Ein Schwesterchen oder Brüderchen wäre ja recht lustig, das mit der biologischen Uhr hatte er nicht so richtig verstanden, aber er wollte eigentlich einen Hund. Den hatten ihm seine Eltern versprochen, wenn sie einmal in einem Haus wohnen würden.
Eines Tages, es war Samstagmorgen. Sie hatten alle lange geschlafen und saßen mit dem fröhlichen, entspannten Gefühl, nicht in die Firma, oder Schule gehen zu müssen, am Frühstückstisch. Da hörten sie den Briefkastendeckel klappern. Mama setzte die Kaffeetasse ab, schob den Stuhl zurück, und ging eilig aus dem Esszimmer, als hätte sie auf den Briefträger gewartet.
Mit roten Wangen