Trissa, Hexe von Eichstätt. Lars Gelting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lars Gelting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738092639
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zogen vom Wasser heran, bildeten mal Schleier mal breite Bänke, die schweren, feuchten Vorhängen gleich über die Landschaft zogen. Zwischen den Schwaden hing plötzlich Rauch in der Luft, wallte, noch nicht vom Nebel verschluckt, dicht über dem Boden auf sie zu. Da brannte mehr als nur eine Herdstelle und sie folgten zu dritt dem Gewölk, das sich allmählich vom Boden erhob, brandig auf sie zu trieb und ihnen signalisierte, dass sie zu spät kommen würden. Der Rauch wurde dichter, nahm ihnen bald den Atem, ließ sie voranjagen, bis sie endlich der prasselnden, knisternden Brunst gegenüber standen. Vor ihnen, in einer flachen Senke, brannte ein Kloster. Ein kleines Kloster, dessen armselige Gebäude sich hinter der Kirche wie schutzsuchend zusammendrängten. Die Flammen schlugen bereits an mehreren Stellen aus Fenstern und Dächern, fraßen sich mit rasender Geschwindigkeit knisternd und heulend durchs Gebälk.

       Einer Fackel vergleichbar brannte der kleine Turm der Klosterkirche, hielt sein stählernes Kreuz schwarz und aufrecht in die Flammen. Kein Mensch, kein Tier! Der Ort wirkte gespenstisch verlassen, wie eine brennende, rauchende Insel, umwallt vom Meer undurchsichtigen Nebels.

       Hier hatte sich religiöser Wahn ausgetobt, hatte gewütet, geschändet, und in wilder Gier was brauchbar war geplündert.

       Sie stürmten ahnungsvoll in die kleine Kirche. Wenigen Stunden zuvor noch geheiligter Ort, entsprach sie jetzt eher einem Vorort der Hölle, in dem die Flammen des brennenden Chorgestühls ein grauenhaftes Szenarium beleuchteten: In waberndem Rauch und strudelndem, wirbelndem Funkenflug, angelehnt an den Tabernakel, saß der alte Zisterzienserabt auf dem Altar; die Frevler hatten ihm den Schädel eingeschlagen.

       Direkt vor dem Altar lagen sieben Mönche, erschlagen und in ungehemmter Wut verunstaltet. Ihr Blut war von den Füßen ihrer Mörder in einer grausigen Spur bis vor die Tür getragen worden.

       Als sie die Mönche abseits auf der kleinen Anhöhe begruben, fand Johannes das Kruzifix. Einem der Erschlagenen musste es aus dem Gewand gefallen sein.

      Mit brennenden Augen starrte Pater Gregor auf das Kreuz: Es war eine der ersten Kriegserfahrungen, die er damals machte, sie veränderte sein Leben.

      Als sie einen Tag später in Wolgast den Dänen stellten, waren Johannes und er in fürchterlichem und wie sie glaubten gerechtem Hass einem Blutrausch erlegen. Im Haufen Wallensteins mitrennend, metzelten sie erbarmungslos alles Protestantische nieder, was ihnen in die Hände fiel. Tief und immer noch sehr deutlich prägten sich ihm die Bilder des Geschehens ein. Das wilde Zustechen, Zuschlagen, das Geschrei der Wütenden und das der Sterbenden, ja selbst die Gerüche dieses fürchterlichen Gemetzels haben sich ihm eingebrannt. Entsetzt über die eigene orgiastische Lust am Töten hatte er die Armee sofort verlassen.

      Johannes ging es nicht viel anders als ihm, aber er brauchte den Sold und blieb deshalb noch beim Wallenstein.

      Dieses Kruzifix trug er nach Wolgast ständig an einem Lederband um den Hals, gewissermaßen als Schutz und Warnung zugleich. Niemals hätte er sich davon getrennt.

      Mit großen Augen schaute Pater Gregor von der Kerze weg ins Leere: Er ahnte den Grund, warum Johannes sich von diesem Kruzifix trennen musste. Und er wusste nun auch, warum ihn der Anblick der Frau vor dem Haus des Bäckers so irritiert hatte: Hühner füttern und Ziegen melken, wie leicht ließ sich das Auge täuschen!

      Sie hatte ihn also wiedergefunden, wusste ganz offensichtlich, dass er hier war. Nur eines wusste sie sicher nicht: Dass auch der Dritte im Bunde, der Pocher, der Scharfrichter, sie wiedergefunden hatte. Dass dieser ihr und damit auch ihm schon dicht auf den Fersen war. Ein weiteres Mal würde sie ihm nicht entkommen – und er dann auch nicht.

      2. Die Wechsel des Fürstbischofs

      Es war Krieg und Ingolstadt schien im Belagerungszustand zu sein. Soldaten, Milizionäre aus dem ganzen Lande, Händler, Gaukler und natürlich der unvermeidliche riesige Tross waren wie die achte Plage über die Menschen im Ort und in seiner Umgebung hereingebrochen. In einem breiten Ring lagerte der Großteil von ihnen auf den Wiesen und Feldern rund um die Stadt. Ingolstadt, die stolze Handelsstadt an der Donau, platzte aus allen Nähten, drohte in Anarchie, im Unrat und Gestank zu versinken.

      Therese war dieser Zustand nur zu bekannt. Selbstsicher und unbesorgt bewegte sie sich daher vom Haus des Bäckers quer durch die Stadt zu ihrem Ziel. Die Gewissheit, dass Pater Gregor ihre Botschaft nun sicher entdeckt und entschlüsselt haben würde, machte sie geradezu fröhlich. Er hatte sie eben erkannt; seine Irritation war ihr nicht verborgen geblieben. Und er würde eine Gelegenheit finden, bei der sie miteinander reden konnten. Außerdem hatte der Pocher zu spüren bekommen, dass sie wieder zurück war. Das Spiel hatte begonnen.

      Ungehindert bewegte sie sich dicht an den Häusern entlang, ging dort, wo hin und wieder Steine lagen und der Boden nicht mehr aufgeweicht war. Und unvermittelt war sie nicht mehr die einzige, die auf dem trockenen Bereich der Straße unterwegs zum Rathaus und zum Salzmarkt war.

      Hier pulsierte die Stadt bereits: Menschen kamen ihr entgegen, drängten sich mit Körben und Säcken beladen an ihr vorbei, zogen Ziegen, blökende Kälbchen oder junge Fohlen am Strick hinterdrein. Immer wieder musste sie stehen bleiben, drückte sich dann eng an die Hauswand, um nicht in den Straßenkot ausweichen zu müssen. Durch die noch aufgeweichte, enge Straße quälten sich Fuhrwerke, ohne eine Spur im morastigen Straßengrund zu hinterlassen.

      Vor ihr öffneten die ersten Verkaufsluken, erlaubten ihr im Vorbeigehen einen Blick in die verschiedenen Werkstätten und auf die ausgestellten Waren. Gleichzeitig entströmte ihnen eine Vielzahl unterschiedlichster Düfte hinaus auf die Straße, wo diese sich über den feuchten Muff und den Gestank erhoben, der zwischen den Häusern hervorkroch.

      Abrupt wurde sie aus ihrer Geruchs- und Gedankenwelt heraus gerissen, sprang geistesgegenwärtig einen Schritt zurück: Direkt vor ihr ergoss sich platschend der Inhalt eines Waschzubers mit kräftigem Schwall auf die Straße und bildete dort in den kleinen und großen Vertiefungen des Morasts milchige Pfützen. Ein wuchtiger Kerl mit blankem Oberkörper, vorquellendem Bauch und pludriger Uniformhose stand leicht vorgebeugt in der engen Tür, spuckte ungeniert hinter dem Wasser her, und verschwand dann mitsamt seinem Zuber im Inneren des Hauses.

      Sie erreichte das Rathaus und den Salzmarkt.

      Eine Krämerbude reihte sich an die andere und in der Luft lag eine Unruhe gleich dem Summen in einem Bienenkorb. Ohne Eile schlenderte sie zwischen den Buden und Ständen hindurch, atmete das Bild voller Buntheit und Emsigkeit geradezu begierig ein.

      Die Gasse der Schuhmacher fand sie, wie vom Bäcker beschrieben, hinter dem Spital, schräg gegenüber dem Rathaus. Die Gasse war eng, vielerorts stießen die vorstehenden Erker fast gegeneinander. Trotz der nun scheinenden Sonne war es ein wenig duster. Muffig und modrig atmeten die Häuser die Feuchtigkeit der letzten Wochen aus.

      Unmerklich etwas ansteigend mündete die Gasse schon bald auf einen kleinen, gepflasterten und von der Sonne beschienenen Platz. Und wieder veränderte sich ihre Umgebung radikal: Statt Muff und Moder atmete dieser Platz lichte Vornehmheit. Anders als im unteren Teil der Stadt waren die Häuser, die den Platz in einem überschaubaren Oval umgaben, aus behauenen Steinen und in der Mehrzahl in drei Stockwerken übereinander gebaut. Die zum Teil großen Fenster und die schweren, durch allerlei Schnitzwerk und Auflagen gestalteten Eingangstüren ließen den Reichtum ihrer Besitzer erahnen. Sie war am Ziel.

      Einen Augenblick blieb sie stehen, sah sich um. Die breite Straße, die rechts von ihr den Platz verließ, musste zum oberen Tor der Stadt führen. Immer wieder kamen von dort einfache Bauernkarren, wurden von schwerfälligen Ochsen gemächlich über den Platz gezogen, um auf der gegenüberliegenden Seite in den Morast der Stadt einzutauchen. Mit ihnen kamen vom Leben aufgeraute Männer und Frauen, die den Platz überquerten und von den Gassen am Rande verschluckt wurden. In der Mitte des eher länglichen Platzes und nur wenige Schritte von ihr entfernt stand ein vornehmer, aber vollkommen schmuckloser, geschlossener Wagen. Der Fahrer des Wagens wartete offenbar auf jemanden, lehnte mit übereinander geschlagenen Beinen lässig gegen das große Hinterrad und genoss ebenso wie der angespannte Braune