Das Doppelkonzert. Arnulf Meyer-Piening. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arnulf Meyer-Piening
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737575539
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Vielleicht ist sie gerade deshalb für diese Aufgabe geeignet.

      - Möglich, dass sie jemanden kennt. Aber erst einmal müssen wir sehen, dass wir unseren Patienten schnell wieder auf die Beine bekommen.

      - Ja, das ist das Wichtigste. Er soll die Führungsfrage der künftigen Firmenleitung selbst entscheiden. Es ist seine Firma, und er muss sich um seine Nachfolge kümmern.

      - Ingrid wandte sich zum Gehen: Wir werden sehen, was die nächsten Tage bringen. Jedenfalls werden wir uns hier alle erdenkliche Mühe geben, damit er sich schnell erholt. Darauf kannst du dich verlassen.

      Die beiden Frauen zogen sich zurück und verließen die Station. Julia wollte ihre Abreise in die Karibik vorbereiten. Ingrid hatte eine Besprechung mit ihren behandelnden Ärzten einberufen. Alles drehte sich jetzt um den Patienten, um ihren Bruder, um den Patriarchen.

      Nach ein paar Tagen hatte sich der Zustand ihres Bruders erheblich gebessert. Er konnte aufstehen und selbständig auf die Toilette gehen. Aber er fühlte sich noch schwach und verbrachte die meiste Zeit im Bett. Und doch wollte er so schnell wie möglich nach Hause, um die Zügel wieder in die Hand zu nehmen. Er wusste, dass er im Krankenhaus nicht wieder vollständig gesund werden könne, obwohl sich die Ärzte und Pfleger alle erdenkliche Mühe mit ihm gaben. Aber es ging nicht nur um seine physische Gesundung, sondern es ging ihm insbesondere um die Schulung seines Geistes und seines Gedächtnisses. Er musste wieder Zutrauen zu sich selbst finden. Das war im Krankenhaus nicht möglich, vor allem nicht in der Intensivstation, wo ihn der Lärm aus den Nachbarzimmern irritierte: Immer wieder schrillten irgendwo Alarmglocken, Menschen riefen um Hilfe. Ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Gang. Er schloss die Tür. Die betreuenden Ärzte aber beharrten darauf, dass seine Tür offen bleiben müsse, damit sie im Notfall sofort zur Stelle sein könnten: Herr Sämann, es ist nur zu Ihrem Besten! Diesen Satz hörte er wieder und wieder. Er konnte ihn nicht mehr hören.

      - Mit schwacher Stimme antwortete er: Es mag ja aus Ihrer Sicht so sein, aber ich will und muss hier raus. Und zwar sofort.

      - Der Arzt zeigte sich unbeeindruckt: Herr Sämann, Ihre Schwester hat strikte Anordnung gegeben, dass Sie hier in unserer Pflege und Obhut bleiben müssen. Dagegen können wir nichts machen. Sie hat hier das alleinige Sagen. Sie entscheidet, was in der Klinik geschieht und was nicht. Sie müssen sich mit Ihrer Schwester verständigen.

      Wolfgang wusste: Er würde sich hier nicht gegen seine Schwester durchsetzen können. Er kannte nicht ihre Motive. Möglich, dass sie wirklich nur das Beste für ihn und seine Gesundung wollte, aber es war durchaus möglich, dass sie ihre eigene Suppe kochen wollte. Sie wollte Macht und Geld! Das war vielleicht die Gelegenheit, auf die sie viele Jahre gewartet hatte. Viele Jahre hatte sie im Schatten ihres großen Bruders gestanden. Das wollte sie nun nicht mehr.

      Er schluckte die Tabletten hinunter und lehnte sich wieder in die Kissen zurück. Künftig würde sie über ihn triumphieren, dachte er. Sie wäre dann nicht mehr seine kleine Schwester, die vom Gnadenbrot des übermächtigen Bruders leben würde. Schließlich besaß sie jetzt die Vollmacht über alle Konten. Sie könnte auf diese Weise ihre angespannte finanzielle Situation bereinigen. Zwar besaß sie zusammen mit ihrem Neffen und ihrer Nichte die Kapitalmehrheit an der Firma, die auch ihren Namen trug, doch ohne seine Zustimmung konnte sie keinen Geschäftsführer bestellen. Auch mit seiner Vollmacht konnte sie die Mehrheitsverhältnisse in den Entscheidungsgremien nicht verändern. Und es standen wichtige Entscheidungen an: Es ging um eine Kapitalerhöhung, um neue Beteiligungsverhältnisse und um die strategische Ausrichtung der Firma. Sie musste also warten.

      - Von Zeit zu Zeit sah Ingrid nach ihrem Bruder. Sie ließ sich von der Oberärztin die Krankheitsakte zeigen, prüfte die Eintragungen über Temperatur, Blutdruck, Herzfrequenz und die Medikation: Sieht soweit ganz stabil aus, sagte sie mit zurückhaltender Zufriedenheit.

      Für den nächsten Morgen hatte sich Isabelle angesagt. Betont leutselig begrüßte sie die Chefärztin auf dem Gang: Wie geht es Ihrem Bruder?

      Die Chefärztin war nicht besonders erfreut über ihren Besuch. Sie mochte sie nicht, das war ziemlich deutlich zu spüren. Im Grunde hatte sie für die Ablehnung keinen triftigen Grund, aber sie wollte keine Mitwisser über die internen Verhältnisse der Familie. Nach außen sollte die Familie als intakt gelten. Gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollte nach außen alles als harmonische Einheit und wohl geordnet erscheinen. Zu sehr waren sie auf die Meinungen der Öffentlichkeit angewiesen. So nutzte sie die allgemein in solchen Situationen übliche Floskel: Den Umständen entsprechend. Er ist noch sehr schwach.

      - Ich würde den Patienten gerne sehen. Wäre das möglich? Ich habe ein paar Blumen mitgebracht.

      - Ja, wir können ihn in seinem Zimmer besuchen. Allein darf ich Sie nicht zu ihm lassen. Er darf sich auf keinen Fall aufregen.

      Sie nahmen den Fahrstuhl und fuhren in den siebten Stock. Die Chefärztin ging voran, nickte den Schwestern zu, begrüßte eine Oberärztin und öffnete die Tür am Ende des Ganges. Es war ein sonniges Einbettzimmer. Nichts Besonderes. Ein Zimmer wie jedes andere. Nichts deutete darauf hin, dass hier der Bruder der Chefärztin lag.

      - Isabelle betrachtete besorgt den schlafenden Patienten, trat zu ihm an sein Bett und hielt ihre Hand an seine erhitzte Stirn: Er hat Fieber, sagte sie vorwurfsvoll.

      - Die Chefärztin nahm die Krankenakte, die sich am Fußende seines Bettes befand. Sie nickte: Wir geben ihm seit gestern ein fiebersenkendes Mittel, das auch gegen die Entzündung wirkt, dessen Ursache wir noch nicht kennen.

      - Isabelle wollte Klarheit: Was könnte die Ursache für das Fieber sein?

      - Ingrid blickte erneut auf die Eintragungen auf der Akte. Es gibt viele Gründe, aber wir kennen die wirkliche Ursache noch nicht.

      - Wie lange wird er noch im Krankenhaus bleiben müssen?

      - Das wird sich erst in den nächsten Tagen entscheiden, wenn wir die Ursache des Fiebers kennen. Wir werden ihn auf die Intensivstation verlegen. Anschließend muss er noch zur Beobachtung ein paar Wochen in die Reha-Klinik gleich hier in der Nähe.

      - Isabelle ließ sich nicht mit allgemeinen Erklärungen abspeisen: Wenn ich Sie recht verstehe, dann wird er noch ein paar Wochen hier bleiben müssen, bevor er wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Ist das richtig?

      - Ingrid wagte nicht, sie anzusehen: Hoffentlich kann er überhaupt wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Das ist jetzt noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Sie sehen selbst, in welch schlechtem Zustand er sich befindet.

      - Isabelle machte sich Sorgen: Und was soll aus der Firma werden, wenn er nicht zurückkehrt? Die Firma braucht eine kompetente Leitung. Sie könnten ihren Bruder vertreten, jedenfalls für eine begrenzte Zeit. Das wäre eine sinnvolle Lösung. Würden Sie in der Zwischenzeit die Firmenleitung übernehmen?

      - Mit Entschiedenheit sagte Ingrid: Nein, das werde ich nicht tun, denn ich habe meine Aufgaben hier im Krankenhaus. Damit habe ich genug zu tun. Außerdem bin für die Konzernleitung nicht ausgebildet. Aber vielleicht kennen Sie jemanden, der für diese Aufgabe zur Verfügung stünde?

      - Auf diese Frage hatte Isabelle gewartet, aber sie wollte Zeit gewinnen: So jetzt aus dem Handgelenk nicht, antwortete sie, aber ich muss mal sehen, wer zur Verfügung steht. Ich kenne eine ganze Reihe geeigneter Manager, die grundsätzlich für diese Aufgabe in Frage kämen. Man muss sie fragen. Aber es ist nicht leicht, jemanden zu finden, der in einer so schwierigen Situation das Risiko der Firmenleitung auf sich nimmt.

      - Dann prüfen Sie die möglichen Kandidaten und schlagen Sie mir ein paar geeignete Herren vor, sagte die Chefärztin in herrischem Tonfall, der klar machte, dass sie nun das Sagen hatte.

      - Dazu müsste ich einen Search-Vertrag mit Ihnen abschließen. Mein Honorar liegt üblicher Weise in Höhe von einem Jahresgehalt.

      - Wir sollten uns zu einem späteren Zeitpunkt darüber unterhalten. Gehen wir in mein Büro. Ich habe die Vollmacht, einen entsprechenden Vertrag mit Ihnen abzuschließen.

      - Gut, gehen wir. Aber ich möchte mich zuvor noch von Ihrem Bruder verabschieden. Sie gingen