"Rund vierundzwanzig Stunden nachdem sie vom Radar verschwunden ist, haben wir eine Art Notsignal empfangen…", unterbrach Paris die Gedanken von Ferry. "Es war nicht viel mehr als ein "Piep", aber wir konnten es in südöstlicher Richtung orten. Natürlich ohne Koordinaten, da es nicht auf kartographiertem Land abgesetzt wurde. Wir haben es als Notsignal eingestuft, weil es auf der Notfrequenz gesendet wurde." Ein Lebenszeichen, dachte Ferry. Immerhin.
"Commander…", setzte Paris an und hielt inne. Jetzt kam wohl der offizielle Teil. "Ich würde die Mission selber fliegen, doch der Ältestenrat hat es mir ausdrücklich verboten. Sie scheinen der Meinung zu sein, dass ich hier mehr gebraucht werde, denn je… Ich sehe keine Alternative, als Sie auf dieses Himmelfahrtskommando zu schicken, aber ich möchte betonen, dass Sie den Auftrag ablehnen können! Ich werde Sie nicht zwingen, Ihren Hals zu riskieren da draussen im Nebel…" Er verstummte. Es schien ihm peinlich zu sein, was Ferry erstaunte. So kannte er Paris nicht. Der hünenhafte Schwarze war der Leiter der P1 Armed Forces, also aller Kampf- und Aufklärungsgeschwader. Er ging keinem Konflikt aus dem Weg und er war es gewohnt, unpopuläre Entscheide zu treffen. Er hatte einen Krieg zu führen und zu gewinnen und er hatte schon viele gute Leute verloren. Das gehörte dazu.
"Ich bin überzeugt, dass der Ältestenrat Recht hat. Wenn die Grauen wirklich sesshaft werden, dann brauchen wir dich hier. Finde heraus, was die vorhaben. Ich finde Laura." Ferry duzte alle und jeden, auch seinen Vorgesetzten, der ihn siezte, wenn es um Offizielles ging. Ferry fand das unnatürlich. Sie waren Freunde, oder waren es gewesen, also duzte er Paris. Er setzte ein gekünsteltes Grinsen auf, auch wenn ihm nicht wirklich danach zumute war. "Ausserdem gibt es keinen Besseren als mich für diese Mission, das wissen wir beide. Ich habe schon einige haarige Einsätze geflogen. Viel schlimmer kann's kaum werden." Ferry ahnte, dass er sich wahrscheinlich täuschte. Doch es war ihm egal. Er würde Laura finden oder beim Versuch dabei draufgehen. Das war okay für ihn. "Gibt es noch etwas, was ich wissen muss?", fragte er. Das Gespräch ging seinem Ende zu. Er spürte, wie es in seinen Fingern juckte. Er wollte jetzt los, er durfte keine Zeit mehr verlieren.
"Die Zielkoordinaten sind auf eine der höchsten Erhebungen dieses Meeresrückens programmiert. In der Hoffnung, dass der Meeresspiegel dort wirklich tiefer ist, sollte Ihnen das die beste Möglichkeit geben, nicht mitten im Ozean zu landen… Ausserdem müssten Sie dort einen guten Überblick über das Gelände haben. Wir haben bewusst nicht die höchste Erhebung gewählt, da wir im schlimmsten Fall davon ausgehen müssen, dass die Grauen dort einen Wachtturm oder etwas Ähnliches errichtet haben… Wir würden das jedenfalls so machen."
"Alles klar.", erwiderte Ferry, "dann hoffen wir mal, dass deine Annahmen stimmen. Ansonsten werde ich ziemlich nasse Füsse bekommen. Oder es wird ein kurzer Besuch…" Ein bisschen makabrer Humor schien angebracht. Doch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Er war jetzt voll konzentriert und angespannt.
"Commander Black meldet sich ab zur Mission Atlantis." Er stand stramm und salutierte, wie aus dem Lehrbuch. Auf den offiziellen Gruss liess er nichts kommen. Er mochte ein Einzelgänger sein, Befehle missachten und seine Macken haben. Aber er hasste es, wenn schludrig salutiert wurde. Er fand es respektlos, und respektlos war er nicht. Er hatte grossen Respekt vor Paris und den anderen Grossmeistern. Er wusste, was sie leisteten und geleistet hatten.
Master Paris musste nicht erst strammstehen, das schien er immer zu tun. Doch er hob den Kopf um eine Nuance, blickte Ferry intensiv in die Augen und nahm den Gruss ab, indem er ebenfalls die Hand an die Schläfe hob, langsam und sehr präzise. "Danke, Commander. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Und Glück… Sie werden es brauchen. Vom Ausgang dieser Mission hängt viel ab. Ich hoffe inbrünstig, dass Sie kein Atlantis finden werden. Aber wenn doch, wäre dem Corps sehr daran gelegen, möglichst viel darüber zu erfahren…" Er senkte die Hand. Ferry nickte, sagte aber nichts mehr und hob die Hand zur Kommunikationskachel, um die Verbindung zu beenden.
"Ferry…", setzte Paris nach, "komm heil zurück… und bring Laura nach Hause!"
Ferry biss die Zähne zusammen und seine Kieferknochen traten hervor. Noch einmal nickte er knapp. Der Kloss in seinem Hals verunmöglichte es ihm, zu antworten. Er drückte die Verbindung weg.
Kapitel 4 - Aufbruch
Anschliessend drückte Ferry den Knopf für die permanente Sprechverbindung mit der Flugleitzentrale und setzte sich.
"Commander Black, you have permission for take-off.", meldete sich eine dunkle, männliche Stimme aus der Zentrale.
Ferry zögerte einen Moment, dann griff er über die Schulter und legte die Gurte doch an: zwei Schultergurte, die mit zwei Beckengurten zusammengesteckt wurden. Ein metallisches Klicken bestätigte ihm, dass der Sicherheitsgurt sauber eingerastet war.
"This is Commander Black, ready for take-off. All systems up and running. Entering coordinates now."
Seine rechte Hand wanderte zur Navigationskachel und gab routiniert die Koordinaten ein, die er erhalten hatte. Er kontrollierte sie sorgfältig nach und drückte den Knopf zur Zielarretierung. Wieder leuchteten zwei rote Warnlämpchen auf.
"Commander, you are targeting unknown territory.", meldete sich die Stimme aus der Zentrale, sachlich und emotionslos.
"Overruled.", bestätigte Ferry. Er beugte sich nach vorne, soweit es in den Sicherheitsgurten möglich war, und drehte die Wasserhähne auf. Auf dem Spiegel und dem Hilfsbildschirm schossen die Balken nach oben.
"Roger, Commander, overrule confirmed.", meldete sich die neutrale Stimme aus dem Off. "Good luck."
"Yep.", sagte Ferry ganz leise, legte die Hand um den Joystick und drückte ihn nach vorne.
Ein leises Surren setzte ein, wie von einer Lüftung, die angeschaltet wird. Auf den Bildschirmen begannen die Sterne, die nun wieder zu sehen waren, sich erst langsam, dann schneller zu bewegen. Er war jetzt im All. Oder in der Parallel-Suppe, wie er es gerne nannte. Unterwegs zu einem Ziel, das er eigentlich gar nicht finden wollte, aber finden musste, wenn er Laura retten wollte.
Er checkte die Sicherheitsanzeige: keine Fremdeinwirkung, kein Feindkontakt. Er checkte die Systeme und den Antrieb: alles normal.
Einige Minuten vergingen. Sein Puls, der bei jedem Start etwas in die Höhe ging, hatte sich normalisiert. Er versuchte, sich darauf vorzubereiten, was ihn am Zielort erwarten würde: im besten Fall würde er auf einer verlassenen Bergspitze landen, weit entfernt von den Grauen. Im schlimmsten Fall würde er mitten in einem Truppenlager des Feindes landen und sofort eliminiert werden… Und falls es Atlantis nicht gab, würde er mitten im Nebel landen oder ins Meer klatschen. Er wusste nicht, was schlimmer war. Genausowenig wusste er, wie sich die Kapsel im Nebel verhalten würde. Er kannte keinen Präzedenzfall dazu. Konnte sie die Koordinaten überhaupt richtig ansteuern im Nebel? Man wusste so wenig über die fliegenden Toiletten, obwohl sie täglich benutzt wurden. Sie waren nicht menschengemacht, sie waren einfach da. Sie funktionierten für alle Benutzer gleich und doch passten sie sich an das Individuum an, welches sie benutzte. So hing z.B. immer die richtige Uniform im Spind. Egal, wann und wo man in eine Toilette ging und sie aktivierte. Noch ein Phänomen, an dem wie wild geforscht wurde…
Die Sterne auf dem Bildschirm hatten aufgehört, sich zu drehen. Er schien den höchsten Punkt der Flugparabel erreicht zu haben. Von hier aus würde die Kapsel auf ihr programmiertes Ziel herunterstossen. Commander Black lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Wieder liess er den Kopf nach links und nach rechts fallen und ein leises Knacken der