"Ich bin schon zehn… und fast erwachsen!", maunzte er.
"Ja, das kann ich sehen, dass du schon fast erwachsen bist… Willst du den Helm nicht absetzen?", schmunzelte Paris.
Ferdi zögerte einen Moment, dann hob er die Hände an die Unterkante des Helms und schob ihn über den Kopf. Er überlegte einen Moment, dann legte er ihn ins Gras. Die frische Luft tat seinem glühenden Kopf gut.
"Wollen wir uns ins Gras setzen?", fragte der Riese, der kein echter Riese war. "Ich würde gerne ein bisschen mit dir plaudern."
Sie setzten sich, und Ferdi musterte ihn von oben bis unten. "Du hast die gleiche Uniform an wie ich!" stellte er mit einer gewissen Verwunderung fest. "Aber du hast Streifen auf den Schultern!", fiel ihm weiter auf. "Die sind schön. Solche möchte ich auch! Bist du ein Oberst?" Er war stolz, dass ihm der militärische Rang mit den drei dicken Streifen eingefallen war. Obwohl Paris vier dicke Streifen hatte.
Dieser lächelte und schien einen Moment lang zu überlegen. "Nein, ich bin eigentlich eher so etwas wie ein General", sagte er. "Aber bei uns sagt man "Commander" dazu, oder Kommandeur, in Deutsch."
"Oh!", entwischte es Ferdi. Ein General! Dann überlegte er einen Moment. "Aber einen General gibt es nur, wenn Krieg ist! Ausserdem hat ein General Sterne auf der Schulter!" Das war so in der Schweiz, das stand so in seinem Militärbüchlein. Paris schien wieder zu überlegen. Seine Stirn war gerunzelt.
"Da hast du wohl Recht, Ferdi… Du bist ganz schön klug für dein Alter! Aber bei uns ist es ein bisschen anders..." Er stockte einen Moment. "Sag mal, weisst du eigentlich, wo du hier bist?" Er schien nicht darauf eingehen zu wollen, warum er keine Sterne auf der Schulter hatte. Vielleicht war er doch kein General.
"Äh…", begann Ferdi, "also ich denke, ich bin auf einem fremden Planeten… Oder so…" er brach ab. "Ich bin mit meinem Raumschiff hierhergeflogen. Es steht da hinten bei den Bäumen…" Er zeigte mit der Hand irgendwo hinter sich und wurde etwas kleinlauter. "Aber ich weiss nicht, wie das hier heisst."
Sein Gegenüber schien nicht überrascht zu sein, dass Ferdi ein Raumschiff hatte.
"Soso.", sagte der General, der vielleicht gar kein General war. "Und dein Raumschiff… das ist also eine Toilette? Stimmt das?", fragte er.
"Ja, also, nein, also… eigentlich ist es unser Badezimmer! Also, zuhause. Aber wenn ich auf die Kacheln drücke, dann hat es Knöpfe und so... Dann ist es ein Raumschiff! Und der Spiegel ist dann ein Fernseher! Und ich habe diese Uniform, weil ich dann ein Raumschiffpilot bin… Verstehst Du?" Ferdi glaubte nicht, dass sein Zuhörer ihn verstand. Seine Eltern hatten ihn ja auch nicht verstanden. Und der Riese war schliesslich auch nur ein Erwachsener. Die verstanden ihn einfach nicht.
"Aber natürlich verstehe ich Dich.", kam prompt die Antwort von Paris und Ferdi schaute erstaunt auf. "Ich habe auch so ein Raumschiff… Sonst könnte ich ja nicht hier sein!" Das schien logisch. "Wie bist du denn genau hierhergekommen, Ferdi?"
"Also…", begann Ferdi, "Ich habe jeden Tag auf den Knöpfen mit den Zahlen herumgedrückt, aber es kam immer ein rotes Licht... Und heute kam ein grünes Licht! Und dann hat der Joystick funktioniert und es hat komisch getönt und die Sterne im Fernseher haben sich gedreht und dann sind Zahlen gekommen und… und vorher musste ich den Wasserhahn aufdrehen… und dann war ich hier!" Er hielt erschrocken inne. "Ui! Ich habe vergessen, den Wasserhahn wieder zuzudrehen!" Die Schamesröte kroch ihm ins Gesicht.
Doch sein Gegenüber lachte nur. Paris hatte ein tiefes, lautes Lachen. Es klang lustig und echt.
"Weisst du, das macht nichts. Die Raumkapsel stellt die Triebwerke automatisch ab, wenn sie gelandet ist." Ferdi war froh, das zu hören. Egal, ob er ein echter General war oder nicht, er schien sich mit Raumschiffen auszukennen.
"Weisst Du, was eine Parallele ist, Ferdi?" fragte Paris unvermittelt.
"Nein…?"
"Also, ich erkläre dir das mal: wenn du eine gerade Linie hast, etwa so…" Paris zeichnete mit seinem Finger eine gerade Linie ins Gras, "…und eine zweite gerade Linie nebendran ist…" Er zeichnete eine zweite Linie, die neben der ersten lag, "…und die zwei Linien immer den gleichen Abstand haben und sich nie berühren, dann sind das zwei "parallele" Linien… Parallel heisst, dass zwei Sachen immer im exakt gleichen Abstand zueinander sind, und sich nicht berühren. Verstehst du das?" Ferdi überlegte.
"Ja, ich glaube schon." sagte er.
Der Schwarze fuhr fort: "Das gilt nicht nur für Linien, sondern auch für Flächen. So wie meine Handfläche." Er streckte seine riesige, schwarze Handfläche horizontal aus. Ferdi sah, dass die Handfläche nicht so schwarz war wie der Rest. "Wenn ich jetzt eine zweite Fläche nehme…", fuhr der Kommandeur fort, "…zum Beispiel meine andere Hand, und sie über meine erste Hand halte, und sie überall den gleichen Abstand hat, dann sind die Flächen parallel." Er hatte seine Hände jetzt flach übereinander gelegt, so dass sie sich aber nicht berührten. "Verstehst du das?" fragte Paris erneut.
"Ja, ist schon klar." meldete sich Ferdi. Er war ja nicht doof.
"Jetzt stell dir mal vor…" fuhr Paris fort, "…dass die Erde, also unsere Welt, parallel ist zu einer anderen Welt." Ferdi dachte angestrengt nach und runzelte die Stirn.
"Aber die Erde ist rund - das geht nicht!", fand er.
"Hmm…", überlegte der Erwachsene, "…nun stell dir mal vor, du hättest einen Tischtennisball und steckst ihn in einen Tennisball. Das sind zwei kugelrunde Welten, die dann parallel zueinander sind… Kannst du dir das vorstellen?"
Ferdi versuchte, es sich vorzustellen… Ja, das war machbar. Er nickte. Der Schwarze unterbrach ihn in seinen Überlegungen.
"Diese beiden Bälle in meinem Beispiel sind unterschiedlich gross. Unsere Welt, die Erde, und die Welt, in der wir uns gerade befinden, hier, jetzt, du und ich… die sind fast genau gleich gross! Das bedeutet, dass die zwei Welten ganz, ganz nahe beieinander sind… Man muss nur einen kleinen Sprung machen, und schon ist man in der anderen Welt!" Er schaute Ferdi durchdringend an. "Kannst du dir das vorstellen?" Ferdi überlegte kurz und nickte.
"Ja. Ich glaube, ich weiss auch, wie das geht!" Sein Gegenüber machte ein fragendes Gesicht. Ferdi sprach weiter: "Zuhause in unserem Garten, da gibt es eine Stelle, an der ich fliegen kann. Wenn ich mich ganz fest anstrenge, dann beginne ich zu schweben, und plötzlich wird alles ganz still und die Farben im Garten gehen weg… Dann sieht es so aus wie hier!" Commander Paris war sprachlos.
Nach einer kurzen Bedenkpause setzte er zu einer Antwort an. Er sprach jetzt etwas langsamer, als ob er gleichzeitig angestrengt nachdenken würde, oder, als ob er sich seiner Sache nicht ganz sicher war.
"Das ist… sehr interessant, Ferdi. Ja, ich glaube, du hast genau begriffen, worum es geht." Wie zu sich selbst murmelte er: "Das ist ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich… Das muss ich dem Rat melden…" An Ferdi gewandt fuhr er weiter: "Sag mal Ferdi, kennst du noch andere Leute, die fliegen können? Oder die die Knöpfe im Badezimmer gesehen haben? Zum Beispiel… deine Eltern? Freunde aus der Schule, Geschwister? Hast du Geschwister?"
Jetzt war es an Ferdi zu lachen. "Meine Schwester? Nein, die hat mich fast gehauen, als ich von den Knöpfen erzählt habe! Und meine Eltern wissen davon auch nichts. Ich hab sie gefragt. Aber ich glaube, sie haben mich nicht verstanden… Erwachsene verstehen das nicht!" Er hielt inne. "Du bist aber auch erwachsen, oder? Und du verstehst mich? Das ist komisch."
"Weisst du, Ferdi, nicht alle Menschen können von unserer Welt zu Hause in diese Welt hier springen. Ihnen fehlt die Fantasie." Ferdi runzelte die Stirn. Paris erklärte weiter. "Sie können sich keine andere Welt vorstellen. Und wenn man nicht glaubt, dass es eine zweite Welt gibt, die parallel zu unserer Welt liegt, und dass man dort ganz einfach hinkommen kann… dann gibt es für sie keine andere Welt!" Er hielt einen Moment inne. "Es ist ein bisschen kompliziert… Aber ich kann dir versichern, dass es nicht viele Menschen gibt, die hierher kommen können, so wie du und ich."
Ferdi