„Weißt du es denn nicht? Deinem Onkel ging es genauso, als dein Vater noch regierte. Es ist eine Vorkehrung der Sultane, um ihre mögliche Opposition auszuschalten, damit sie nicht durch diese am Regieren gehindert werden.“
„Aber ich zeige doch kein Interesse an den Regierungsgeschäften, Mama.“
„Wem sagst du das, Kind?“
„Und wenn ich in den Mewlewi-Konvent in Galata gehen oder zusammen mit meinem Freund Said Zeit verbringen möchte?“
„Es wird immer jemand in deiner Nähe sein, der deinem Onkel berichtet, wo du warst und mit wem du verkehrst, mein Kind.“
„Das ist aber eine Knechtschaft, die man einem Prinzen zumutet, Mama.“
„So ist es, Selim. Das ist das Schicksal der Prinzen. Ich begebe mich zu den Konkubinen, die für mich eine Trauerveranstaltung abhalten wollen. Sie erwarten mich bereits.“
„Danke für deinen Besuch und für deine Ratschläge, Mama“, sagte Selim.
Walide Sultan stand auf und machte ein paar Schritte bis zur Tür. Dann blieb sie an der Schwelle stehen, drehte sich um und gab ihrem Sohn einen letzten Hinweis mit auf den Weg:
„Pass auf die Leute in deiner Nähe auf, Selim. Es werden nicht alle deine Freunde sein.“
Selim stimmte ihr mit einer kurzen Kopfbewegung zu, und seine Mutter verließ die Kammer.
***
Als Selim sich entschloss, seine Kammer zu verlassen und auf dem Hof nach frischer Luft zu schnappen, bemerkte er vier wachhabende Soldaten an seiner Tür.
„Was ist der Grund eurer Anwesenheit vor meiner Kammer?“, zürnte Selim.
„Wir sind damit beauftragt, Sie stets zu beschützen und überall hin zu begleiten, Euer Exzellenz“, sagte ein Soldat, der der Befehlshaber dieser Gruppe zu sein schien.
„Wie und gegen wen wollt ihr mich beschützen?“, hakte Selim nach.
„Die zwei werden immer an Ihrer Tür stehen und Wache halten, Exzellenz“, sagte der Mann und zeigte auf zwei seiner Männer.
„Ich und mein dritter Soldat werden sie auf Schritt und Tritt begleiten, wohin Sie auch zu gehen wünschen.“
Mit einem zweiten Schatten hatte Selim nicht gerechnet, aber die Worte seiner Mutter trafen zu.
„Ich würde gern in den Hof gehen, wenn ihr gestattet“, sagte Selim und schaute den Mann missbilligend an.
„Euer Exzellenz, Sie entscheiden, wohin Sie gehen möchten und wir folgen Ihnen.“
Selim äußerte sich nicht mehr und schlenderte über den Hof, wobei er sich immer wieder zu seinen beiden Verfolgern umdrehte, die links und rechts hinter ihm gingen.
Die Menschen zeigten ihre langgezogenen Gesichter und zwangen sich zu einem Lächeln, als sie ihren Prinzen begrüßten. Der Tod seines Vaters musste die Hofbewohner hart getroffen haben. Plötzlich tauchten vor ihm zwei Gestalten auf, die er zuvor nie gesehen hatte. Der Junge und das Mädchen, die ihm gegenüberstanden, schienen in seinem Alter zu sein.
„Euer Exzellenz. Ich spreche mein herzliches Beileid aus. Es war für Sie sicherlich ein harter Schicksalsschlag. Aber der liebe Gott meint es auch mit dem Tod der Menschen immer gut mit uns. Es wird eine Lehre für die Hinterbliebenen sein“, sagte der Junge. Das Mädchen nickte bei diesen Worten nur zustimmend mit dem Kopf und brachte keinen Ton heraus.
„Danke sehr. Ich freue mich, eure Bekanntschaft zu machen. Wenn Sie sich mir vorstellen würden?“
„Sicher. Wir sind Geschwister und wurden vor sechs Jahren im Palast aufgenommen. Wir werden in den Palastschulen dem Stande entsprechend erzogen. Ich in der Jungenschule Enderun und meine Schwester in der Mädchenschule Harem. Ich heiße Kamil, eure Hoheit, und meine Schwester heißt Kamile.“
Kamil verschwieg seinen echten Namen und den seiner Schwester mit Absicht. Selim sollte erst Jahre später erfahren, dass er es mit einem Farhad und einer Parwin zu tun haben sollte, die vom persischen Schach in den Palast geschickt und von dem listigen Köse Musa hineingeschmuggelt wurden waren und später dem Prinzen das Leben zur Hölle machen sollten.
Kapitel 11
Jeden Freitag langweilte sich Said, weil ihm Eleftheria und Hagop fehlten, die in der Schule die Bank drücken mussten. Destegül verbrachte die meiste Zeit mit ihrer Mutter im Hof, wo sie seit einiger Zeit aus Stoffballen, die sie von Garbis bekamen, entsprechende Kleider zuschnitten. Der armenische Schneider nahm von seinen Kunden jeden Tag viele Bestellungen entgegen, denen er alleine mit seiner Frau nicht nachkommen konnte, und war auf Unterstützung angewiesen. Er schlug Afife vor, ihm die viele Arbeit abzunehmen und sich damit einen Nebenverdienst zu sichern. Ibrahim fehlte ihr seit nunmehr zwei Jahren. Die Pension von Halil Agha fiel gegenüber den Ausgaben der Familie nicht ins Gewicht.
Saids Langeweile konnte auch die Gesellschaft seines Cousins nicht vertreiben. Denn mit Mersed ließ sich nichts Gebührendes anfangen. Neulich hatte er den Mewlewi-Konvent besucht und dort seinen guten, alten Freund Selim getroffen, der ihm von den Verhältnissen im Palast berichtete und darüber, dass er nur noch in Begleitung der zwei Soldaten in die Öffentlichkeit durfte. Saids Hände waren gebunden. Er ging mit gesenktem Kopf auf den Marktplatz, um sich durch die Schreie der Händler abzulenken, die ihre Waren feilboten. Dabei dachte er an die zwei Jahre, die er noch hinter sich bringen musste, um den Abschluss zu schaffen und in die Rekrutenschule aufgenommen zu werden. Betim war zwei Jahre älter als er und würde in diesem Sommer bereits ihr Konak verlassen und in den Staatsdienst eintreten. Schließlich tröstete er sich mit den Worten seines Hodschas, der ihm eine Verkürzung seiner Schulbildung versprach, falls er so ehrgeizig und emsig weiterlernte wie bisher.
„Hallo Said!“, hörte er aus dem Hintergrund. Die Stimme kam ihm vertraut vor. Er drehte sich um und sah Daphne.
„Hallo Tante Daphne. Schön dich zu sehen“, erfreute sich Said.
„Du bist ja ganz verträumt. Was ist?“, fragte sie.
„Ach nichts. Mir ist nicht gut zumute. Es gibt vieles, was mich betrübt“, sagte er.
„Verstehe mein Lieber. Am meisten vermisst du, so glaube ich, deinen Vater, nicht wahr?“, fragte sie.
Seine Gefühle vermischten sich dermaßen, dass er sie nicht einordnen konnte und nicht entscheiden konnte, was ihn am meisten bedrückte.
„Mein Vater“, sagte er dann, „verließ uns für einige Jahre. In der Zeit sollte er seine Ausbildung zum Naib abschließen und wieder zurückkehren. Es kam jedoch anders. Der Provinzgouverneur von Bosnien beorderte ihn zu sich und ließ meinen Vater dort das Amt des Naib antreten. Aber das ist doch nur der Wunsch dieses Mannes. Der sollte auch mal an die Kinder des Naibs, und nicht nur an sich denken.“
„Aus deiner Sicht hast du natürlich Recht, Said. Aber wer will einen Mann wie deinen Vater, der aufrichtig, ehrlich und fleißig zugleich ist, aus seinen Händen gleiten lassen?“
„Sollte mein Vater doch lieber ein unehrlicher und fauler Mensch sein, damit ich ihn wiedersehen kann“, sagte Said. Daphne lächelte hinter vorgehaltener Hand und versuchte dabei ihre Gefühle im Zaum zu halten, die Said kränken konnten, wenn er sah, wie sie sich über diese Bemerkung amüsierte.
„Die Wege des Herrn sind unergründlich, Said. Warten wir es ab, was unser Herr uns demnächst bescheren wird“, versuchte Daphne ihn aufzuheitern.
„Mein Glaube an ihn ist unerschütterlich, Tante Daphne. Er wird uns schon einen Weg zeigen“, tröstete er sich.
„Braucht ihr etwas vom Markt? Deine Mutter hat in letzter Zeit alle Hände voll zu tun von Garbis‘ Aufträgen. Sie lässt sich seit zwei Wochen auch nicht auf dem Markt blicken“, sagte Daphne.
„Sie hat mir