Als Halil Agha diese Geschichte zu Ende erzählt hatte, schauten ihm alle sprachlos ins Gesicht. Said fühlte sich sehr angetan von der Heldentat seines Großvaters. Es waren also turbulente Zeiten gewesen, in denen keiner der Zuhörer hätte leben wollen. Endlich brach David die Stille und äußerte sich zu den Ereignissen von damals.
„Halil Agha, erst einmal bedanke ich mich bei dir für diese Heldengeschichte. Ich hörte von meinem Vater, wie mühsam es in diesen Zeiten war. Der Pöbel soll auch unser Viertel Dschibali in Brand gesteckt haben. Aus diesem Grund evakuierte uns der Kadi von Istanbul hierher.
„Wurdest du nach der Niederschlagung dieses Aufstands zum Janitscharen-Agha befördert?“, ergriff Hüseyin das Wort.
„Ja. Der alte Sultan stellte mir bereits die Führung des Korps in Aussicht. Jedoch war der Widerstand zu groß und er konnte seine Pläne nicht umsetzen. Es gelang dem neuen Herrscher und das Korps fügte sich schließlich meinem Befehl. Die Verbrecher wurden bei dieser Niederschlagung mit dem Tode bestraft.“
„Jesus und die heilige Maria mögen uns beistehen, damit wir nicht nochmal solche Zeiten erleben“, betete Garbis.
„Das wünschen wir uns alle“, ergänzte Adil Bey.
„Gleich wird der Gebetsruf zum Abend erklingen, und auch unsere christlichen Freunde haben an diesem Karfreitag noch mit ihren Familien zu feiern. Also ich verabschiede mich schon mal“, sagte Halil Agha. Er beugte sein rechtes Bein vor, um sich darauf zu stützen und richtete sich auf. Said, Betim und Mersed folgten ihm nach. Aus Höflichkeit standen alle auf, ließen ihren Herodot die Leiter hinunterklettern und folgten ihm nach. Nach kürzester Zeit sah die hochgestellte Plattform so aus, als hätte dort niemand gesessen.
Nach dem Abendgebet, an dem Said und Mersed zusammen mit ihrem Großvater teilnahmen, begaben sie sich nach Hause. Obwohl Said Merseds Dasein nicht ertragen konnte, gesellte er sich dazu und kam mit Halil Agha und Said in ihren Konak. Denn auch wenn Mersed sich mit Said nicht vertragen konnte, gab es eine Person, die er besonders schätzte. Destegül, das Schwesterherz, nahm sich immer Zeit für ihn und kümmerte sich um ihn.
„Wie war euer Abend, Vater?“, fragte Afife ihren Schwiegervater. Bevor Halil Agha etwas sagen konnte, sagte Said:
„Es war mitreißend. Mein Großvater ist ein großer Held, Mutter. Er hat einem Mann die Kehle durchgeschnitten und einen großen Aufstand abgewehrt. Vor Jahren erzählte er von dem Zwischenfall in der Schänke und wie er die Radaumacher zurechtwies, falls ihr euch noch daran erinnert. Aber das hier ist viel mehr als das. Es änderte das Schicksal eines Reiches.“
Betim, der Halil Agha bisweilen als einen erfahrenen Mann respektierte, bewunderte ihn nach dieser Tat, die er vollbracht hatte. Er hatte den Frevlern eine Lehre erteilt und war dabei groß herausgekommen. Noch einige Monate, dann stünde Betim selbst im Dienste des osmanischen Staates. Er würde seine Kraft und Intelligenz einsetzen, um mehr als das zu erreichen, was Halil Agha erreicht hatte. Den Respekt und die Bewunderung, die er Halil Agha gegenüber zollte, sollten alle ihm erweisen.
Destegül reichte auch Betim eine Tasse Kaffee, den er in seinem Alter bereits vertragen würde. Er war zu einem jungen Mann herangewachsen und konnte sich den gesüßten Kaffee schmecken lassen, den ihm Destegül kredenzte.
„Dann lasst mal schauen, wie es schmeckt. Ich trinke es zum ersten Mal“, erfreute sich Betim und blickte in Destegüls Augen. Rasch wandte sie sich von ihm ab und setzte sich zu ihrer Mutter nahe dem Ofen.
„Großvater, du hast heute nicht erzählt, wie es zu diesem Aufstand kam“, sagte Said.
„Es gab viele Gründe, Said“, sagte Halil Agha. „Zum einen waren es wirtschaftliche Gründe. Wie ich schon sagte, wurden viele Janitscharen gierig und ...“
Betim hatte genug Geschichten gehört und wollte der Realität in die Augen schauen. Die Wahrheit war für ihn die Anwesenheit von Destegül, für die er andere Gefühle hegte. Ihre runden, schwarzen Augen und die weiße Hautfarbe verführten Betim. Sie konnte ihn verzaubern, auch wenn sie ihn nicht ansah. Mit dem Mut, den er dadurch gewann, stierte er Destegül weiter an, während sie wie gefesselt ihrem Großvater zuhörte und Betim keines Blickes würdigte. Neulich hatte er Mersed verspottet, seine Liebe zu Eleftheria sei aussichtslos, weil sie Said liebte. Aber ob seine unbeschreibliche Hingezogenheit zu ihr erwidert wurde, wusste er nicht. Ihm stand zudem sein Glaube im Weg, den er ablegen müsste, um ihr überhaupt den Hof machen zu können. Denn muslimische Mädchen wiesen christliche Verehrer vehement ab. Auch wenn er von diesem Glauben nicht überzeugt war, würde er augenblicklich konvertieren, auch weil er sonst nicht als Rekrut ins Militär aufgenommen werden konnte. Das hatte ihm Köse Musa Pascha bei ihrer ersten Begegnung erklärt. Nach einer Konvertierung konnte er sowohl Destegül heiraten, als auch seine Karriere bis zum Großwesir verfolgen. Die Mitgift für sein neues Leben war auf dem Dachboden versteckt. Die sollte er nicht vergessen, wenn er von hier aufbrach.
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