Eingeklemmt zwischen Emelie und Claudia saß ich also auf meinem Handtuch und musste sehen, dass Emelie glattrasiert war wie ein vorpubertäres Mädchen, was ja auch zu ihrem mädchenhaften Stil passte, während die überkorrekte Claudia mit ihrem Haardutt sich einen wilden Busch hielt, um den jede Hippie-Frau sie beneidet hätte. Wir schwitzten gemeinsam und tauschten Nettigkeiten aus.
„Julika, du hast so schöne schlanke Beine. Wieso versteckst du sie immer unter Jeans?“
„Claudia, du hast ja eine wunderschöne Haut, keine Spur von Cellulitis!“
„Danke, aber schau mal hier!“ Sie zeigte auf ein paar Narben, die sie sich durch einen Fahrradunfall zugezogen hatte.
„Und was für ein außergewöhnliches Tattoo du hast, sieht toll aus!“, sagte ich zu Emelie, während ich die riesige geschwungene und verschnörkelte Lilie auf ihrem Rücken bewunderte.
Am nächsten Tag war es etwas komisch, sich wieder in Bürokluft zu begegnen und zu wissen, welche Geheimnisse sich darunter verbargen. War es gestern noch um Intimrasur gegangen, um kleine Komplexe und Gesundheits- und Schönheitstipps, waren wir am nächsten Tag wieder professionell und tauschten uns über Arbeitsabläufe aus.
Im Laufe des Jahres konnte ich auch angenehmen Ritualen beiwohnen. Sie hatten alle eines gemeinsam: Es gab gut und reichlich zu essen. Geburtstagsgelage, Einstand, Ausstand, Jubiläen – irgendetwas gab es bei Gmooh immer zu feiern. Manche verbuchten diese Zeit als Pause, andere als Arbeitszeit, da es sich ja um ein Ereignis handelte, das den Teamgeist stärkte und bei dem Nichterscheinen nicht geduldet wurde.
Meine Arbeit ging mir inzwischen leichter von der Hand. Mit ethnologischem Pflichtbewusstsein fertigte ich nebenher heimlich Netzwerkkarten an, die zeigten, wer bei Gmooh mit wem verbunden war. Wer tauschte mit wem Informationen aus? Der Dreh- und Angelpunkt hierfür war nicht die Besprechung, sondern die kleinen und großen Pausen in der Küche. Wo gab es Allianzen, wo Fronten? In den frühen Anfängen der Ethnologie ging man davon aus, dass zu erforschende fremde Kulturen mehr oder weniger statische Gebilde seien. Der Buddha hingegen hatte schon vor 2.500 Jahren festgestellt, dass alles unbeständig ist und wir Menschen am meisten unter der Vergänglichkeit leiden. Die Ethnologen kamen erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts darauf, und obwohl ich theoretisch wusste, dass alle meine Bemühungen, die Gmooh-Firmenkultur ethnographisch abzubilden, eine sich bald verflüchtigende Momentaufnahme waren, lenkte meine pseudoethnologische Herangehensweise mich davon ab, dass mir die Bürorituale und Hierarchien im Grunde suspekt waren und ich mich unterfordert fühlte. Außerdem gab mir meine verdeckte Feldforschung das Gefühl, dass mein Studium nicht ganz umsonst gewesen war, und der distanzierte Blick verhalf mir zu einer neuen Gelassenheit.
Trotzdem fühlte ich mich bei Gmooh nach wie vor fehl am Platz. Doch mir fehlte es an Ideen und Mut, etwas anderes zu machen, und so harrte ich weiter aus und interpretierte meine Trägheit und Unentschlossenheit wohlwollend als buddhistische Gelassenheit.
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